Nicht aufgepasst

Wir haben einen relativ großen Garten. Seit Jahren arbeiten wir daran, dass er pflegeleicht wird. Rasen, nicht zu schnell wachsende Gehölze, keine wuchernden Pflanzen, die ständig beschnitten werden müssen und so weiter. An einer Stelle, die gleichzeitig nah am Haus zum Nachbarn und aber nicht in der direkten Blickrichtung von der Terrasse liegt, wachsen Eiben. Eiben wachsen nicht zu schnell, sind gut zu beschneiden, immergrün und bilden einen attraktiven Sichtschutz.

Heute stand ich länger am Küchenfenster und erspähte in eben diesen Eiben viele braun-gelbe Nadeln. Klarer Fall für Wassermangel. Kurzentschlossen holte ich den Schlauch und fing mit ausgiebigem Wässern an. So aus der Nähe betrachtet musste ich feststellen: Die Eiben sind mit ihrem nicht zu schnellen Wachstum ganz schön groß geworden! Sie erfüllen auf ihre Weise unseren Wunsch nach einem pflegeleichten Garten, aber sie sind ein wenig außer Kontrolle geraten. Diesem ungezügelten Wachstum sollten wir in Kürze Einhalt gebieten. Wir haben ein paar Jahre nicht aufgepasst, und jetzt haben unsere Eiben uns rechts überholt.

Draußen-Wetter

Christi Himmelfahrt ist ein Feiertag im Frühjahr, der die Arbeitswoche schön unterbricht. Meist ist auch das Wetter frühlingshaft warm und sonnig, so dass sich die freie Zeit hervorragend für ein paar Terrassenstunden eignet. Mittlerweile ist Christi Himmelfahrt besser bekannt als Vatertag und wird – auch wegen des schönen Wetters – auf ganz bestimmte Weise begangen: Viele Väter, Nicht-Väter, Frauen und Mädchen nehmen den freien Donnerstag zum Anlass, sich an der frischen Luft und von höchster Stelle legitimiert „die Kante zu geben“. Laute Musik darf dabei nicht fehlen, und meist laufen die Feiernden durch die Gegend. Davon kann man halten, was man will. Wir müssen ja nicht mitmachen. Nun ja …

Mitfeiern müssen wir nicht, aber so richtig entziehen können wir uns dem allgemeinen Gelage auch nicht: Bei uns in der Nachbarschaft nutzte dieses Jahr ein (mehr oder weniger junger) Vater den ganzen Tag zum Feiern und Musikhören. Leider liefen er und seine Gäste nicht durch die Gegend, sondern blieben schön in der Garage. Eine Menge der Feier-Geräusche drang bis zu uns auf die Terrasse. Glücklicherweise war das Wetter nicht ganz so super – ich blieb einfach drinnen oder ging (in der einsamen Feldmark) spazieren.

Manches muss man einfach aushalten, oder? Vielleicht ist nächstes Jahr wieder Drinnen-Wetter …

Schon gut so

Die Zwergkaninchen meiner Tochter sehen unschuldig und süß aus. Sie sind einfach nett anzuschauen, weich und kuschelig. Zwar weiß ich nicht, was ein Zwergkaninchen glücklich macht, aber: Wir sorgen gut für sie, sie können sich bei uns wohlfühlen. Ihre Grund-Wohnstatt besteht aus einem gemütlichen und mit Einstreu versehenen Häuschen in einem großen, überdachten Auslauf. Wenn möglich, setzen wir sie zum Fressen auf die Wiese. Dazu wählen wir täglich wechselnde Stellen in unserem Garten, damit sie frisches Grün knabbern können und nicht auf schon abgefressenen Parzellen ihr Dasein fristen müssen. Wir achten darauf, dass sie Schatten haben; wenn es regnet, bringen wir sie wieder in ihren – überdachten – Auslauf.

Und was haben wir davon? Ihr Fell ist weich – wenn wir sie in die Finger bekommen, denn sie sind auch schnell und scheinen uns zu fürchten. Sie brauchen keine besondere Diät, sie fressen nur Gras, Löwenzahn, Heu und solches Zeug – aber sie beißen und kratzen gern auch uns. Sie brauchen zur Beschäftigung nur sich selbst und Flächen zum Graben – und haben wahrscheinlich schon unseren halben Garten unterhöhlt.

