Der tut nichts

Am liebsten sind mir die Hundebesitzer, die mit MIR reden, während sie von ihrem Hund behaupten, er tue nichts. Sobald sie mich erklärend ansprechen und sich vielleicht für das laute Gekläffe oder wilde Herumgespringe entschuldigen, glaube ich ihnen. Hundebesitzer, die in der Begegnung mit mir nur auf ihren Hund einreden, sind mir suspekt – tut mir leid. Wer den Kontakt zu mir nicht sucht, obwohl sein Hund neugierig (bedrohlich?) auf mich zu rennt oder abwartend (lauernd?) stehenbleibt, versäumt in meinen Augen die Gelegenheit, das Verhältnis von Joggern zu Hunden zu verbessern.

Ich bin in diesen Momenten verunsichert: Soll ich um Wegerecht bitten? Soll ich fragen, ob ich weiterlaufen kann? Nutzt der Hundehalter den vorbeilaufenden Menschen (mich) als willkommenes Trainingsobjekt für den zu erziehenden Hund – mit ungewissem Ausgang? Keine Ahnung, ich weiß manchmal einfach nicht, wie ich mich verhalten sollte. Liebe Hundebesitzer: Redet mit mir! Ein einfaches „Der tut nichts!“ wäre ein guter Anfang. „Der will nur spielen“ geht auch, hat aber nicht ganz so eine beruhigende Wirkung.

Ein schönes Gesicht

Jede Mutter findet ihre Kinder schön. So geht es auch mir, aber ich denke, es ist nicht nur eine Frage der sehr subjektiven Zuneigung. „Schön“ ist das Endergebnis eines Prozesses in meinem Gehirn, der von verschiedenen Faktoren gespeist wird. Nehmen wir meinen jüngsten Sohn: Er hat große Augen und lange Wimpern, die Augenbrauen sind sehr dezidiert und in einem Bogen – als würde er sie ein wenig hochziehen. Die Nase ist genau richtig groß, und der Mund bildet nach unten einen gelungenen Abschluss.

Mein Sohn ist jung und hat noch eine gewisse kindliche Unschuld. In seinem Gesicht kann ich lesen wie in einem offenen Buch. Freude oder Traurigkeit, Wut, Entspannung oder Konzentration spiegeln sich offen darin wider – wenn nötig sogar Ironie. Diese Ehrlichkeit gefällt mir, er versteckt sich nicht. Ob er sich freut, ärgert oder traurig ist: Die Stimmungen seiner Seele erfassen sein Gesicht und von dort aus seinen ganzen Körper.

Abgesehen von all dem ist sein Gesicht für mich noch anders schön: Wie nah Augen, Nase und Mund beieinander liegen, ist ganz erstaunlich. Nur wenn ich genau und bewusst darauf achte, sehe ich, dass diese drei flächenmäßig nur einen geringen Teil seines Gesichtes ausmachen. Ich finde das schön, ich mag genau diese Proportionen. Ich könnte sie nicht benennen, ich könnte nicht sagen, was daran mir gefällt – und es hat nichts damit zu tun, dass er mein Sohn ist. Ich glaube, dass ich eine klare, unbewusste und sehr objektive Vorstellung davon habe, wie nah beieinander „schön“ für mich ist.

Ich finde das Gesicht meines Sohnes schön, weil ich seine Mutter bin – aber nicht nur.

Schnell unterwegs?

Vorgestern war ich laufen, ziemlich früh, weil es im Laufe des Tages heiß werden sollte. Ich war schnell unterwegs – allerdings sicher nicht anders schnell als sonst auch. Sonst habe ich manchmal meinen Mann an der Seite. Er kann nichts dafür, aber neben ihm komme ich mir langsam vor. Seine Beine sind länger, seine Schritte weiter, sein Atmen ruhiger. Meist liegt er eine halbe Armlänge vor mir. Er tut das nicht, um mich zu ärgern – keineswegs. Aber all das hinterlässt bei mir den Eindruck, langsam zu sein. Ich laufe trotzdem gern mit meinem Mann, aber vorgestern war´s ohne ihn auch sehr schön. Ich war schnell unterwegs.

Frag mich nicht?

„Die Frage kann man nicht stellen, Mama. Das ist, als würdest du von einem Grundschüler wissen wollen, was 34 zum Quadrat ist“, schimpft mein 17-jähriger Sohn. Wieso? Weil ich verstehen will. Ich will wissen, wozu Snaps dienen, wenn die Dinger überhaupt so heißen. Snapchat ist eine Art der Kommunikation, die sich mir nur bedingt erschließt: Man kann Bilder und kurze Texte verschicken. Diese Bilder und Texte sind für den Empfänger nur solange sichtbar, wie der Absender es wünscht – und nur ein Mal. Wenn ich das regelmäßig mache, kann ich Flammen sammeln; wenn ich einen Tag unterbreche, sind alle gesammelten Flammen weg. Soweit so klar.

