Verzicht oder Gewinn?

Es fühlt sich anstrengend an, auf Nahrung zu verzichten – ich habe Hunger, mir ist kalt, ich bin müde. Manchmal kommen noch Kopfschmerzen hinzu. Trotzdem esse ich hin und wieder für eine begrenzte Zeit nicht, denn es tut mir gut: Zeitlich begrenztes Fasten wirkt sich NUR positiv aus – und ist ein Gewinn für Körper und Seele.

Ich schätze, dasselbe gilt, wenn man auf anderes verzichtet: Konsum, Grübelei, Medien, Geschäftigkeit, Geräusche … 

Vom Fasten

Ich friere, bin müde und habe Kopfschmerzen – und das nur, weil ich seit ein paar Stunden auf Nahrung verzichte: Ich bin erstaunt, wie schnell mein Körper auf diesen Entzug reagiert. Mein Mann und eine meiner Töchter fasten auch. Das hilft mir ebenso wie die Tatsache, dass ich mich normal beschäftige und zeitig schlafen gehe. Außerdem denke ich in kurzen Etappen – 36 Stunden würde ich gern schaffen. Der erste Tag fällt mir am schwersten; abends gehe ich mit einer Wärmflasche ins Bett – und schlafe glücklicherweise wie ein Stein. Also entscheide ich mich für weitere zwölf Stunden: „Jetzt bin ich schon so weit, da geht noch mehr.“ Am zweiten Tag lässt der nagende Hunger ein wenig nach, die Kopfschmerzen ebenso; nur die folgende Nacht ist unruhig und nicht erholsam. Tag drei wird dennoch am besten: Ich fühle mich wunderbar, habe keine Kopfschmerzen und kaum Hunger. Gedanklich bin ich hellwach und kann mich gut konzentrieren. Am späten Nachmittag esse ich ein Brot mit Butter und einen Apfel; beides schmeckt besonders. So verwandelt sich eine Anstrengung in eine gute Erfahrung, aus einer Nacht und einem Tag werden schließlich drei Nächte und (knapp) drei Tage. 

Zu fasten ist anstrengend und tut trotzdem gut. Für einen überschaubaren Zeitraum stelle ich fest: Wenn der Körper verzichtet, gewinnt der Geist. 

Voll

„Mein Leben ist ganz schön voll, zu voll“, höre ich immer öfter. Gemeint ist die Fülle an Arbeit, Familie, Unternehmungen. An sich ist alles schön, gut und wichtig, aber in der Summe ist das Leben von vielen Menschen zu voll. Was fehlt, ist eine gute Balance von Anspannung und Entspannung.

Neben beruflichen Entwicklungschancen (die lasse ich hier mal außen vor) gibt es zahlreiche Möglichkeiten: persönliche Hobbys, Freizeitangebote, Reiseziele, Kultur – diese Vielfalt ist großartig. Auch ich könnte mich in Aktivitäten verlieren.

Ich würde gern:

  • einen Tanz-Workshop machen,
  • in einem Laien-Chor singen,
  • solange Handstand üben, bis ich ihn sicher stehen kann,
  • mit Muße an einem Fotokurs teilnehmen,
  • mich der englischen Sprache nicht nur durch Bücher und Filme aussetzen, sondern sie richtig studieren,
  • doch nochmal Klavierunterricht nehmen (???),
  • Themenabende veranstalten und in kleiner Runde über Geschichte und Politik austauschen,
  • bei einem „personal trainer“ Kraulschwimmen lernen,
  • einmal die Woche klettern gehen,

All das sind keine unerfüllbaren Träume – die gibt es noch zusätzlich -, all das wäre theoretisch machbar und realisierbar. Vielleicht nicht alles auf einmal, ich müsste mich entscheiden. Noch aber scheitert die praktische Umsetzung an gewissen Grenzen: Meine Kraft, meine Kapazität, meine Zeit – nichts davon steht mir unbegrenzt zur Verfügung. Letztlich ordne ich meine persönlichen Wünsche dem Gesamtpaket unter. Es ist mir bewusst, dass ich nicht alles machen kann, was ich gern machen würde: Dann machte ich vor allem eins irgendwann – schlapp. Also verzichte ich freiwillig und lasse Dinge sein, die – wie man so schön sagt – derzeit nicht dran sind. „Es passt noch nicht“ bedeutet dabei nicht das Eingestehen einer Niederlage, sondern den weisen Umgang mit meinen Ressourcen. Verzicht ist nicht nur schlecht. Etwas nicht zu tun, verhindert, dass mein Leben zu voll wird. Und das ist mir wichtiger, als alles „unterzubringen“, was schön und möglich wäre.