Ehrenmann

Letztens sagte mein Sohn „Ehrenmann“ zu mir und korrigierte sich dann – „Ehrenfrau“. Er wollte nett sein, aber fast war ich beleidigt. Zum einen: Hat der Gender-Wahn nun auch schon unsere Familie erreicht? Ich kann damit nichts anfangen, empfinde diese ganze Thematik als völlig überzogen, aufgebauscht und ehrlich gesagt ein Luxusproblem. Als gäbe es nicht andere Aufgaben, die die Menschheit beschäftigen sollten – wie zum Beispiel die Ungleichverteilung von allen möglichen Gütern auf dieser Welt oder die Tatsache, dass Frauen und Mädchen in vielen Ländern dieser Erde überhaupt keine Rechte haben. Da ist es mir gleich hundertmal egal, ob ich in jedem Brief als Frau angesprochen werde oder „Wer-auch-immer-hier-bei-uns“ sich wegen unkorrekter Anrede nicht wahrgenommen vorkommen könnte.

Zum anderen: Es heißt nicht umsonst Ehrenmann. Ein Ehrenmann ist jemand, der sich ehrenvoll verhält. Das kann meiner Meinung nach sowohl ein Mann als auch eine Frau sein. Allerdings stammt der Begriff aus einer Zeit, in der es vor allem Männer waren, die Entscheidungen trafen und sich dabei um nichts und niemanden scheren mussten. Daher war es für diese Männer umso herausfordernder, ehrlich und verlässlich zu sein, auf ihr Recht zu verzichten und anderen gnädig und barmherzig zu begegnen. Zuvorkommend und rücksichtsvoll – nicht nur, aber auch Frauen gegenüber. Ich will niemanden diskriminieren, aber ich merke: Es fällt uns Frauen leichter, auf Provokationen gelassener zu reagieren. Es liegt ja auch mehr in unseren Genen, nach dem Weg zu fragen, uns helfen zu lassen und bei einem Wettstreit den kürzeren zu ziehen. Wir blamieren uns nicht, wenn wir zugeben, traurig oder enttäuscht oder hilflos zu sein. Frauen sind darin geübter als Männer. Und das hat nicht (nur) was mit gewachsenen Geschlechterrollen zu tun, sondern mit unserem innersten Kern, der sich einfach mal unterscheidet von dem der Männer. Behaupte ich, erlebe ich, bin ich überzeugt.

Nein, ich glaube nicht, dass ich eine besonders demütige oder nicht emanzipierte Frau bin. Aber ich bin eine. Und trotzdem: Wenn mein Sohn mich als Ehrenmann bezeichnet, dann empfinde ich das als ein Kompliment – weil sich diese Bezeichnung auf mein (vielleicht überraschend) ehrenvolles Verhalten bezieht. Ganz im Gegensatz zu Ehrenfrau oder Ehrendame. Diese beschreiben nämlich nicht das weibliche Pendant zum Ehrenmann. Ehrenfrau war ein Titel, der einer Frau zugesprochen wurde – weil sie (oder auch nur ihr Mann!!!) einem bestimmten Stand angehörte. Eigenes ehrenvolles Verhalten spielte dabei eine untergeordnete Rolle. Und deshalb: Trifft auf mich nicht zu, ehrt mich nicht, brauche ich nicht.

Blind audition

Um eine Stimme oder die Fertigkeit an einem Instrument vorurteilsfrei beurteilen zu können, gibt es heutzutage etwas, das nennt sich „blind audition“, was soviel wie „Blindes Vorsingen/Vorsprechen“ bedeutet. Orchestermusiker werden teilweise so berufen, um geschlechtsspezifische Vorbehalte der Jury von vornherein auszuschließen. Auch sogenannte Castingshows bedienen sich dieses Hilfsmittels, um sich nicht von dem optischen Eindruck ablenken zu lassen, den ein Kandidat macht.