Was mir nicht klar ist: Wozu machen die jungen Leute das? Geht es darum, Beziehung zu bauen? (Das war, nebenbei gesagt, die Frage, die ich nicht stellen durfte! Zu viel Sinn-Suche …) Oder steht das Flammen-Sammeln im Zentrum der Bemühungen? Ich würde es gern verstehen. Wenn es besonders schöne Fotos wären oder besonders raffinierte Texte – in Ordnung. Aber soweit ich sehe, ist der Inhalt völlig nebensächlich: Es kann auch ein Foto von einer Tischplatte sein.

Wahrscheinlich habe ich mich mit 16, 17 auch nicht bei allem nach dem dahinter liegenden Sinn gefragt. Ich war und bin kein Mensch, der unablässig erst denkt und dann tut. Wenn mich aber jemand nach dem Wozu fragt, würde ich nach einer ehrlichen Antwort suchen. Und lautete diese: „Weil das alle so machen, weil man das heute so macht, weil das zu meiner Generation dazugehört…“, würde ich zucken und neu überlegen, ob ich selbst das auch so halten möchte. Hoffe ich.

Dynamik

Ohne Gespräch sind Beziehungen schwierig bis unmöglich; aber manchmal entwickeln Worte eine ungeplante Dynamik.

Der Ton macht die Musik, sagt man, und es stimmt: Es geht laut, leise, genervt, gelangweilt, begeistert, mitreißend, wütend, entspannt, verständnis- oder auch vorwurfsvoll … Auch der Zeitpunkt ist nicht unerheblich: Kurz vor dem Schlafengehen oder zwischen Tür und Angel sind nicht die günstigsten Gelegenheiten für schwierige Themen. Zudem gibt es noch einen feinen Unterschied zwischen gesagt und gemeint: „Ich mag nicht kochen“, kann heißen „Ich würde mich freuen, wenn du kochst!“ Wird es aber nicht so verstanden, ist nur einer glücklich. Last but not least: Nicht jedes wahre Wort muss raus. Alte Kamellen auszubuddeln, wenn man gerade kontrovers diskutiert, ist selten eine gute Idee.

Eine weitere überraschende Stolperfalle für die an sich unschuldige Kommunikation sind persönlichkeitsbedingte Grenzen der Kompatibilität. Ich erzähle – und habe ein Ziel: Ich will informieren, suche nach Rat oder möchte verstanden werden. Mein Gegenüber hört zu – und hat auch ein Ziel: Es will informiert werden, mir helfen, einen Rat oder eine eigene Geschichte loswerden. Nicht immer passen beide Ziele zueinander, und leider bin ich in solchen Dingen ziemlich unflexibel. Nehmen wir mal an, ich will gehört und verstanden werden. Nehmen wir weiter an, ich werde gehört und nicht verstanden, mein Gegenüber hat aber einen – aus seiner Sicht – guten Rat. Dann ist meine Reaktion bisweilen ein unwilliges „Will ich gar nicht hören, lass mich in Ruhe“. Die Gesprächsscherben wieder aufzusammeln, kann eine mühselige und zeitraubende Arbeit sein. Das schafft keiner allein. Ohne Beziehung ist Gespräch dann schwierig bis unmöglich. Aber manchmal entwickeln Beziehungen ja auch eine ungeplante Dynamik – und funktionieren phasenweise nonverbal. Nicht immer, aber ab und zu kann man dann nochmal neu anfangen mit dem Reden. Welch ein Glück!

Allzweckwaffe

Ich bin schlechter Laune und unausgeglichen – ich gehe laufen.

Ich möchte meine Ruhe haben, eine halbe Stunde allein sein und nicht abgelenkt von häuslichen Pflichten – ich gehe laufen.

Ich hatte eine Erkältung und habe mich länger nicht wirklich bewegt – ich gehe laufen.

Ich will mich an der frischen Luft auspowern und habe keinen Bock auf Gartenarbeit – ich gehe laufen.

Ich will meiner Freundin mehr als was Nettes zu ihrem besonderen Geburtstag aufschreiben und brauche Ideen – ich gehe laufen.

Ich bin (vielleicht unberechtigt) wütend und weiß nicht wohin mit meiner Wut – ich gehe laufen.

Laufen ist eine Allzweckwaffe, geht (fast) immer, dauert nicht lange, ist total effektiv. Ich praktiziere das schon einige Jahrzehnte, mal sehen wie lange mein Körper noch mitläuft. Ab und an finde ich schon Gefallen an der Alternative – spazieren gehen.

