Langmütig

In einer Zeitschrift steht ein Erfahrungsbericht: Zwei – nicht miteinander – verheiratete Menschen lernen sich über ihre Kinder kennen und dann auch lieben. Beide Ehen seien zu dem Zeitpunkt eh schon am Ende gewesen, heißt es; trotzdem bleibt die Frau zunächst bei ihrem Ehemann. Insgesamt dauert es vier Jahre, bis die beiden neuen Partner zusammenziehen und in ihr Patchwork-Leben starten.

Der Gedanke, der den Mann so lange durchhalten und auf seine neue Freundin warten ließ: `Liebe ist langmütig.´ Der Satz ist großartig und steht in der Bibel, (1. Korinther 13, 4). In besagtem Fall klingt er total positiv und ausdauernd und treu und hingegeben und was weiß ich noch – scheint aber leider und offenbar nicht zu gelten für die Liebe zum jeweils ersten Ehe-Partner.

Es ist erstaunlich, wie sich mehr oder weniger ALLES irgendwie schönreden lässt, gern auch mit der Bibel. Von der Liebe heißt es dort außerdem noch, `sie ertragt, glaubt, hofft und duldet alles …. und hört niemals auf´ (1. Korinther 13, 7+8). Ich bin absolut dafür, die Bibel in Lebensfragen zu beherzigen. Aber wir sollten uns nicht nur dann auf sie berufen, wenn wir uns aufmachen zu spannenden neuen Abenteuern. Sie ist eine ebenso gültige und gleichzeitig herausfordernde Orientierungshilfe im manchmal mühselig gewordenen Alltag. Vor allem um der Kinder willen ist der neuen Liebe jedenfalls mehr Langmut zu wünschen als den jeweils vorhergegangen …

Liebe einmal anders

`Liebe kann auch bedeuten, sich rauszuhalten.´ Dieser schöne Satz steht in einem Artikel über eine blinde Frau, die täglich ihren 600 Quadratmeter großen Garten beackert. Ihr (sehender) Mann hilft ihr kaum – obwohl er sie liebt. Nur die Ernte übernimmt er teilweise: Schließlich kann sie nicht sehen, wann die Tomaten reif sind. Auch andere Dinge könnte er sicher besser und vor allem schneller, aber darum geht es nicht. Der Garten ist Sache seiner Frau; Effizienz spielt hier keine Rolle. Ihr Mann mischt sich nicht ein, vertraut seiner Frau und hält sich raus – weil er sie liebt.

Happily ever after? Eher selten.

In der Zeitung lese ich in regelmäßigen Abständen von `Vorzeige-Ehen´, die nach Jahrzehnten enden – meist in `gegenseitigem Einvernehmen´. Mich macht das traurig; was erwarten wir von einer Ehe? Happily ever after kann es kaum sein. Die meisten, die heutzutage heiraten, wohnen vorher schon unter einem Dach und kennen die Probleme gemeinsamen Lebens: Kein Ehepaar kommt ohne `Ja, aber´ durch die ersten zehn Tage – geschweige denn Jahre. Manche der Differenzen sind sicherlich höchst undramatisch; in anderen Momenten würde man den anderen dagegen ganz gern austauschen. Aber das geht nicht einfach so, ist selten eine gute Lösung – und wahrscheinlich nie die beste. „Ertragt einer den anderen in Liebe“, heißt es in der Bibel (Epheser 4, 2b); gemeint sind hier die Gläubigen in der Gemeinde. Wie viel mehr gilt für Ehepaare: Ertragt einander!

Eine meiner Großmütter verlor ihren Ehemann im Krieg – und lebte danach 57 Jahre als Witwe. „Ich wollte nie wieder heiraten“, sagte sie oft und sprach bis ins hohe Alter nur positiv über ihren Mann. Trotzdem wusste dieselbe (schlaue) Oma: „Liebe Seele hab´ Geduld, es haben alle beide Schuld.“

Wer so ehrlich ist, die Ehe als Arbeitsfeld darzustellen, weiß auch, dass beide Partner gleichermaßen zu Schwierigkeiten beitragen: Kommunikationsmuster, die nicht zueinander passen; egoistische Motive in ihrem und seinem Herzen; ein völlig gegensätzlicher Umgang mit dem ganz normalen Stress des Alltags – oder mit dem lieben Geld … Die schlechten Tage warten manchmal schon innerhalb der nächsten halben Stunde auf ihren Einsatz. Spätestens wenn sie die guten überwiegen, wird es schwierig; aber auch für solche Phasen gilt: Ertragt einander! Gerade wenn man am liebsten davonlaufen würde und sich `einvernehmlich trennen´ mehr als verlockend klingt. Es ist wunderbar, verheiratet zu sein – und gleichzeitig anstrengend. Aber jenseits der Ehe winkt nur scheinbar die Freiheit. Es ist nämlich ebenso wunderbar und gleichzeitig anstrengend, allein und für alles selbst verantwortlich zu sein. Mit dem Alleinsein muss man sich ebenso arrangieren wie mit einem geliebten Partner – die Frage ist, was man besser erträgt.

Ratgeber, Lehrer, Vorbilder, Mütter …

Von wem nehme ich Rat an? Von jemandem, der in ähnlicher Situation war oder ist, der sich irgendwie auskennt mit dem Schlamassel, in dem ich stecke. Was muss ein guter Lehrer mitbringen? Sachkenntnis.

Ein Trainer meines Sohnes konnte mit allen aus der Mannschaft mithalten – fußballerisch, von der Kondition und Kraft her, vor allem im Hinblick auf seinen Ehrgeiz. Mein Sohn hat ihn bewundert, für ihn hat er sich lang gemacht. Dann kamen eine unglückliche Niederlage, der Ärger des Trainers und ein blöder Abgang. Vorbei. Irreparabel kaputt das Trainer-Spieler-Verhältnis.

Sachkenntnis allein reicht nicht. Pädagogisches Geschick dann also:

Meine Pilates-Trainerin turnt nie vor. Trotzdem habe ich schon viel bei ihr gelernt. Sie sieht Fehler, korrigiert und weiß genau, wie sie jeden von uns herausfordert, ohne ihn zu überfordern. Worauf es ankommt, kann sie super vermitteln.

Sachkenntnis und pädagogisches Geschick – reicht das?

Die Reitlehrerin meiner Tochter ist gut, auch selbst auf dem Pferd. Während der Reitstunden zeigt sie nichts selbst, aber sie sieht alles und weiß, wie´s besser geht. Manchmal ist sie sehr streng und fordert meine Tochter über ihre Wohlfühlzone hinweg. Meine Tochter geht trotzdem gern zu ihr. Nicht nur, weil sie weiterkommt, besser wird, mit den schwierigen Pferden immer besser zurechtkommt. Vor allem merkt sie, dass ihre Reitlehrerin sie mag.

Sachkenntnis, pädagogisches Geschick und Zuneigung – ist eins am wichtigsten? „Die beste Botschaft findet ja viel leichter den Weg zum Herzen, wenn sie von einem geliebten Lehrer verkündet wird“, heißt es.

Bei mir als Mutter kommt zuerst viel Liebe zu meinen Kindern, dann eine Weile nichts. Mein pädagogisches Geschick ist manchmal mehr als mangelhaft, meine Sachkenntnis ein Stochern im Nebel. Ob das reicht, wird sich erst in Zukunft zeigen…