Es ist nun einmal so, dass wir Menschen mit allen Sinnen zur Kenntnis nehmen und eben nicht nur das: Wir fällen Urteile in Sekundenbruchteilen. Am schnellsten nimmt das Auge wahr, das Ohr ist langsamer. Gefällt uns, was wir sehen, hat das, was wir hören, eine gute Chance, positiv bewertet zu werden. Erleben wir den optischen Eindruck als abstoßend, wird vorurteilsfreies Hören schwierig – egal wie schön klingt, was unsere Ohren erreicht. Nicht alle können sich frei machen von dem Gesamteindruck, den ein Mensch hinterlässt – und der wird maßgeblich von unserer Sicht bestimmt.

Kürzlich habe ich erlebt, dass das nicht nur für Töne, sondern auch für die Formulierungsfähigkeit gilt – jedenfalls bei mir: Ich habe eine Mail gelesen von jemandem, den ich nicht kannte. Der Schreibstil war besonders, erfrischend leicht, humorvoll, lebendig und mich sehr ansprechend. Wunderbar. Einige Wochen später habe ich den Menschen dazu kennengelernt. Dieser wirkte auf den ersten Blick introvertiert und eher nicht gesprächig. Die Stärken dieser Person liegen nicht in der persönlichen Begegnung – zumindest nicht in der ersten. Ohne die besagte Mail wäre mein Eindruck ein ganz anderer als mit und mein Interesse auch. Ohne die besagte Mail würde ich vielleicht keine weitere Begegnung wünschen oder gar initiieren. Es wäre schade um den Kontakt, aber das weiß ich nur, weil der Mensch die Chance einer „blind audition“ bei mir hatte…

Gott, der Vater

„Barmherzig und gnädig ist der Herr, geduldig und von großer Güte. … Er handelt nicht mit uns nach unseren Sünden und vergilt uns nicht nach unserer Missetat. … Wie sich ein Vater über Kinder erbarmt, so erbarmt sich der Herr über die, die ihn fürchten.“
Psalm 103, 8+10+13

Ich habe ein Video gesehen. Es zeigt ein knapp dreijähriges Kind, das seinem Vater stolz den selbstgebackenen Erdbeerkuchen für Oma präsentiert: Er besteht aus gleichmäßig auf dem Küchenboden verteiltem Mehl, diversen Back-Utensilien und einem trockenen (!!!) Tuch, mit dem der kleine Kerl schon versucht hat, die Spuren wieder aufzuwischen… Der Vater hinter der Kamera bleibt ruhig und ermutigend: „Ach, da wird Oma sich aber freuen! Und wer räumt später wieder auf?“ Antwort: „Das mach ich selbst.“

Herrlich. Natürlich wird das Kind nicht selbst aufräumen, natürlich wird das Chaos vollständig von den Eltern beseitigt werden müssen. Natürlich hat der Junge einfach gemacht, ohne zu fragen, ist das Ergebnis auch nicht annähernd einem Kuchen ähnlich – und zieht sich eine schöne Mehlspur durch das halbe Haus. Und natürlich könnten sich die Eltern über all das ärgern.

Wenn man von außen drauf schaut, ist das kurze Video vor allem eins: ein wunderbares Beispiel von gutem Willen beim Kind und Engelsgeduld beim Vater. Wenn wir in bester Absicht und voll Vertrauen zu Gott kommen wie ein Kind zu seinem Vater, dann ist Gott so: Geduldig und liebevoll, den guten Willen und die Motivation sehend, nicht das Unvermögen und vor allem nicht das unschöne Endergebnis. Darum kümmert sich der Vater später – beziehungsweise hat es durch Jesus schon getan.

Hauptsache mitspielen?

