Auf Augenhöhe

Um meinen Kindern gerade in die Augen schauen zu können, musste ich mich einige Jahre zu ihnen hinab beugen. Mittlerweile muss ich ich mich bei den meisten von ihnen strecken – oder sie beugen sich zu mir hinab. Auf jeden Fall muss einer von uns sich bewegen.

Ein Freund von mir ist Professor, ich kenne ihn schon sehr lange. Er ist nicht nur auf seinem Fachgebiet sehr schlau – das sollte ein Professor ohnehin sein. Er ist zudem neugierig, interessiert und intellektuell beweglich, geistig wach.

Ich halte mich selbst nicht für dumm, spiele vom Verstand her allerdings in einer anderen Liga: Neugierig und interessiert bin ich auch; die intellektuelle Beweglichkeit und geistige Aufnahmekapazität meines Hirns sind bei mir jedoch klarer und enger begrenzt als bei diesem Mann. Für unsere Freundschaft hatte dieser Unterschied nie eine Bedeutung – wir waren und sind als Menschen trotzdem auf Augenhöhe. Ich muss mich dafür weder strecken noch beugen. Dass das möglich ist, liegt mehr an ihm als an mir.

Nur eine Begegnung?

In Begegnungen mit Menschen verhalte ich mich nicht immer ganz genau gleich: Mein ICH hat Facetten. Welche besonders sichtbar wird, hängt auch von meinem Gegenüber ab: Ich offenbare immer nur einen Teil von mir – zum großen Teil unbewusst. Ich bin immer dieselbe – und doch irgendwie nicht. Dadurch schätzen Menschen sehr unterschiedlich ein, wie ich bin.

Außerdem lebt jede Begegnung zwischen zwei Menschen von einer Mischung aus Sendung und Reaktion – nur im Idealfall zu gleichen Teilen. Je nachdem, mit wem ich es zu tun habe, bringe ich viel von mir ein oder reagiere stark auf den anderen. Ich-Stärke wirkt inspirierend auf andere; Empathie macht mich zu einem nahbaren Menschen.

Durch die Begegnung mit Menschen werde ich verändert – positiv oder negativ, kurzfristig oder nachhaltig: Gute Laune kann ebenso ansteckend sein wie Traurigkeit; ein ernsthafter Gedankenimpuls mein ganzes Weltbild ins Wanken bringen. Die Summe aller Begegnungen prägt, schleift und verändert mich.

Gute Geister für mich

Es gibt ein Buch, dessen englischer Titel „Help“ ins Deutsche mit „Gute Geister“ übersetzt wurde. Darin geht es um schwarze Kindermädchen in den amerikanischen Südstaaten, die noch in den 60er Jahren in den Haushalten ihrer weißen Mitbürger angestellt waren. Wie „gute Geister“ griffen sie weißen Frauen (allerdings nicht ganz freiwillig) bei Aufgaben unter die Arme, zu denen diese keine Lust – beziehungsweise für die diese kein Händchen – hatten: kleine weiße Kinder großziehen (und sie prägen), Tafelsilber polieren, Essen kochen, Wäsche waschen.

Beim Lesen dachte ich, dass ich eine solche Hilfe nicht wunderbar gefunden hätte.

Dieses Jahr gibt es in meinem Leben „gute Geister“, die mir unerwartet (allerdings sehr freiwillig) bei Aufgaben unter die Arme greifen, zu denen ich keine Lust – beziehungsweise für die ich kein Händchen – habe: Zwei adventliche Blumensträuße schmücken seit einigen Tagen mein bis dato nur spärlich dekoriertes Haus.

Ich bin dankbar, weil genau solch eine Hilfe wunderbar für mich ist!

Nicht schadenfroh, nur wissend

Ganz in der Nähe des Hofladens, in dem ich häufig Eier kaufe, befindet sich ein Garten. Dort wohnen vier bis sieben Gänse. Noch(!) watscheln sie gelassen und fidel über die Wiese, die Kälte scheint ihnen nichts auszumachen. Jedesmal wenn ich frierend mit dem Rad an ihnen vorbeifahre, denke ich sehnsüchtig an eine Daunenjacke – vielleicht sollte ich mir doch eine zulegen? Dennoch beneide ich die Gänse nicht: Ich ahne, dass ihnen in Kürze keine ihrer Daunenfedern etwas nützen wird: In drei Wochen ist Weihnachten!

Wann ist ein Brief ein Brief?

Ich habe einen Brief geschrieben, an einen alten Freund. Während ich schrieb, hatte ich diesen Freund vor Augen und im Sinn und wählte meine Ausdrucksweise so, dass sie passte – zu unserer gemeinsamen Vergangenheit, zu unseren Erinnerungen, zu unserem heutigen Miteinander.

