Deutsche Sprache, schwere Sprache

„Bitte kein Fahrrad vor dem Geschäft stellen“, lese ich auf einem selbst geschriebenen Schild in der Innenstadt. Das, denke ich, vor das Geschäft stellen, muss es heißen. Oder aber kein Rad vor dem Geschäft ab– oder hinstellen – und sich selbst bitte gern anstellen oder auch in dem Geschäft vorstellen.

Ich kann jeden Nicht-Muttersprachler verstehen, der hier durcheinanderkommt.

Vorsicht mit Worten

In mehreren Zeitungsartikeln, die sich mit der vergangenen Corona-Zeit befassen, lese ich von Impfgegnern. Jedesmal klingt es abfällig wie ein Schimpfwort – und steckt Menschen pauschal in eine Schublade. Impfgegnern traut man zu, Alu-Hut-Träger, rechtsradikaler Demonstrant und/oder Corona-Leugner zu sein, gern auch demokratiefeindlich. Sehr wahrscheinlich ist nichts davon wahr, aber das Szenario im Kopf ist eindeutig negativ konnotiert. Dabei wissen wir nicht erst heute: Die mit Impfgegner Titulierten haben weder die Pandemie verlängert noch andere gefährdet und auch keine Umsturzpläne geschmiedet. Schlimmstenfalls erhöhten sie ihr eigenes Ansteckungsrisiko – freiwillig und völlig legitim. Jegliches unfreundliche Kategorisieren war und ist also fehl am Platz.

Im Zusammenhang mit Corona ist das Wort Impfgegner außerdem undifferenziert: Diejenigen, die sich nicht gegen Covid-19 impfen ließen, sind keineswegs alle Gegner des Impfens allgemein. Die Zahl der tatsächlichen Impfgegner, die Impfungen grundsätzlich ablehnen, ist verschwindend gering. Und auch diese bewegen sich in den meisten Fällen auf legalem Boden. Den Begriff Impfgegner hinsichtlich der Pandemie noch immer zu bemühen ist mindestens unglücklich – vielleicht sogar missbräuchlich. Schwarz auf weiß macht es nicht besser.

Dieselbe Sprache?

Vor einiger Zeit lasen wir einen Liedtext von Paul Gerhardt, in dem es hieß:

„Ich will von deiner Lieblichkeit bei Nacht und Tage singen, mich selbst auch dir nach Möglichkeit zum Freudenopfer bringen. Mein Bach des Lebens soll sich dir und deinem Namen für und für in Dankbarkeit ergießen; und was du mir zugut getan, das will ich stets, so tief ich kann, in mein Gedächtnis schließen.“

Die verwendete Sprache ist zwar Deutsch, aber mehrere hundert Jahre alt und dadurch schwer verständlich und sperrig: Es ist dieselbe Sprache und doch nicht dieselbe Sprache. Wenn ich mich auf solche Liedtexte einlasse und auf die Wahrheit dahinter, kann ich sie mögen. Leichter ist es, mich von der „alten Sprache“ abschrecken zu lassen und die Wahrheit der Worte gar nicht zu hören.

Ein neueres Lied von Albert Frey bringt etwas ähnliches zum Ausdruck, hört sich aber ganz anders an:

„Jeden Tag ein Stückchen sterben, loszulassen, was mich hält. Vieles muss noch anders werden, bis es passt in Gottes Welt. Manche Träume muss ich lassen, Wünsche bleiben unerfüllt. Mir bleibt nichts als zu vertrauen, dass du meine Sehnsucht stillst. Jesus, nimm zu in meinem Leben; Jesus, mein Herz will ich dir geben. Du sollst wachsen, und ich muss kleiner werden; Jesus, nimm du in mir zu.“

Bei diesem Text kann es noch immer passieren, dass ich mich ihm von vornherein verschließe. Das hat dann aber nichts mit dem veralteten Deutsch zu tun, sondern mit der fehlenden Überzeugung, dass Gott und Jesus relevant sind für unser Leben.

Eine spekulative Betrachtung

Es interessiert mich, was Wolf Schneider zu Herbert Grönemeyer sagen würde – und anders herum. Der eine gilt schon Jahrzehnte als der „beste Deutschlehrer der Nation“, der andere prägt seit meiner Kindheit die deutschsprachige Musik. Durch Herbert Grönemeyer ist Bochum für mich mehr als der Name einer Stadt, obwohl ich noch nie dort war.

„Bochum, ich komm aus dir, Bochum, ich häng`an dir – oh Glückauf, Bochum!
Du bist keine Schönheit, vor Arbeit ganz grau. Ich lieb` dich ohne Schminke, bist `ne ehrliche Haut, leider total verbaut – aber gerade das macht dich aus!“

Aufgrund eines anderen Liedtextes ahne ich: Gehörlose Menschen empfinden laute Geräusche anders als ich.

