Die Krux mit dem Vergleichen

Auf meiner Laufrunde komme ich bei einer Bekannten vorbei; sie werkelt gerade in ihrem Garten herum. Es ist warm genug, so dass ich einen kleinen Zwischenstopp mit Plausch einlegen kann. Wir reden über dies und das. Ich hätte sie vor einiger Zeit motiviert, wieder regelmäßig laufen zu gehen, sagt sie: Im vergangenen Jahr habe sie dann noch ihre 1.000 Kilometer geschafft. Ich bin beeindruckt. Als ich weiterlaufe, überlege ich, wie viele Kilometer ich im Jahr schaffe – und komme `nur´ auf ungefähr 750 Kilometer. Sofort suche ich nach Erklärungen dafür, dass es nicht mehr sind: Ich bin wahrscheinlich zehn Jahre älter. Außerdem lege ich es nicht darauf an, die 1.000er Grenze zu knacken – und bin stattdessen aber wahrscheinlich zügiger unterwegs. Während meine Gedanken noch in dieser Richtung kreisen, werde ich innerlich still und denke: Es sollte mir egal sein. Seit Jahrzehnten laufe ich fröhlich und regelmäßig vor mich hin, ohne dass ich die Jahreskilometer auf dem Schirm habe. Die Leistung anderer ist ihre Sache und nicht relevant für MEINE Laufrunden. Ich bin nicht besser oder schlechter als sie, weil ich weiter, genauso weit oder kürzer laufe als sie!

Hin und Her und Hin

Hin: Morgens im Nieselregen fahre ich in voller Regenmontur mit dem Rad in die Stadt. `Wenigstens werde ich nicht nass´, denke ich und, `Mein heutiges Laufen fällt wohl buchstäblich ins Wasser!´. In dem Moment joggt jemand an mir vorbei und sieht weder klitschnass noch bedauernswert aus.

Her: Meine Sicht ändert sich schlagartig: Es ist gar nicht so kalt und regnet gar nicht so stark – von dem bisschen `schlechtes Wetter´ lasse ich mich sicher nicht vom Laufen abhalten. Für den Nachmittag nehme ich mir vor, nicht so zimperlich zu sein.

Hin: Am Nachmittag regnet es `volle Lotte´, der Wind bläst von allen Seiten – klassisches Angriffswetter. Über meine guten Vorsätze vom Vormittag schüttele ich den Kopf und setze mich stattdessen aufs Ruder-Ergometer: nicht ganz dasselbe, aber trocken und auch gut für Herz und Muskeln.

Vom Laufen

Einige Wochen war ich krank – und konnte keinen Sport machen. Dann fühlte ich mich fit genug, meinen Körper in Schwung zu bringen. Aber es war noch sehr, sehr kalt: kein Laufwetter für meine gerade wieder genesenen Atemwege. Ich wich aus aufs Rudergerät. Das war in Ordnung, vielleicht sogar gut, auf jeden Fall fühlte ich mich hinterher frisch und lebendig.

Ein paar Tage später ist es nicht mehr eisig kalt, sondern mild – Laufwetter. `Ich muss mich erst wieder rantasten´, denke ich vorher. Meine Runde kann ich beliebig und spontan verlängern oder abkürzen. Unnötige Überlegungen: Es läuft, ICH laufe, als hätte ich nicht wochenlang ausgesetzt. Beim Laufen fühle ich mich währenddessen schon frisch und lebendig!

Zu langsam? Ja!

Inspiriert vom Sportunterricht meiner Tochter versuche ich mich an 1.000 Metern auf Zeit – und orientiere mich an der Zeitvorgabe für die Klassenstufe 11. Im Vorfeld halte ich 15 Punkte für `durchaus machbar´, obwohl ich seit Jahrzehnten nicht mehr Mittelstrecke laufe, sondern Langstrecke trotte. Bei meinem ersten Übungslauf bin ich dann – zu langsam. Das ist natürlich einerseits logisch: Ich bin schließlich nicht 16, sondern 52 Jahre alt. Andererseits denke ich, ich sei noch immer ganz fix unterwegs. Subjektiv bin ich das: schnell für mein Alter und so. Objektiv bin ich eine lahme Ente. Es hat nichts mit mir persönlich, aber alles mit meinem Alter zu tun. Mittlerweile bin ich schlicht nicht mehr in der Lage, in Klassenstufe 11 über 1.000 Meter eine 1+ zu erreichen. Ein paar Tage später versuche ich es trotzdem noch einmal – und schaffe eine tolle Zeit. Für 15 Punkte würde es zwar (knapp) nicht reichen; mit dem Ergebnis kann ich trotzdem höchst zufrieden sein. 

