Reisevorbereitungen als Lebensschule

Um mich für meine England-Reise im Herbst zu rüsten, lese ich das Buch „Watching the English“ von Kate Fox. Es löst in mir Erheiterung aus, Erstaunen und ist so umfassend geschrieben, dass ich WEISS: Ich werde die unausgesprochenen Regeln des (verbalen) britischen Umgangs auf jeden Fall brechen. Und – die Briten werden höflich genug sein, mich das nicht spüren zu lassen.

Was ich aber über junge Männer an einer Stelle lese, lässt mich innehalten und eine gedankliche Schleife drehen. Es geht um männliche Heranwachsende, die sich normalerweise in Kneipen oder auf Parties laut und leicht aggressiv verhalten, die vielleicht sogar eine gewisse kriminelle Energie mit sich bringen – oder nur zu viel Testosteron. Gehen diese jungen Männer zu einem Pferderennen, benehmen sie sich anders. Kate Fox schreibt über sie (frei übersetzt): „Ihr relativ zivilisiertes Benehmen beim Pferderennen setzt alle landläufigen Überzeugungen zur Ursache von Chaos und Gewalt außer Kraft und beweist, dass es für Horden junger Männer durchaus möglich ist, sich zu versammeln, zu spielen und große Mengen Alkohol zu trinken – und das alles bei einem großen Sportereignis -, ohne sich zu schlagen oder in anderer Weise für Ärger zu sorgen. Sie mögen laut sein und demonstrativ auftreten, aber sie sind nicht aggressiv, sondern bemerkenswert wohlerzogen: Sie halten Frauen die Türen auf, sagen ´Danke` und ´Bitte`, und wenn sie betrunken in dich hineintorkeln, entschuldigen sie sich.“ Und später schlussfolgert sie, woran das liegen könnte: „Wenn junge Männer wie verantwortlich handelnde Menschen behandelt werden, verhalten sie sich als solche. Behandelt man sie als Kinder oder als nicht zurechnungsfähige, wilde und verantwortungslose Biester – verhalten sie sich entsprechend.“

Mir kamen sofort meine größeren Kinder in den Sinn, die sich herantasten ans Erwachsensein. Was traue oder mute ich ihnen zu, inwieweit vertraue ich ihnen? Ich möchte ihr Rumprobieren mit dem Großwerden gern unterstützen und aushalten und bin unsicher, welche Rolle ich dabei spiele. Ich frage mich: Wie hilfreich sind ab einem gewissen Alter Kontrolle und Detailfragen? Müssen wir wirklich über alles reden, nur weil sie ihre Füße noch unter unseren Tisch stellen? Andererseits aber auch: Inwieweit halten sie die Konsequenzen ihres Handelns aus? Der Übergang hin vom Kind zum erwachsenen Gegenüber fällt mir nicht in den Schoß; ich bin darin nicht so gut. Ich finde beides schwierig, das Loslassen und das konsequente „In-die-Pflicht-Nehmen“. Ich probiere noch herum – genau wie meine Kinder…

Verleihen

Was verleihe ich gern? Alles. Mir fällt spontan nichts ein, was ich nicht verleihen würde, obwohl ich an manchem Besitz hänge. Der finanzielle Wert der Gegenstände ist dabei irrelevant. Das Auto: Ich schätze es als praktisches Hilfsmittel sehr und möchte es nicht missen. Wenn jemand anders es braucht, kann er es benutzen. An meinem Fahrrad liegt mir mehr, ich benutze es häufiger als das Auto, aber auch das würde ich verleihen. Einige meiner Klamotten werden ohnehin gern von meiner Tochter ausgeliehen und mitgenutzt.

Ich habe auch kein Problem, mir etwas zu leihen: Ich gehe sorgsam mit meinem eigenen Besitz um und ebenso sorgsam mit dem Besitz anderer. Auch wenn dieser Besitz mir nicht so am Herzen liegt.

Wenn jemand etwas nicht gern verleiht, mache ich einen Rückzieher: Dann will ich die Sache nicht haben. Das hat nichts mit Stolz zu tun, sondern eher mit einem gewissen Misstrauen, das ich verspüre: Geht das gut? Der Sache darf in meiner Obhut nichts passieren. Und irgendwie unterminiert dieses Misstrauen das Vertrauen in meine eigenen Fähigkeiten. Das macht mich unsicher – und vielleicht sogar unzuverlässig. In diesem Zustand möchte ich selbst nicht mehr mit fremdem Eigentum umgehen müssen.

Verleihen geht nur mit Vertrauen. Ich vertraue sogar Menschen meine Kinder an. Solange ich das tue, kann ich alles andere mit leichter Hand verleihen.

Vertrauen

„Wenn unser Gott, den wir verehren, will, so kann er uns erretten aus dem glühenden Ofen und aus deiner Hand, o König, kann er erretten. Und wenn er´s nicht tun will, so sollst du dennoch wissen, dass wir deinen Gott nicht ehren und das goldene Bild, das du hast aufrichten lassen, nicht anbeten wollen.“
Daniel 3, 17+18

Von meinen Kindern Lektionen zu erhalten, ist manchmal nicht einfach, manchmal wunderbar. Kürzlich hatte eine den Titel „Vertrauen“: Der Jüngste und ich fahren Rad. Wir nähern uns der lästigen Bedarfsampel auf dem Heimweg, die für Radfahrer nur auf Grün schaltet, wenn man das anfordert. Jemand anders hat das glücklicherweise getan. Die Ampel springt auf Grün – und wenn wir uns beeilen, schaffen wir es noch. Ich gebe Gas, mein Sohn schaut kurz zu mir, ich rufe „Los, fahr weiter!“, und er macht genau das. Obwohl die Ampel für die erste Fahrbahnhälfte da schon rötlich schimmert und er genau weiß, dass man das nicht tut. Obwohl er schon neun ist und selbständig im Straßenverkehr ein sehr aufmerksamer und guter Radfahrer ist. Verstand ausgeschaltet und auf Mama gehört.

Trotz des Rechtsbruchs (oder gerade deswegen?) hat es mich heute Morgen sehr gefreut. Es ist noch da, dieses unbedingte Vertrauen in mich. Ich hoffe, dass er es sich erhält und überträgt auf seinen Vater im Himmel – auch wenn es sich manchmal menschlich unangebracht anfühlt, alle Hoffnung auf IHN zu setzen. Auch wenn alle Zeichen auf Rot stehen, denken: Ich will die eine Stimme raushören, der ich vertrauen kann, auf die ich hören kann, die es IMMER gut mit mir meint. Vertrauen, bedingungslos.