Das Pferd wiegt etwa 400 Kilogramm, ich deutlich weniger. Trotzdem lässt es sich jede Woche von mir putzen, satteln, trensen und dann sogar reiten. „Das hast du super hinbekommen, Dagmar“, lobt mich meine Reitlehrerin, wenn mir etwas gelingt. Ich freue mich und schiebe trotzdem jeden Erfolg auf das Pferd: „Na, der ist ja auch schlau; er weiß beim dritten Schrittwechsel, was ich von ihm will.“ Die Reitlehrerin verdreht die Augen: „Stimmt, aber wenn Pferde nicht schlau wären, würden sie sich überhaupt nicht von uns reiten lassen. Du machst das wirklich gut.“ Es ist wunderbar, dass sich dieses große, lebendige Wesen von meinen noch stümperhaften Muskelhilfen bewegen und motivieren lässt. Ich staune darüber – und über meine Freude am Zusammensein mit diesem Tier. Nach anderthalb Monaten erwische ich mich dabei, wie ich „mein Süßer“ zu ihm sage…
Zu kurz oder lang genug?
Ich kenne jemanden, der sagt, das Leben sei zu kurz – für schlechte Flachbildschirme, für langsame Autos, nicht gedämpfte Turnschuhe, undichte Regenjacken oder minderwertige Soundanlagen… Manchmal amüsiert mich seine Einstellung, aber sie beeindruckt mich auch: Es ist ihm wichtig, das Leben hier auf dieser Erde zu genießen. Er liebt schöne Dinge; aber er weiß auch, dass diese nicht entscheidend sind. Deshalb pflegt er treu seine Freundschaften, ist ausgesprochen großzügig und zuverlässig, unterstützt und fördert Menschen – selbst wenn sie anderen Überzeugungen frönen, ist ein guter Chef (mit Leitungskompetenz) und einiges mehr.
Ich möchte lernen von seinem Mut, sich intensiv dem zu widmen, was ihm wichtig ist: Mein Leben ist zu kurz für Zurückhaltung. Zwar bin ich jenseits der Lebensmitte, aber das soll mich nicht bremsen. Wie heißt es: Wir bereuen eher, was wir nicht gemacht haben. Also werde ich demnächst Reitstunden nehmen. Erstmal für ein paar Monate – danach sollte ich wissen, ob mein Leben lang genug ist für ein neues Hobby.