Das Zusammenspiel von mehreren Instrumenten oder Stimmen kann sehr schön sein. Jedes Instrument, jede Stimme für sich ist wichtig, aber erst im Miteinander entsteht der besondere Klang eines Orchesters, einer Band, eines Ensembles oder eines Chors. Die Hauptsache in einer Gruppe ist nicht das Vermögen des Einzelnen – ICH, sondern die richtige Balance – WIR. Jeder einzelne Musiker kann sich noch so sehr mühen; für eine gute Balance sollte einer sorgen, der „nicht mitspielt“. Ein Dirigent, der Mensch am Mischpult, ein erfahrener Zuhörer. Wenn alle Mitspieler das tun, was der sagt, der nicht mitspielt, wird aus vielen wohlklingenden ICHs der Hörgenuss WIR.
Party
Zwei Kinder sind auf verschiedenen Geburtstagsfeiern. Meine Tochter übernachtet dort, mein Sohn kommt von seiner Party nachts noch nach Hause. Ich rechne damit, dass sie mir am nächsten Tag auf Nachfrage kurz berichten, wie es war. Weit gefehlt, denn: Noch in der Nacht weiß meine Tochter, was ihr Bruder bei seiner Party macht, und wird es mir am nächsten Tag – ungefragt – erzählen. Wieso? Ihre Freundin ist in einer digitalen Was-weiß-ich-Gruppe mit einem Mädchen, das auf derselben Party weilt. Zwar fragen meine Tochter, deren Freundin und ich nicht, was genau mein Sohn auf seiner Party erlebt. Informiert werden wir trotzdem. Privatsphäre adé.
Das wäre mir in seinem Alter auf den Keks gegangen.
Erkenntnis
Bei Teenagern haben Stimmungen eine kurze Halbwertzeit. Das ist manchmal gut, manchmal schade – und ähnlich berechenbar wie die Wechselhaftigkeit des Wetters an der Küste. Trotzdem mag ich beide: Teenager und Küsten. Nur nicht immerzu in meiner Nähe.
Sehenswert
„Ich fand den Film sehenswert“, sage ich, „und du?“ Mein Mann zögert kurz und antwortet dann: „Kannst du ihn mir erklären?“ Wir haben gerade zusammen „Kindeswohl“ geschaut. „Was soll man da erklären?“, denke ich, „Der Roman wurde gut umgesetzt, und das Thema an sich ist schon interessant.“
Ich versuche es trotzdem: Abgesehen davon, dass es um eine Auseinandersetzung mit dem Gesetzesverständnis der Zeugen Jehovas geht, ist es ein Film über eine Frau. Und ihre Fähigkeiten im Beruf, die ebenso groß sind, wie ihre Unfähigkeiten in Beziehungsfragen: Eine Richterin, die zu viel arbeitet, trifft Entscheidungen im Gerichtssaal. Dort ist sie klar, entschieden, souverän. Zu Hause liegt ihre Ehe in Scherben. Dann kommt ein Fall, für den sie – freiwillig – den Gerichtssaal verlässt und einem jungen Mann das Gefühl gibt, kein Objekt, sondern ein Mensch zu sein. Ihre Entscheidung danach im Gericht ist wieder klar, entschieden und souverän. Als aber dieser Jugendliche hinterher Kontakt zu ihr aufnehmen, ihr danken will und eine (wie auch immer geartete) Beziehung zu ihr möchte, weist sie ihn fast schroff ab. Am Ende verweigert er sich – auch wegen ihres Verhaltens – dem Leben. Mit dieser Schuld wird sie immer leben müssen.
Man kann natürlich darüber streiten, wie sie sich sonst hätte verhalten sollen, ob eine Vermischung von Beruf und Privatsphäre möglich und schlau gewesen wäre. Natürlich kann sie als Richterin nicht jeden Fall wortwörtlich mit nach Hause nehmen. Darum geht es aber gar nicht – meiner Meinung nach. Für mich geht es darum, dass das Gesetz allein nicht genug ist für das Leben: Als Richterin wollte die Frau, dass der junge Mann lebt; als Mensch wollte sie mit ihm nichts zu tun haben. Das reichte dem jungen Mann nicht zum Leben-Wollen.
