Bescheiden oder stolz?

„Der Mensch sieht, was vor Augen ist; der Herr aber sieht das Herz an.“
1. Samuel 16, 7

In unserer Gemeinde hat fast jeder eine Aufgabe. Da sind zum Beispiel das Küchenteam, die Musiker und die Leute an der Technik. Einer hat das Geld im Blick, andere Mitarbeiter organisieren das Kinderprogramm, einige predigen. Wir alle halten regelmäßig das Gebäude in Schuss, zwei Handvoll kümmern sich betend um die innere Ordnung. Jeder trägt seinen Teil dazu bei, dass die Gemeinde lebt – äußerlich und innerlich. Dabei kommt uns die eine Aufgabe vielleicht bedeutsamer vor als die andere, aber Gott hat eine gänzlich andere Perspektive. Für ihn ist unsere Einstellung entscheidend als das, was wir tun: Ich kann mich fröhlich und bescheiden einbringen oder innerlich voller Stolz auf meinen Dienst sein. Der menschlich verständliche Gedanke `Ohne mich läuft hier nichts!´ ist nicht nur falsch, sondern auch vollkommen kontraproduktiv. Denn letztlich schadet er der Gemeinde (innerlich) mehr, als mein Tun ihr (äußerlich) nützt. Denn: „Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele?“ (Matthäus 16, 26) Das gilt für den Predigtdienst, der viele inspiriert, ebenso wie für die sehr vergängliche Tätigkeit des Putzens, die niemand sieht.

Welch ein Typ?

Unsere Nachbarn hatten mir fürs Haus-Hüten zwei Pflanzen geschenkt, die ich auf den Terrassentisch stellte. Nach einer Weile pflanzte ich die beiden Exemplare in den Garten; die Übertöpfe bestückte ich neu: erst mit Lavendel und später mit Stacheldraht (heißt wirklich so). Meine Freundin staunt über meine Deko-Qualiäten. „Die Sommerferien sind zu Ende, ein weiteres Kind ist ausgezogen – ich kann jetzt doch dekorieren“, stelle ich fest. Sie widerspricht mir. Andere Leute würden das auch während der Sommerferien, mit kleinen Kindern und eventuell einem Hund schaffen. Sie hat Recht: Es hat nichts mit den Umständen zu tun, ob man dekoriert oder nicht – es ist typabhängig. Ebenso wie die Neigung, pünktlich zu erscheinen, im Voraus zu planen oder großzügige Geschenke zu machen … 

Happily ever after? Eher selten.

In der Zeitung lese ich in regelmäßigen Abständen von `Vorzeige-Ehen´, die nach Jahrzehnten enden – meist in `gegenseitigem Einvernehmen´. Mich macht das traurig; was erwarten wir von einer Ehe? Happily ever after kann es kaum sein. Die meisten, die heutzutage heiraten, wohnen vorher schon unter einem Dach und kennen die Probleme gemeinsamen Lebens: Kein Ehepaar kommt ohne `Ja, aber´ durch die ersten zehn Tage – geschweige denn Jahre. Manche der Differenzen sind sicherlich höchst undramatisch; in anderen Momenten würde man den anderen dagegen ganz gern austauschen. Aber das geht nicht einfach so, ist selten eine gute Lösung – und wahrscheinlich nie die beste. „Ertragt einer den anderen in Liebe“, heißt es in der Bibel (Epheser 4, 2b); gemeint sind hier die Gläubigen in der Gemeinde. Wie viel mehr gilt für Ehepaare: Ertragt einander!