Wahrscheinlich halten wir sie so artgerecht, dass sie sich mit uns – wie im wahren Leben auch – nicht so gern abgeben, sondern uns immer skeptisch beäugen werden. Gewünscht hätten wir uns Kuschelkaninchen, die sich gern streicheln lassen und uns gegenüber total tiefenentspannt sein würden. Das wäre für uns schöner, für sie vielleicht immer ein wenig gegen ihre Natur. Wenn ich mich also das nächste Mal über ihre widerspenstige Art ärgern möchte, werde ich mir sagen: „Aus Sicht der Kaninchen ist es schon gut so, wie es ist.“

So nicht

Pfingstwochenende. Am Freitag meldete der Verkehrsdienst 400 Kilometer Stau in Nordrhein-Westfalen. Mir zischt „Fridays for Future“ durch den Kopf…

Der tut nichts

Am liebsten sind mir die Hundebesitzer, die mit MIR reden, während sie von ihrem Hund behaupten, er tue nichts. Sobald sie mich erklärend ansprechen und sich vielleicht für das laute Gekläffe oder wilde Herumgespringe entschuldigen, glaube ich ihnen. Hundebesitzer, die in der Begegnung mit mir nur auf ihren Hund einreden, sind mir suspekt – tut mir leid. Wer den Kontakt zu mir nicht sucht, obwohl sein Hund neugierig (bedrohlich?) auf mich zu rennt oder abwartend (lauernd?) stehenbleibt, versäumt in meinen Augen die Gelegenheit, das Verhältnis von Joggern zu Hunden zu verbessern.

Ich bin in diesen Momenten verunsichert: Soll ich um Wegerecht bitten? Soll ich fragen, ob ich weiterlaufen kann? Nutzt der Hundehalter den vorbeilaufenden Menschen (mich) als willkommenes Trainingsobjekt für den zu erziehenden Hund – mit ungewissem Ausgang? Keine Ahnung, ich weiß manchmal einfach nicht, wie ich mich verhalten sollte. Liebe Hundebesitzer: Redet mit mir! Ein einfaches „Der tut nichts!“ wäre ein guter Anfang. „Der will nur spielen“ geht auch, hat aber nicht ganz so eine beruhigende Wirkung.

Ein schönes Gesicht

Jede Mutter findet ihre Kinder schön. So geht es auch mir, aber ich denke, es ist nicht nur eine Frage der sehr subjektiven Zuneigung. „Schön“ ist das Endergebnis eines Prozesses in meinem Gehirn, der von verschiedenen Faktoren gespeist wird. Nehmen wir meinen jüngsten Sohn: Er hat große Augen und lange Wimpern, die Augenbrauen sind sehr dezidiert und in einem Bogen – als würde er sie ein wenig hochziehen. Die Nase ist genau richtig groß, und der Mund bildet nach unten einen gelungenen Abschluss.

Mein Sohn ist jung und hat noch eine gewisse kindliche Unschuld. In seinem Gesicht kann ich lesen wie in einem offenen Buch. Freude oder Traurigkeit, Wut, Entspannung oder Konzentration spiegeln sich offen darin wider – wenn nötig sogar Ironie. Diese Ehrlichkeit gefällt mir, er versteckt sich nicht. Ob er sich freut, ärgert oder traurig ist: Die Stimmungen seiner Seele erfassen sein Gesicht und von dort aus seinen ganzen Körper.

Abgesehen von all dem ist sein Gesicht für mich noch anders schön: Wie nah Augen, Nase und Mund beieinander liegen, ist ganz erstaunlich. Nur wenn ich genau und bewusst darauf achte, sehe ich, dass diese drei flächenmäßig nur einen geringen Teil seines Gesichtes ausmachen. Ich finde das schön, ich mag genau diese Proportionen. Ich könnte sie nicht benennen, ich könnte nicht sagen, was daran mir gefällt – und es hat nichts damit zu tun, dass er mein Sohn ist. Ich glaube, dass ich eine klare, unbewusste und sehr objektive Vorstellung davon habe, wie nah beieinander „schön“ für mich ist.

Ich finde das Gesicht meines Sohnes schön, weil ich seine Mutter bin – aber nicht nur.

Schnell unterwegs?

Vorgestern war ich laufen, ziemlich früh, weil es im Laufe des Tages heiß werden sollte. Ich war schnell unterwegs – allerdings sicher nicht anders schnell als sonst auch. Sonst habe ich manchmal meinen Mann an der Seite. Er kann nichts dafür, aber neben ihm komme ich mir langsam vor. Seine Beine sind länger, seine Schritte weiter, sein Atmen ruhiger. Meist liegt er eine halbe Armlänge vor mir. Er tut das nicht, um mich zu ärgern – keineswegs. Aber all das hinterlässt bei mir den Eindruck, langsam zu sein. Ich laufe trotzdem gern mit meinem Mann, aber vorgestern war´s ohne ihn auch sehr schön. Ich war schnell unterwegs.

Frag mich nicht?

„Die Frage kann man nicht stellen, Mama. Das ist, als würdest du von einem Grundschüler wissen wollen, was 34 zum Quadrat ist“, schimpft mein 17-jähriger Sohn. Wieso? Weil ich verstehen will. Ich will wissen, wozu Snaps dienen, wenn die Dinger überhaupt so heißen. Snapchat ist eine Art der Kommunikation, die sich mir nur bedingt erschließt: Man kann Bilder und kurze Texte verschicken. Diese Bilder und Texte sind für den Empfänger nur solange sichtbar, wie der Absender es wünscht – und nur ein Mal. Wenn ich das regelmäßig mache, kann ich Flammen sammeln; wenn ich einen Tag unterbreche, sind alle gesammelten Flammen weg. Soweit so klar.