Der Inhalt war austauschbar, der Stil nicht: Für niemanden sonst als diesen Freund formulierte ich in dieser speziellen Form und wählte die Themen aus. Niemand sonst als dieser Freund wird meinen Brief so verstehen wie er und beim Lesen dieses ganz spezielle Bild von mir vor Augen haben. Vielleicht wird ein Text nicht durchs Schreiben ein Brief, sondern erst durchs Lesen.

Distanzlos

Bei Aldi sind die Transportbänder an der Kasse ziemlich lang. Je nachdem, wie viel der Einzelne einkauft, passen die Artikel von zwei bis fünf Leuten locker hintereinander drauf. Neben der Ware steht der dazugehörige zahlungswillige Kunde. Bei wenig Ware ist der Platz für den Kunden gering – es kann sein, dass man neben der Ware des Vorder- oder Hintermannes steht. Das Abkassieren bleibt davon unbeeinflusst und lässt sich durchs Ware-Verschieben nicht beschleunigen. Bei fünf oder mehr Kunden haben also normalerweise alle Kunden nach Nummer zwei ausreichend Zeit, ihre Einkäufe aufs Band zu legen.

Letztens brauchte ich nur einen Artikel und hatte keinen Einkaufswagen: Wir brauchten beide wenig Platz, mein Artikel und ich selbst. Automatisch bewegte sich meine Ware neben den Kunden vor mir und die Ware des mir folgenden Ehepaares neben mich. An sich ist das kein Problem. Allerdings wollte dieses Ehepaar seine Wunsch-Artikel zügig und schön dicht hinter meine Einkäufe platzieren – und offenbar auch sich selbst hinter mich selbst. Die Frau durchbrach mehrmals meinen Sicherheitsabstand und „lief auf“. Normalerweise ist mir Berührung nicht unangenehm; aber in diesem Fall empfand ich es als lästig. Ich konnte nicht ausweichen: Vor mir stand jemand mit Einkaufswagen.

Nächstes Mal nehme ich mir auch einen – ganz egal, wie viel ich einkaufen will. Als Abstandhalter sind die Dinger unschlagbar!

Trotzdem Advent

Ich bin ein Dekorationsmuffel. Zwar mag ich Deko, halte mich aber für ziemlich unbegabt und vor allem leidenschaftslos. Dabei erscheinen mir gewisse Traditionen als erhaltenswert – und zu denen gehört eine adventliche Stimmung durch Kerzen, Tannengrün und vielleicht eine Krippe.

Trotzdem: Einen Tag vor dem ersten Advent wies unser Haus noch keine Anzeichen der bevorstehenden Weihnachtszeit auf. Mir fehlte die Lust. Glücklicherweise war ich am Samstag noch in der Stadt und konnte bei Rossmann „last minute“ vier dicke Kerzen besorgen. Eine Tochter holte ein paar Eibenzweige aus dem Garten. Muss erstmal reichen.

PS: Jesus kommt trotzdem!

Richtig warm?

Es gibt Winterjacken, die richtig warm halten. Für Grönland und die Antarktis zum Beispiel: Es gibt schließlich Menschen, die dort hinfahren und nicht erfrieren.

Ich besitze offenbar kein solches Kleidungsstück, denn: Solange ich mich bewege, ist alles gut. Sobald ich aber nur stehe und vielleicht auf jemanden oder etwas warte, ist nichts mehr gut. Es kommt irgendwann der Augenblick, an dem ich anfange zu frieren.

Vielleicht liegt es daran, dass es (noch und bei uns) nicht richtig kalt ist. Oder ich bin ein besonders verfrorenes Exemplar Mensch. Es kann auch sein, dass ich eine andere Winterjacke brauche – eine von den richtig warmen.

Mal anders

Ich bin keine defensive Autofahrerin – sagen Menschen, die mit mir fahren. Dennoch: In der Regel halte ich mich an die Regeln. Ich muss nicht super schnell fahren, anderen die Vorfahrt nehmen oder rote Ampeln als kirschgrün wahrnehmen, um zufrieden durch den Straßenverkehr zu kommen. Das war schon immer so, aber wahrscheinlich werde ich mit zunehmendem Alter noch ruhiger.

Gestern nicht. Gestern drückte ich gern ein bisschen mehr aufs Gas, „sprang“ in eine fast zu kleine Lücke im fließenden Verkehr und war bei alldem sehr vergnügt. Dieses neue Fahrverhalten war spannend: irgendwie ein bisschen verrückt und nicht so vernünftig wie sonst. Zum Glück erwischte mich keiner bei diesem übermütigen Gebaren. Morgen werde ich wieder die Alte sein – im wahrsten Sinne des Wortes…

Freiheit und Grenzen

Wir sind frei zu reden, was wir denken,
zu lernen, was uns interessiert,
zu reisen, wohin wir möchten,
zu protestieren, wogegen wir wollen.

Aber wir sind begrenzt von
der Meinung anderer,
unserer eigenen Prägung,
Vorurteilen.

Je ehrlicher wir unsere Grenzen wahrnehmen, umso weniger halten sie uns gefangen.