„Sie weiß nicht, dass der Schnee lautlos zu Boden fällt, merkt nichts vom Klopfen an der Wand.
Sie mag Musik nur, wenn sie laut ist, das ist alles, was sie hört.
Sie mag Musik nur, wenn sie laut ist, wenn sie ihr in den Magen fährt.
Sie mag Musik nur, wenn sie laut ist, wenn der Boden unter den Füßen bebt.
Dann vergisst sie, dass sie taub ist …“ 

Die Sätze sind kurz und prägnant, verständlicher geht es nicht. Herbert Grönemeyers Vergleiche sind bildhaft und überraschend, sie lassen mich aufhorchen. All das könnte Wolf Schneider gefallen. Die Lektüre seiner Bücher offenbart seine Liebe zu einfachen Sätzen. „Im Hauptsatz liegt die Kraft“, schreibt er, mehr noch: „Hauptsätze sind die erste Wahl.“ Direkt danach lese ich: „Der Nebensatz, sinnvoll angehängt, schafft Abwechslung.“ (Wolf Schneider in „Deutsch für junge Profis“)

Wie gesagt: Ich weiß nicht, ob Wolf Schneider die Texte von Herbert Grönemeyer mag. Genauso wenig kann ich beurteilen, ob Herbert Grönemeyer sich an Wolf Schneiders Ratschlägen orientiert. Ich mag beide und finde, sie gehen ähnlich sorgfältig mit der deutschen Sprache um. Es interessiert mich, ob sie das auch so sehen.

Wort + Wort = Sprache?

Wörter eröffnen Möglichkeiten. Je größer mein Wortschatz, desto differenzierter kann ich mich ausdrücken – auch in einer Fremdsprache. Klingt einfach, ist es aber nicht, denn: Für ein deutsches Wort gibt es oft mehrere englische. Ein Beispiel sind die vielen möglichen Übersetzungen für „Möglichkeit(en)“:

opportunity, possibility, chance, option, alternative, ways

Jedes dieser Worte setzt einen anderen Schwerpunkt – Gelegenheit, Alternative, Wahrscheinlichkeit etc. Mein Mann kann die Unterschiede sehr treffend auf den Punkt bringen – und hat sie mir schon des öfteren erklärt. Ich kann sie mir leider nicht ebenso umfänglich merken; so zielgerichtet lerne ich nicht. Mein Englisch-Lernen beschränkt sich auf Bücher, Videos und gelegentliche Gespräche mit Muttersprachlern. Ich beherrsche die Sprache ganz gut, aber nicht fehlerfrei; trotzdem benutze ich die möglichen englischen Worte für „Möglichkeit“ (irgendwie unbewusst?) meist richtig.

In meinem Umfeld kommt es nicht auf perfektes Englisch an: Ich MUSS es nicht, aber ich MÖCHTE mich richtig ausdrücken können. Englisch – quasi theoretisch – am Schreibtisch zu lernen, ist dennoch unattraktiv für mich und funktioniert nur begrenzt. Wahrscheinlich liege ich dadurch manchmal knapp daneben mit meiner Wortwahl. In diesem Fall rechne ich mit der Möglichkeit eines barmherzigen Gesprächspartners.

Mittagsstunde

Bücher begeistern aus den unterschiedlichsten Gründen. Sie können alles mögliche sein: informativ, spannend, unterhaltsam, erschütternd, anrührend – und sind hoffentlich gut geschrieben. Manche mag man gar nicht wieder weglegen, wenn man einmal angefangen hat. Ich glaube, bei vielen guten Büchern ist der Inhalt ein bisschen wichtiger als die Sprache: Wenn man fertig gelesen hat, tut es einem leid, dass die Geschichte vorbei ist.

Seltener sind die Bücher, die man vor allem deswegen nicht weglegen mag, weil sie so schön geschrieben sind. In denen ist die schöne Sprache ein bisschen wichtiger als der Inhalt. So ein Buch ist für mich „Altes Land“ von Dörte Hansen. Die Frau benutzt wunderschöne Sätze, um eine Geschichte zu erzählen. Ich habe das Buch sogar ein zweites Mal gelesen, mit Begeisterung – und das ist wirklich sehr besonders.

Im vergangenen Herbst ist Dörte Hansens zweites Buch erschienen – „Mittagsstunde“. Weil meine Schwester weiß, dass ich immer auf die Taschenbuchausgabe warte, hat sie mir das Buch einfach mal so geschenkt. Meine Erwartungen waren hoch, daher habe ich mit dem Lesebeginn ein wenig gezögert. Vor ein paar Tagen habe ich angefangen und lese „Mittagsstunde“ nun in meiner persönlichen Mittagsstunde. Die ist lang genug, um ein bisschen in Dörte Hansens schönen Formulierungen zu versinken, und kurz genug, um nicht so schnell fertig zu werden. Denn: Die Frau benutzt wieder wunderschöne Sätze, um eine Geschichte zu erzählen.