Was mir nicht klar ist: Wozu machen die jungen Leute das? Geht es darum, Beziehung zu bauen? (Das war, nebenbei gesagt, die Frage, die ich nicht stellen durfte! Zu viel Sinn-Suche …) Oder steht das Flammen-Sammeln im Zentrum der Bemühungen? Ich würde es gern verstehen. Wenn es besonders schöne Fotos wären oder besonders raffinierte Texte – in Ordnung. Aber soweit ich sehe, ist der Inhalt völlig nebensächlich: Es kann auch ein Foto von einer Tischplatte sein.

Wahrscheinlich habe ich mich mit 16, 17 auch nicht bei allem nach dem dahinter liegenden Sinn gefragt. Ich war und bin kein Mensch, der unablässig erst denkt und dann tut. Wenn mich aber jemand nach dem Wozu fragt, würde ich nach einer ehrlichen Antwort suchen. Und lautete diese: „Weil das alle so machen, weil man das heute so macht, weil das zu meiner Generation dazugehört…“, würde ich zucken und neu überlegen, ob ich selbst das auch so halten möchte. Hoffe ich.

Dynamik

Ohne Gespräch sind Beziehungen schwierig bis unmöglich; aber manchmal entwickeln Worte eine ungeplante Dynamik.

Der Ton macht die Musik, sagt man, und es stimmt: Es geht laut, leise, genervt, gelangweilt, begeistert, mitreißend, wütend, entspannt, verständnis- oder auch vorwurfsvoll … Auch der Zeitpunkt ist nicht unerheblich: Kurz vor dem Schlafengehen oder zwischen Tür und Angel sind nicht die günstigsten Gelegenheiten für schwierige Themen. Zudem gibt es noch einen feinen Unterschied zwischen gesagt und gemeint: „Ich mag nicht kochen“, kann heißen „Ich würde mich freuen, wenn du kochst!“ Wird es aber nicht so verstanden, ist nur einer glücklich. Last but not least: Nicht jedes wahre Wort muss raus. Alte Kamellen auszubuddeln, wenn man gerade kontrovers diskutiert, ist selten eine gute Idee.

Eine weitere überraschende Stolperfalle für die an sich unschuldige Kommunikation sind persönlichkeitsbedingte Grenzen der Kompatibilität. Ich erzähle – und habe ein Ziel: Ich will informieren, suche nach Rat oder möchte verstanden werden. Mein Gegenüber hört zu – und hat auch ein Ziel: Es will informiert werden, mir helfen, einen Rat oder eine eigene Geschichte loswerden. Nicht immer passen beide Ziele zueinander, und leider bin ich in solchen Dingen ziemlich unflexibel. Nehmen wir mal an, ich will gehört und verstanden werden. Nehmen wir weiter an, ich werde gehört und nicht verstanden, mein Gegenüber hat aber einen – aus seiner Sicht – guten Rat. Dann ist meine Reaktion bisweilen ein unwilliges „Will ich gar nicht hören, lass mich in Ruhe“. Die Gesprächsscherben wieder aufzusammeln, kann eine mühselige und zeitraubende Arbeit sein. Das schafft keiner allein. Ohne Beziehung ist Gespräch dann schwierig bis unmöglich. Aber manchmal entwickeln Beziehungen ja auch eine ungeplante Dynamik – und funktionieren phasenweise nonverbal. Nicht immer, aber ab und zu kann man dann nochmal neu anfangen mit dem Reden. Welch ein Glück!

Allzweckwaffe

Ich bin schlechter Laune und unausgeglichen – ich gehe laufen.

Ich möchte meine Ruhe haben, eine halbe Stunde allein sein und nicht abgelenkt von häuslichen Pflichten – ich gehe laufen.

Ich hatte eine Erkältung und habe mich länger nicht wirklich bewegt – ich gehe laufen.

Ich will mich an der frischen Luft auspowern und habe keinen Bock auf Gartenarbeit – ich gehe laufen.

Ich will meiner Freundin mehr als was Nettes zu ihrem besonderen Geburtstag aufschreiben und brauche Ideen – ich gehe laufen.

Ich bin (vielleicht unberechtigt) wütend und weiß nicht wohin mit meiner Wut – ich gehe laufen.

Laufen ist eine Allzweckwaffe, geht (fast) immer, dauert nicht lange, ist total effektiv. Ich praktiziere das schon einige Jahrzehnte, mal sehen wie lange mein Körper noch mitläuft. Ab und an finde ich schon Gefallen an der Alternative – spazieren gehen.