Das Zusammenspiel von mehreren Instrumenten oder Stimmen kann sehr schön sein. Jedes Instrument, jede Stimme für sich ist wichtig, aber erst im Miteinander entsteht der besondere Klang eines Orchesters, einer Band, eines Ensembles oder eines Chors. Die Hauptsache in einer Gruppe ist nicht das Vermögen des Einzelnen – ICH, sondern die richtige Balance – WIR. Jeder einzelne Musiker kann sich noch so sehr mühen; für eine gute Balance sollte einer sorgen, der „nicht mitspielt“. Ein Dirigent, der Mensch am Mischpult, ein erfahrener Zuhörer. Wenn alle Mitspieler das tun, was der sagt, der nicht mitspielt, wird aus vielen wohlklingenden ICHs der Hörgenuss WIR.

Party

Zwei Kinder sind auf verschiedenen Geburtstagsfeiern. Meine Tochter übernachtet dort, mein Sohn kommt von seiner Party nachts noch nach Hause. Ich rechne damit, dass sie mir am nächsten Tag auf Nachfrage kurz berichten, wie es war. Weit gefehlt, denn: Noch in der Nacht weiß meine Tochter, was ihr Bruder bei seiner Party macht, und wird es mir am nächsten Tag – ungefragt – erzählen. Wieso? Ihre Freundin ist in einer digitalen Was-weiß-ich-Gruppe mit einem Mädchen, das auf derselben Party weilt. Zwar fragen meine Tochter, deren Freundin und ich nicht, was genau mein Sohn auf seiner Party erlebt. Informiert werden wir trotzdem. Privatsphäre adé.

Das wäre mir in seinem Alter auf den Keks gegangen.

Erkenntnis

Bei Teenagern haben Stimmungen eine kurze Halbwertzeit. Das ist manchmal gut, manchmal schade – und ähnlich berechenbar wie die Wechselhaftigkeit des Wetters an der Küste. Trotzdem mag ich beide: Teenager und Küsten. Nur nicht immerzu in meiner Nähe.

Sehenswert

„Ich fand den Film sehenswert“, sage ich, „und du?“ Mein Mann zögert kurz und antwortet dann: „Kannst du ihn mir erklären?“ Wir haben gerade zusammen „Kindeswohl“ geschaut. „Was soll man da erklären?“, denke ich, „Der Roman wurde gut umgesetzt, und das Thema an sich ist schon interessant.“

Ich versuche es trotzdem: Abgesehen davon, dass es um eine Auseinandersetzung mit dem Gesetzesverständnis der Zeugen Jehovas geht, ist es ein Film über eine Frau. Und ihre Fähigkeiten im Beruf, die ebenso groß sind, wie ihre Unfähigkeiten in Beziehungsfragen: Eine Richterin, die zu viel arbeitet, trifft Entscheidungen im Gerichtssaal. Dort ist sie klar, entschieden, souverän. Zu Hause liegt ihre Ehe in Scherben. Dann kommt ein Fall, für den sie – freiwillig – den Gerichtssaal verlässt und einem jungen Mann das Gefühl gibt, kein Objekt, sondern ein Mensch zu sein. Ihre Entscheidung danach im Gericht ist wieder klar, entschieden und souverän. Als aber dieser Jugendliche hinterher Kontakt zu ihr aufnehmen, ihr danken will und eine (wie auch immer geartete) Beziehung zu ihr möchte, weist sie ihn fast schroff ab. Am Ende verweigert er sich – auch wegen ihres Verhaltens – dem Leben. Mit dieser Schuld wird sie immer leben müssen.

Man kann natürlich darüber streiten, wie sie sich sonst hätte verhalten sollen, ob eine Vermischung von Beruf und Privatsphäre möglich und schlau gewesen wäre. Natürlich kann sie als Richterin nicht jeden Fall wortwörtlich mit nach Hause nehmen. Darum geht es aber gar nicht – meiner Meinung nach. Für mich geht es darum, dass das Gesetz allein nicht genug ist für das Leben: Als Richterin wollte die Frau, dass der junge Mann lebt; als Mensch wollte sie mit ihm nichts zu tun haben. Das reichte dem jungen Mann nicht zum Leben-Wollen.