Eine gute Idee

Eine Nische vor unserem Haus eignete sich vor Jahren sehr gut, sie zu bepflanzen. Wir überlegte eine Weile und entschieden uns dann für einen Bambus. Immergrün, winterhart, gut zu schneiden, optisch wirklich ganz schön – diese Pflanze erschien uns wie eine sehr gute Idee. Mein Mann informierte sich im Netz und pflanzte den Bambus in eine Plastikwanne, um ein zu starkes Ausbreiten der Wurzeln zu vermeiden. Immer wieder in den vergangenen Jahren sprossen vorwitzige Wurzeln ÜBER den Rand der Wanne und verkrochen sich im umliegenden Erdreich. Immer wieder kappte mein Mann diese – kein Problem. Jahrelang erfreuten wir uns an diesem Gewächs: Immergrün, winterhart, gut zu schneiden, optisch wirklich ganz schön.

Bis zum letzten Wochenende. Ein etwas intensiverer Blick in das um den Topf liegende Erdreich offenbarte die durchschlagende Wirkung der „guten Idee“: In einer spontanen und kraftraubenden Vormittagsaktion musste der Bambus weichen – und mit ihm jede Menge Wurzelwerk, das sich entschlossen aufgemacht hatte in Richtung Hausdämmung und unter die angrenzende Pflasterung. Die Nische liegt jetzt brach, abgedeckt durch eine Folie, um die verbliebenen Wurzelreste auszutrocknen und davon abzuhalten, sich zu neuen kleinen Bambuspflanzen auszuwachsen.

Freundlicherweise kämpfte unser Nachbar gleichzeitig gegen eine seiner „guten Ideen“: Knöterich wächst so schön an Sichtschutzwänden hoch – und auf der anderen Seite wieder runter. Die über der Erde liegenden Ausläufer sind nichts im Vergleich zu den großflächig und weitreichend im Erdreich wuchernden Wurzeln auf dem eigenen und auf dem Nachbargrundstück.

Hausbesitzer sind eben nicht automatisch Experten in Sachen Gartenanlage. Manchmal braucht es ein paar Vegetationsperioden, um die wirklich guten Ideen von den weniger guten zu unterscheiden.

Ehrenmann

Letztens sagte mein Sohn „Ehrenmann“ zu mir und korrigierte sich dann – „Ehrenfrau“. Er wollte nett sein, aber fast war ich beleidigt. Zum einen: Hat der Gender-Wahn nun auch schon unsere Familie erreicht? Ich kann damit nichts anfangen, empfinde diese ganze Thematik als völlig überzogen, aufgebauscht und ehrlich gesagt ein Luxusproblem. Als gäbe es nicht andere Aufgaben, die die Menschheit beschäftigen sollten – wie zum Beispiel die Ungleichverteilung von allen möglichen Gütern auf dieser Welt oder die Tatsache, dass Frauen und Mädchen in vielen Ländern dieser Erde überhaupt keine Rechte haben. Da ist es mir gleich hundertmal egal, ob ich in jedem Brief als Frau angesprochen werde oder „Wer-auch-immer-hier-bei-uns“ sich wegen unkorrekter Anrede nicht wahrgenommen vorkommen könnte.

Zum anderen: Es heißt nicht umsonst Ehrenmann. Ein Ehrenmann ist jemand, der sich ehrenvoll verhält. Das kann meiner Meinung nach sowohl ein Mann als auch eine Frau sein. Allerdings stammt der Begriff aus einer Zeit, in der es vor allem Männer waren, die Entscheidungen trafen und sich dabei um nichts und niemanden scheren mussten. Daher war es für diese Männer umso herausfordernder, ehrlich und verlässlich zu sein, auf ihr Recht zu verzichten und anderen gnädig und barmherzig zu begegnen. Zuvorkommend und rücksichtsvoll – nicht nur, aber auch Frauen gegenüber. Ich will niemanden diskriminieren, aber ich merke: Es fällt uns Frauen leichter, auf Provokationen gelassener zu reagieren. Es liegt ja auch mehr in unseren Genen, nach dem Weg zu fragen, uns helfen zu lassen und bei einem Wettstreit den kürzeren zu ziehen. Wir blamieren uns nicht, wenn wir zugeben, traurig oder enttäuscht oder hilflos zu sein. Frauen sind darin geübter als Männer. Und das hat nicht (nur) was mit gewachsenen Geschlechterrollen zu tun, sondern mit unserem innersten Kern, der sich einfach mal unterscheidet von dem der Männer. Behaupte ich, erlebe ich, bin ich überzeugt.