Eine meiner Großmütter verlor ihren Ehemann im Krieg – und lebte danach 57 Jahre als Witwe. „Ich wollte nie wieder heiraten“, sagte sie oft und sprach bis ins hohe Alter nur positiv über ihren Mann. Trotzdem wusste dieselbe (schlaue) Oma: „Liebe Seele hab´ Geduld, es haben alle beide Schuld.“

Wer so ehrlich ist, die Ehe als Arbeitsfeld darzustellen, weiß auch, dass beide Partner gleichermaßen zu Schwierigkeiten beitragen: Kommunikationsmuster, die nicht zueinander passen; egoistische Motive in ihrem und seinem Herzen; ein völlig gegensätzlicher Umgang mit dem ganz normalen Stress des Alltags – oder mit dem lieben Geld … Die schlechten Tage warten manchmal schon innerhalb der nächsten halben Stunde auf ihren Einsatz. Spätestens wenn sie die guten überwiegen, wird es schwierig; aber auch für solche Phasen gilt: Ertragt einander! Gerade wenn man am liebsten davonlaufen würde und sich `einvernehmlich trennen´ mehr als verlockend klingt. Es ist wunderbar, verheiratet zu sein – und gleichzeitig anstrengend. Aber jenseits der Ehe winkt nur scheinbar die Freiheit. Es ist nämlich ebenso wunderbar und gleichzeitig anstrengend, allein und für alles selbst verantwortlich zu sein. Mit dem Alleinsein muss man sich ebenso arrangieren wie mit einem geliebten Partner – die Frage ist, was man besser erträgt.

Nötig oder möglich

Ich erhalte eine Mail, in der ein Bekannter ein privates Treffen bestätigt. Er schreibt kurz und knapp, ohne Zusatzinformationen. Wieder einmal bekomme ich es schwarz auf weiß, dass die meisten meiner Gesprächspartner (zumindest schriftlich) deutlich sparsamer kommunizieren als ich.

Wer nur das Nötigste sagt, lässt alles Mögliche weg – es ist wahrscheinlich Ansichtssache, ob dann etwas fehlt.

Viel einfacher

Ich bin da, wo ich vor zehn Jahren schon mal war: Wenn ich koche, reicht es für zwei Tage; die Wäsche läuft nebenbei; es bleibt Zeit und Raum für Dinge, die außer der Reihe stattfinden. Mit dem Auszug des zweiten Kindes sind wir nur noch fünf Personen; plötzlich, so scheint es, essen wir nur noch die Hälfte. Und auch vieles andere wirkt viel einfacher. 

Allerdings ist das keine absolute Aussage: Ich bin an sieben Leute gewöhnt und empfinde fünf als wenig – Müttern von drei Kindern geht es wohl ähnlich, wenn nur noch eins zu Hause wohnt. Wir wachsen mit unseren Aufgaben und stellen uns andersherum ebenso auf kleiner werdende Herausforderungen ein. Es ist und bleibt alles relativ.

Theoretisch: gut, praktisch: Luft nach oben

Wir diskutieren über Sinn oder Unsinn einer in der Schule verfassten Hausarbeit. Das Ziel derselben ist es, hinterher mehr über wissenschaftliches Arbeiten zu wissen als vorher: wie man recherchiert, Quellen korrekt benennt, das Wichtige vom Unwichtigen trennt und seine Erkenntnisse gut lesbar und verständlich zu Papier bringt. Das bisherige Konzept: Die Schüler belegen ein Seminarfach und schreiben anstelle von Klassenarbeiten eine kurze und eine längere Facharbeit – die Ergebnisse zählen nur wenig für die Gesamtnote.

Mein Sohn und ich zweifeln, dass dieses Format hilft, wissenschaftliches Arbeiten zu erlernen. Stattdessen suchen die meisten Schüler sich ein vermeintlich leichtes Thema, arbeiten dieses flüchtig ab und hoffen auf eine gnädige Note: so viel wie nötig, so wenig wie möglich. Mein Mann dagegen sieht das Ganze positiver. Wo wenn nicht in der Schule könne man erste Erfahrungen mit wissenschaftlichem Arbeiten machen?

Wir diskutieren über diesen speziellen schulischen Bildungsansatz – und reden doch aneinander vorbei. Während mein Sohn und ich die praktische Umsetzung bemängeln, begrüßt mein Mann die theoretische Idee dahinter.

Er ist dann mal weg!