Die Geschichte illustriert ganz hervorragend, wie schwierig manchmal richtig und falsch voneinander zu trennen sind, wie komplex das Leben ist und wie schwierig manche Fragen im Leben zu beantworten sind. Ganz abgesehen davon, dass solche Gedankengänge nicht jeden gleichermaßen interessieren und ich vielleicht mit meiner Interpretation ganz falsch liege: Ich finde den Film allein aufgrund von Emma Thompsons Vorstellung sehr sehenswert. Das hätte mir schon gereicht.

Nicht schön

Abgesehen davon, wie modebewusst Männer sich kleiden, gibt es gewisse „Zusätze“, die kleidsam oder störend sind. Kürzlich fiel mir (mal wieder) ein Mann auf, der modisch gekleidet war und schlicht. Die schmale Hose entsprach dem heutigen Stil, das weiße Hemd auch. Soweit alles gut, aber etwas passte nicht: Handy, Portemonnaie und wahrscheinlich ein riesiges Schlüsselbund erzeugten ausgebeulte Hosentaschen – vorn und hinten. Ich habe wirklich keine Ahnung, wie Männer dieses Gepäckproblem geschickter angehen sollten. Handtaschen sind meiner Meinung nach keine Alternative. Aber diese Beulen sind einfach nicht schön.

Mal schauen

Hinsichtlich meiner Garderobe verwende ich gern weiter, was andere Menschen aussortieren. Es gefällt mir, wenn ich tragen kann, was es ohnehin schon gibt. Außerdem ist mir die Fülle an Angebot oft zu viel – die Entscheidung für DAS Richtige fällt mir schwer. Deshalb überlasse ich die Vorauswahl gern jemandem, der einen mir gefälligen Stil hat und bereit ist, seine Sachen abzugeben. Wo geht das besser als auf einem Flohmarkt? Genau. Da kann ich mal schauen und mich überraschen lassen. Einziges Problem: Ich bin kein Flohmarkt-Fan. Es macht mir keinen Spaß, die einzige Perle unter jeder Menge Ramsch zu suchen. Aber dieses Wochenende gibt’s einen klitzekleinen, sehr überschaubaren Flohmarkt bei mir in der Nähe. Letztes Jahr war ich dort schon einmal sehr erfolgreich. Dieses Jahr versuche ich es wieder. Vielleicht finde ich etwas, vielleicht nicht. Ohne konkrete Vorstellung kann ich ganz entspannt mal schauen!

Wie praktisch

Eine Lebensphase im Leben vieler deutscher Familien ist die Phase der Plastikdosen. Die Familie wächst, der Bedarf an Behältern jeglicher Art ebenso: Salatschüsseln, Vorratsdosen, Brotdosen und so weiter. Nur von vornherein und ganz Entschlossenen gelingt es, an einem bestimmten Plastikdosen-Produzenten komplett vorbei zu kaufen. Zu diesen gehörte ich nicht. Ich wurde hin und wieder eingeladen und habe einige Produkte erstanden. Sie sind lange haltbar – das ist ein wichtiges Markenzeichen der Firma. Dies ist sehr praktisch: Ist man einmal ausgestattet, bleibt man das ein halbes Leben lang. In der Hälfte danach muss man nicht mehr so viel aufbewahren.

Aus anderer Perspektive oder ein paar Jahre später kann die gute Haltbarkeit aber auch unpraktisch sein: Mein Mann zum Beispiel steht mit manchen Verschlüssen der Firma auf Kriegsfuß. Seiner Meinung nach sind diese weder gut durchdacht noch praktisch. Er sehnt den Tag herbei, wenn wir uns von bestimmten Behältern trennen werden. Weil wir erst entsorgen, wenn Dinge kaputt sind, wartet er wahrscheinlich noch eine Weile.