Die Geschichte illustriert ganz hervorragend, wie schwierig manchmal richtig und falsch voneinander zu trennen sind, wie komplex das Leben ist und wie schwierig manche Fragen im Leben zu beantworten sind. Ganz abgesehen davon, dass solche Gedankengänge nicht jeden gleichermaßen interessieren und ich vielleicht mit meiner Interpretation ganz falsch liege: Ich finde den Film allein aufgrund von Emma Thompsons Vorstellung sehr sehenswert. Das hätte mir schon gereicht.
Nicht schön
Abgesehen davon, wie modebewusst Männer sich kleiden, gibt es gewisse „Zusätze“, die kleidsam oder störend sind. Kürzlich fiel mir (mal wieder) ein Mann auf, der modisch gekleidet war und schlicht. Die schmale Hose entsprach dem heutigen Stil, das weiße Hemd auch. Soweit alles gut, aber etwas passte nicht: Handy, Portemonnaie und wahrscheinlich ein riesiges Schlüsselbund erzeugten ausgebeulte Hosentaschen – vorn und hinten. Ich habe wirklich keine Ahnung, wie Männer dieses Gepäckproblem geschickter angehen sollten. Handtaschen sind meiner Meinung nach keine Alternative. Aber diese Beulen sind einfach nicht schön.
Mal schauen
Hinsichtlich meiner Garderobe verwende ich gern weiter, was andere Menschen aussortieren. Es gefällt mir, wenn ich tragen kann, was es ohnehin schon gibt. Außerdem ist mir die Fülle an Angebot oft zu viel – die Entscheidung für DAS Richtige fällt mir schwer. Deshalb überlasse ich die Vorauswahl gern jemandem, der einen mir gefälligen Stil hat und bereit ist, seine Sachen abzugeben. Wo geht das besser als auf einem Flohmarkt? Genau. Da kann ich mal schauen und mich überraschen lassen. Einziges Problem: Ich bin kein Flohmarkt-Fan. Es macht mir keinen Spaß, die einzige Perle unter jeder Menge Ramsch zu suchen. Aber dieses Wochenende gibt’s einen klitzekleinen, sehr überschaubaren Flohmarkt bei mir in der Nähe. Letztes Jahr war ich dort schon einmal sehr erfolgreich. Dieses Jahr versuche ich es wieder. Vielleicht finde ich etwas, vielleicht nicht. Ohne konkrete Vorstellung kann ich ganz entspannt mal schauen!
Wie praktisch
Eine Lebensphase im Leben vieler deutscher Familien ist die Phase der Plastikdosen. Die Familie wächst, der Bedarf an Behältern jeglicher Art ebenso: Salatschüsseln, Vorratsdosen, Brotdosen und so weiter. Nur von vornherein und ganz Entschlossenen gelingt es, an einem bestimmten Plastikdosen-Produzenten komplett vorbei zu kaufen. Zu diesen gehörte ich nicht. Ich wurde hin und wieder eingeladen und habe einige Produkte erstanden. Sie sind lange haltbar – das ist ein wichtiges Markenzeichen der Firma. Dies ist sehr praktisch: Ist man einmal ausgestattet, bleibt man das ein halbes Leben lang. In der Hälfte danach muss man nicht mehr so viel aufbewahren.
Aus anderer Perspektive oder ein paar Jahre später kann die gute Haltbarkeit aber auch unpraktisch sein: Mein Mann zum Beispiel steht mit manchen Verschlüssen der Firma auf Kriegsfuß. Seiner Meinung nach sind diese weder gut durchdacht noch praktisch. Er sehnt den Tag herbei, wenn wir uns von bestimmten Behältern trennen werden. Weil wir erst entsorgen, wenn Dinge kaputt sind, wartet er wahrscheinlich noch eine Weile.