Nein, ich glaube nicht, dass ich eine besonders demütige oder nicht emanzipierte Frau bin. Aber ich bin eine. Und trotzdem: Wenn mein Sohn mich als Ehrenmann bezeichnet, dann empfinde ich das als ein Kompliment – weil sich diese Bezeichnung auf mein (vielleicht überraschend) ehrenvolles Verhalten bezieht. Ganz im Gegensatz zu Ehrenfrau oder Ehrendame. Diese beschreiben nämlich nicht das weibliche Pendant zum Ehrenmann. Ehrenfrau war ein Titel, der einer Frau zugesprochen wurde – weil sie (oder auch nur ihr Mann!!!) einem bestimmten Stand angehörte. Eigenes ehrenvolles Verhalten spielte dabei eine untergeordnete Rolle. Und deshalb: Trifft auf mich nicht zu, ehrt mich nicht, brauche ich nicht.

Blind audition

Um eine Stimme oder die Fertigkeit an einem Instrument vorurteilsfrei beurteilen zu können, gibt es heutzutage etwas, das nennt sich „blind audition“, was soviel wie „Blindes Vorsingen/Vorsprechen“ bedeutet. Orchestermusiker werden teilweise so berufen, um geschlechtsspezifische Vorbehalte der Jury von vornherein auszuschließen. Auch sogenannte Castingshows bedienen sich dieses Hilfsmittels, um sich nicht von dem optischen Eindruck ablenken zu lassen, den ein Kandidat macht.

Es ist nun einmal so, dass wir Menschen mit allen Sinnen zur Kenntnis nehmen und eben nicht nur das: Wir fällen Urteile in Sekundenbruchteilen. Am schnellsten nimmt das Auge wahr, das Ohr ist langsamer. Gefällt uns, was wir sehen, hat das, was wir hören, eine gute Chance, positiv bewertet zu werden. Erleben wir den optischen Eindruck als abstoßend, wird vorurteilsfreies Hören schwierig – egal wie schön klingt, was unsere Ohren erreicht. Nicht alle können sich frei machen von dem Gesamteindruck, den ein Mensch hinterlässt – und der wird maßgeblich von unserer Sicht bestimmt.

Kürzlich habe ich erlebt, dass das nicht nur für Töne, sondern auch für die Formulierungsfähigkeit gilt – jedenfalls bei mir: Ich habe eine Mail gelesen von jemandem, den ich nicht kannte. Der Schreibstil war besonders, erfrischend leicht, humorvoll, lebendig und mich sehr ansprechend. Wunderbar. Einige Wochen später habe ich den Menschen dazu kennengelernt. Dieser wirkte auf den ersten Blick introvertiert und eher nicht gesprächig. Die Stärken dieser Person liegen nicht in der persönlichen Begegnung – zumindest nicht in der ersten. Ohne die besagte Mail wäre mein Eindruck ein ganz anderer als mit und mein Interesse auch. Ohne die besagte Mail würde ich vielleicht keine weitere Begegnung wünschen oder gar initiieren. Es wäre schade um den Kontakt, aber das weiß ich nur, weil der Mensch die Chance einer „blind audition“ bei mir hatte…

Gott, der Vater

„Barmherzig und gnädig ist der Herr, geduldig und von großer Güte. … Er handelt nicht mit uns nach unseren Sünden und vergilt uns nicht nach unserer Missetat. … Wie sich ein Vater über Kinder erbarmt, so erbarmt sich der Herr über die, die ihn fürchten.“
Psalm 103, 8+10+13

Ich habe ein Video gesehen. Es zeigt ein knapp dreijähriges Kind, das seinem Vater stolz den selbstgebackenen Erdbeerkuchen für Oma präsentiert: Er besteht aus gleichmäßig auf dem Küchenboden verteiltem Mehl, diversen Back-Utensilien und einem trockenen (!!!) Tuch, mit dem der kleine Kerl schon versucht hat, die Spuren wieder aufzuwischen… Der Vater hinter der Kamera bleibt ruhig und ermutigend: „Ach, da wird Oma sich aber freuen! Und wer räumt später wieder auf?“ Antwort: „Das mach ich selbst.“

Herrlich. Natürlich wird das Kind nicht selbst aufräumen, natürlich wird das Chaos vollständig von den Eltern beseitigt werden müssen. Natürlich hat der Junge einfach gemacht, ohne zu fragen, ist das Ergebnis auch nicht annähernd einem Kuchen ähnlich – und zieht sich eine schöne Mehlspur durch das halbe Haus. Und natürlich könnten sich die Eltern über all das ärgern.

Wenn man von außen drauf schaut, ist das kurze Video vor allem eins: ein wunderbares Beispiel von gutem Willen beim Kind und Engelsgeduld beim Vater. Wenn wir in bester Absicht und voll Vertrauen zu Gott kommen wie ein Kind zu seinem Vater, dann ist Gott so: Geduldig und liebevoll, den guten Willen und die Motivation sehend, nicht das Unvermögen und vor allem nicht das unschöne Endergebnis. Darum kümmert sich der Vater später – beziehungsweise hat es durch Jesus schon getan.