Luftlinie sind es 7.442,4 Kilometer von Celle in Deutschland nach Chingola in Sambia. Dort wird mein Sohn die nächsten elf Monate verbringen; das ist weit weg und klingt nach einer langen Zeit. Ich kann ihm nicht helfen, wenn er Hilfe braucht – aber das ist manchmal ebenso, wenn er neben mir steht. Wir werden nicht persönlich miteinander sprechen oder uns in den Arm nehmen können – aber das liegt nur an der Entfernung und hat nichts mit unserem Verhältnis zu tun. Er wird Dinge erleben, von denen ich keine Ahnung habe, und Probleme selbst lösen müssen, die mich nicht betreffen. Und ein wenig wird er uns (digital) daran teilhaben lassen, das reicht.

Bliebe er innerhalb Deutschlands, wären wir räumlich dichter beieinander. Für ihn wäre das leichter – einerseits: Er könnte unkomplizierter auf uns zurückgreifen und würde das auch tun. Am anderen Ende der Welt ist er dagegen auf sich selbst zurückgeworfen und muss sich sein eigenes soziales Netz neu schaffen. Das ist zunächst fremd und mühsam. Andererseits schaut er über seinen persönlichen Tellerrand und darf sich ausprobieren: Fern der Heimat ist er ein unbeschriebenes Blatt und kann Kontakte knüpfen, die mit dem Bisherigen nichts zu tun haben. Er ist so frei, wie er es jetzt gerade mal sein kann. Was für eine tolle Gelegenheit!

Ich gönne meinem Sohn die Zeit und freue mich auf unser Wiedersehen in elf Monaten. Das klingt nur lang, ist es aber nicht: Die letzten 19 Jahre mit ihm sind schließlich auch wie im Flug vergangen.

Genial fällt auf?

`Mehr Schotter für dein Kies´ steht auf einem Werbeplakat, und ich zucke unwillkürlich zusammen: Natürlich spricht man das genau so. Aber ebenso natürlich ist es grammatikalisch verkehrt geschrieben – und DAS bereitet mir ein gewisses Unbehagen. Ich gebe zu, dass sich `Mehr Schotter für deinen Kies´ nicht so flüssig läse (und anhörte). Aber es gäbe eine geschmeidige Lösung: ein simples Apostroph an der richtigen Stelle.

Es kann sein, dass `Mehr Schotter für dein΄ Kies´ mir dann überhaupt nicht aufgefallen und im Kopf geblieben wäre. Insofern ist die vorhandene Version die gelungenere, was den Erinnerungseffekt angeht … Sollte die zuständige Werbe-Agentur das bedacht haben? Ich ziehe meinen Hut vor diesem genialen Schachzug, äh Slogan!

Weniger genial finde ich das Apostroph an der falschen Stelle, wie zum Beispiel bei `Ingrid΄s Pommesbude´ oder `Martina΄s Blumenlädchen´. Das ist einfach nur verkehrt. Ich hoffe, es fällt keinem auf – und bleibt nicht im Kopf.

Merkwürdig

Rose stammt aus Kenia. Ich treffe sie bei einer gemeinsamen Freundin und erlebe sie als typisch afrikanisch – ansteckend temperamentvoll. Vor über 30 Jahren lebte sie einige Monate in Deutschland; ab und zu ist sie zu Besuch hier. Fröhlich lachend erzählt sie von ihrem damaligen `Kulturschock´: Es sei so leicht gewesen bei den Deutschen, sich zu `verspäten´; aber jemanden mitzubringen, wenn man selbst eingeladen war – ein Ding der Unmöglichkeit. Noch immer sind das die Dinge, die in ihrer Heimat vollkommen anders laufen – und ihr als merk-würdig in den Sinn kommen. Wir lachen gemeinsam darüber. Bei ihr bin ich nicht ganz sicher, was sie mehr zum Schmunzeln bringt: ihre afrikanische Andersartigkeit oder unsere merkwürdigen deutschen Gepflogenheiten.

Überschuss

Eine Bekannte von mir versprüht so viel Lebensfreude – es reicht für mehr als sie allein: Nach einer Begegnung mit ihr sprudele ich beschwingt durch die nächsten paar Stunden.