Alles relativ
Was ich kann und was nicht, ist letztlich sehr beliebig und von vielen Faktoren abhängig. Nicht nur die eigene Sicht (halb volles oder halb leeres Glas), sondern auch die persönliche Tendenz (Angeber oder Tiefstapler) spielen eine Rolle. Ganz entscheidend ist auch der Moment – lerne ich etwas neu oder schon lange:
Vor allem ganz am Anfang macht man relativ große Fortschritte und ist mit diesen sehr zufrieden. Schon nach dem ersten Fußballtraining, dem ersten Klavierunterricht, dem ersten Tanzstunden-Abend denken wir: „Das klappt doch schon ganz gut“, was gut ist – so starten wir überhaupt und bleiben über den langen Zeitraum motiviert, den es braucht, eine Sache zu meistern. So lernen Kinder laufen und sprechen, so wird aus einer Kicker-Gurkentruppe eine erfolgreiche Fußballmannschaft und aus einem Klavier spielenden Fünfjährigen – vielleicht einmal – ein guter Pianist …
Je besser man eine Sache beherrscht, umso geringer und schlechter wahrnehmbar sind die persönlichen Fortschritte. Und je tiefer man in eine Sache einsteigt, umso klarer sieht man seine eigenen Defizite. Der Maßstab für „sehr gut“ verschiebt sich dann proportional dazu, wie sich die eigenen Fähigkeiten erweitern. Das ist herausfordernd – normalerweise kommen wir nicht an bei „sehr gut“, weil wir immer auch merken, was noch nicht so gut geht. Wir müssen dann aufpassen, dass wir bei allen Defiziten nicht übersehen, was wir doch schon können und wissen. Manchmal kann es hilfreich sein, zurückzuschauen – oder jemandem zu begegnen, der am Anfang steht. Ist eben alles relativ…
Ländlich
Wir wohnen nicht auf dem Land, aber fast: Wir wohnen am Rande einer Kleinstadt. Unser Haus wurde vor einigen Jahren von einem Specht auserkoren, seine Höhle in unseren Vollwärmeschutz zu hacken. Und derzeit hört es sich so an, als hätte sich ein Eichhörnchen in unserem Vordach eingenistet.
Außerdem sind wir zu Fuß schnell in der Walachei, wie wir unser grünes Umfeld gern nennen. Wir laufen da viel herum und nutzen meist dieselben Wege. Es gibt die Hauptverkehrsader der Rehe, einen Tummel-Acker für Hasen, und seit einiger Zeit weiß ich auch, in welches Roggenfeld sich ein Fuchs gern zurückzieht, wenn er mich kommen sieht.
Ob er den Hasen von dort aus ein überraschendes „Gute Nacht“ zurufen oder ihnen – ebenso überraschend – auflauern will, weiß ich nicht. Aber ich freue mich darüber, dass ich sowohl Fuchs und Hasen als auch Rehen öfter mal ein freundliches „Guten Morgen“ zurufen kann.
Nicht ohne Genitiv
Es gab mal ein Buch, das hieß „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“ von Bastian Sick. Ich las es vor Jahren und fand es amüsant. Es ging natürlich um den Genitiv, aber ebenso um einige andere Regeln der Deutschen Sprache. Nicht alle waren mir so präsent wie dem Autoren, nicht alle hätte ich so gut und leicht lesbar zu Papier bringen können. Aber in der praktischen Umsetzung der Grundsätze meiner Muttersprache fühlte und fühle ich mich sicher.
Kinder lernen das Sprechen so nebenbei. Sie plappern nach, was sie hören. Wenn sie klein sind, unterlaufen ihnen Fehler, Eltern wiederholen ohne Fehler – und schwupps: Irgendwann sprechen Kinder dann so richtig oder falsch wie ihre Eltern. Keine Regel war dabei so oft in unserem Mund wie dieses eine Wörtchen und wie es nach ihm weitergeht – wegen plus Genitiv. Es hat gedauert, aber irgendwann mussten wir die Kinder nicht mehr korrigieren.
Andere Menschen verbessere ich natürlich nicht. Das wäre komisch; und obwohl es mir manchmal auf der Zunge liegt, halte ich mich zurück. Nur Autoren korrigiere ich, beim Vorlesen. Ich bringe diese Verbindung einfach nicht über die Lippen – wegen plus Dativ, obwohl sie penetrant um sich greift.
Sprache entwickelt sich weiter. Und ich versuche, Schritt zu halten. Vielleicht ist es schon korrektes Deutsch, wegen dem Baum zu sagen. Für diese Anpassung des Regelwerks an die vorherrschenden Gegebenheiten bin ich definitiv zu alt. Oder zu stur.