Praktischer Luxus

„Das ist der schönste Laden, den ich je gesehen haben“, platzt es aus einem Erstkunden heraus. „Das stimmt“, lautet die lakonische, aber selbstbewusste Antwort des Mannes hinter dem Tresen. Ich bin in einem auch aus meiner Sicht ganz besonderen Feinkostgeschäft – im originalen Charme des 19. Jahrhunderts, aber Klima-gekühlt. Die Regalböden sind dieselben wie schon vor 150 Jahren und biegen sich buchstäblich unter der Last der Waren: Gläser mit Honig, verschiedenste Senfsorten, feine Pasteten, Schokoladenartikel, Kräutermischungen zum Anrühren, Öl und Essig in vielen Aromen … und natürlich vor Ort gerösteter Kaffee. Alles steht dicht an dicht, die Auswahl ist außergewöhnlich – und exquisit. 

Wer ein originelles Mitbringsel benötigt, eine raffinierte Spezialität, ein einzigartiges Aroma – irgendetwas, das man sich nur in Ausnahmefällen selbst kauft: In diesem Laden findet man Geschenke für Menschen, die sonst alles haben (aber nicht dekadent). Hier gibt’s praktischen Luxus zum Mitnehmen; auch heute gehe ich nicht mit leeren Händen nach Hause.

Wie praktisch!

Gerade heute habe ich mich neu in unser Auto verliebt – Hals über Kopf und völlig unerwartet. In den knapp sechs Jahren, seit wir dieses Auto fahren, hatte ich einiges auszusetzen: eingeschränkte Sicht im Rückspiegel, ab 140 Stundenkilometer ziemlich laut, in der Regel teure Reparaturen, eine Klima-Anlage, von der eigentlich nur die beiden vorn Sitzenden etwas haben … Jetzt will unser Sohn mit zwei Freunden zusammen ziehen und braucht einen Transporter: Vom Volumen her ist unser Wagen genau richtig – nur die Rückbänke sind im Weg. Ein Blick ins Handbuch, ein Anruf bei meinem Lieblings-Monteur und vier Handgriffe später ist es passiert: Unser Acht-Sitzer ist ein Zwei-Sitzer – und hat im Innenraum reichlich Platz für alles, was die drei jungen Männer transportieren müssen. Unschlagbar praktisch – ich liebe es! 

Intellektuell – oder praktisch

Nicht jeder Universitätsabsolvent ist automatisch intellektuell: Auf mich zum Beispiel trifft dieses Attribut nicht zu. Ich verfüge über einen sachlichen Verstand und ein (wie auch immer geartetes) Denk- und Erkenntnisvermögen, ja; aber ich bin keine Intellektuelle. Denn ich bin nicht kopfgesteuert, auf hohem geistigen Niveau unterwegs oder verstandesbetont.

Nur wenige Menschen in meinem Umfeld würde ich intellektuell nennen, obwohl einige kluge Leute dabei sind. Die meisten von ihnen sind aber auch pragmatisch – und darin liegt meiner Meinung nach das „Problem“: Ich will zwar nicht behaupten, dass ein praktischer Mensch nicht auch intellektuell begabt sein kann. Aber ein Intellektueller hat seine Stärken vor allem im Geist. 

Wie praktisch

Eine Lebensphase im Leben vieler deutscher Familien ist die Phase der Plastikdosen. Die Familie wächst, der Bedarf an Behältern jeglicher Art ebenso: Salatschüsseln, Vorratsdosen, Brotdosen und so weiter. Nur von vornherein und ganz Entschlossenen gelingt es, an einem bestimmten Plastikdosen-Produzenten komplett vorbei zu kaufen. Zu diesen gehörte ich nicht. Ich wurde hin und wieder eingeladen und habe einige Produkte erstanden. Sie sind lange haltbar – das ist ein wichtiges Markenzeichen der Firma. Dies ist sehr praktisch: Ist man einmal ausgestattet, bleibt man das ein halbes Leben lang. In der Hälfte danach muss man nicht mehr so viel aufbewahren.

Aus anderer Perspektive oder ein paar Jahre später kann die gute Haltbarkeit aber auch unpraktisch sein: Mein Mann zum Beispiel steht mit manchen Verschlüssen der Firma auf Kriegsfuß. Seiner Meinung nach sind diese weder gut durchdacht noch praktisch. Er sehnt den Tag herbei, wenn wir uns von bestimmten Behältern trennen werden. Weil wir erst entsorgen, wenn Dinge kaputt sind, wartet er wahrscheinlich noch eine Weile.

Praktisch?

„Macht ihr heute Abend was zusammen, deine Freunde und du?“, frage ich meinen Sohn. „Ich weiß es noch nicht“, lautet die Antwort. „Wann weißt du das?“, versuche ich es weiter. „Das weiß ich auch noch nicht“, sagt er und grinst. „Mama, es ist nicht so einfach mit meinen Leuten. Das läuft alles ganz spontan.“

Ich habe eher den Eindruck, da läuft manchmal gar nichts vor lauter Spontaneität und „last minute“-Verhalten. Es könnte mir egal sein; es ist schließlich auch in Ordnung, nichts zu unternehmen. Trotzdem ist mir dieses Miteinander heutzutage ein Rätsel. Wahrscheinlich habe ich zu wenig Einblick, wie das mit den verschiedenen WhatsApp-Gruppen funktioniert, wer initiiert, wer reagiert, und wie es dann letztlich zu einer Entscheidung kommt. „Treffen wir uns?“, ist ein komplizierter Vorgang geworden, der tendenziell viel Zeit kostet. Dabei sollen die sozialen Medien doch letztlich praktisch sein und eine große Zeitersparnis. Sie bieten schließlich diverse Möglichkeiten, miteinander in Kontakt zu treten.

Aber vielleicht ist „praktisch“ gar nicht das, was heutzutage zählt. Vielleicht ist „praktisch“ die Denke einer Frau aus dem letzten Jahrhundert. Bei der Wahl der Kommunikationsmittel scheint es nicht um den Nutzen zu gehen, sondern um das Benutzen.