Laufen – nur fast wie immer

Eine meiner Töchter läuft zu Hause regelmäßig; sie will das auch im Urlaub machen. Wir suchen uns eine Strecke raus und starten – aufgrund der hohen Temperaturen – erst am frühen Abend. Nach einem Kilometer ist das Ende der ersten Steigung noch nicht zu sehen. Meine Tochter ist niedersächsisches Flachland gewohnt; das ostwestfälische Hügelland fordert sie heraus: erheblich. „So eine besch… Laufrunde hatte ich noch nie“, ist eine der weniger drastischen Aussagen, die sie trifft. Wir unterbrechen den Lauf einige Male und gehen kurze, zu steile Abschnitte. Das dadurch mögliche Atemholen nutzt meine Tochter zum Schimpfen: „Wer geht denn hier freiwillig laufen, das mach´ ich nie wieder.“

Schon zwei Tage später ist der Ärger grundlegend verflogen. Dieselbe `besch… Runde´ weckt weniger Frust über als Lust auf die Herausforderung. Meine Tochter lässt sich vom hügeligen Gelände diesmal seltener zum Gehen zwingen. Dieser Ehrgeiz ist erstaunlich, hat aber deutliche Grenzen: Für `regelmäßig´ reicht meiner Tochter das niedersächsische Flachland … 

Laufen und Wind

Wenn es nicht junge Hunde regnet oder eisglatt ist, die Luft vor Hitze steht oder wir krank sind, gehen wir dienstags laufen – und donnerstags und einmal am Wochenende. Wir sind nicht dogmatisch, aber für regelmäßigen Sport ist eine gewisse zeitliche Struktur hilfreich. Vorgestern war Dienstag; es regnete nicht, nur die Ausläufer vom Sturmtief Sabine wehten noch über den Landkreis. Als wir uns also – vom böigen Gegenwind fast zum Stillstand ausgebremst – über unsere gewohnte Laufstrecke kämpften, gaben wir sicherlich ein komisches Bild ab. Mein Mann sprach`s aus: „Bei diesem Wetter jagen andere nicht einmal ihren Hund vor die Tür.“

Ich musste schmunzeln, konnte aber nicht antworten – dazu reichte meine Atemluft nicht. In Gedanken stimmte ich ihm zu: Wer uns sieht, denkt auch, wir hätten nicht alle Latten am Zaun, nicht alle Tassen im Schrank – oder nicht alle Flügel am Windrad. Mir fiel Frederick Buechners leicht spöttischer Kommentar zu Läufern ein: „Wenn du nicht von ihnen selbst wüsstest, dass sie beim Laufen Glücksgefühle verspüren – in ihren vom Schmerz verzerrten, leicht gequälten Gesichtern würdest du es nicht sehen.“ (Frederick Buechner, Whistling in the Dark, frei übersetzt) Es mag anders aussehen, aber wir laufen freiwillig und wirklich gern.

Allzweckwaffe

Ich bin schlechter Laune und unausgeglichen – ich gehe laufen.

Ich möchte meine Ruhe haben, eine halbe Stunde allein sein und nicht abgelenkt von häuslichen Pflichten – ich gehe laufen.

Ich hatte eine Erkältung und habe mich länger nicht wirklich bewegt – ich gehe laufen.

Ich will mich an der frischen Luft auspowern und habe keinen Bock auf Gartenarbeit – ich gehe laufen.

Ich will meiner Freundin mehr als was Nettes zu ihrem besonderen Geburtstag aufschreiben und brauche Ideen – ich gehe laufen.

Ich bin (vielleicht unberechtigt) wütend und weiß nicht wohin mit meiner Wut – ich gehe laufen.

Laufen ist eine Allzweckwaffe, geht (fast) immer, dauert nicht lange, ist total effektiv. Ich praktiziere das schon einige Jahrzehnte, mal sehen wie lange mein Körper noch mitläuft. Ab und an finde ich schon Gefallen an der Alternative – spazieren gehen.