Zu Weihnachten bekam ich ein Buch, das ich mir gewünscht hatte. Es enthält kurze Texte zu verschiedenen Themen. Geschrieben hat es ein Journalist und Autor, dessen Kommentare ich gern in unserer Tageszeitung lese. Diese Kolumnen sind jedesmal schlau geschrieben, kurz und aus einer interessanten Perspektive heraus formuliert. Vor ein paar Tagen fing ich mit dem Buch an – und war enttäuscht: Seine Kolumnen gefallen mir besser! Die kleinen „Anekdoten“ (in diesem Buch zumindest) sind längst nicht so gescheit geschrieben, nicht prägnant genug, erschreckend leseunfreundlich strukturiert, thematisch zu ausufernd und (für mich) nur mäßig interessant. Beim Lesen dachte ich: Es klingt, als hätte der Autor sich keine Mühe gemacht, geduldig die wesentliche Aussage herauszuarbeiten und den Texten dadurch seine besondere „Schreibe“ zu verleihen. Schade.
Recycling
Ein inzwischen verstorbener Freund schrieb seine Briefe an mich immer auf alten Rechnungen oder dergleichen. Er benutzte, was er hatte – nämlich kein „richtiges“ Briefpapier, sondern die leeren Rückseiten einseitig bedruckter Blätter. Es irritierte mich anfangs, doch ich merkte schnell: Unabhängig vom verwendeten Papier war der Briefinhalt in seinem Fall jedesmal persönlich, wertschätzend und schön formuliert – also wunderbar und höchst willkommen.
Kürzlich „erbten“ meine Töchter fast neues Briefpapier – mit Diddl-Zeichnungen. Sie haben dafür keine Verwendung. Zum einen steht Briefschreiben nicht hoch im Kurs bei ihnen, zum anderen sind sie dem Diddl-Alter längst entwachsen. Die Folge ist, dass nun ich diverse Blöcke Diddl-Briefpapier besitze und benutze. Denn, auch wenn ich erst recht nicht mehr im Diddl-Alter bin: Es fällt mir schwer, noch gut beschreibbares Papier einfach wegzuwerfen. Außerdem ist es mir nicht peinlich, darauf Briefe an Menschen jeden Alters zu schreiben und ohne erklärenden Kommentar zu verschicken.
Diddl-Briefpapier ist nicht ganz so cool wie alte Rechnungen, aber das Prinzip dahinter ist dasselbe – pragmatisches Recycling ohne Chic.
Hin und her
„Lehre
uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug
werden.“
Psalm 90, 12
Dieser Vers zwingt zu einem ernsthaften Realisieren der Vergänglichkeit des Lebens, obwohl sich der Gedanke an das Ende gut verdrängen lässt – auch, weil ich nicht weiß, wann das Ende da sein wird. Ich weiß nur: Dieses Leben geht vorüber.
Sollte ich also oft an den Tod denken, stets mit ihm rechnen, mir selbst und meinen Lieben täglich mein drohendes Sterben in Erinnerung rufen? Ich glaube nicht. Wir können nicht mit der ständigen Perspektive der Endlichkeit durch unsere Tage gehen: „Es könnte das letzte Mal sein, dass wir in der Runde so zusammenkommen; vielleicht werde ich nie wieder so etwas Tolles erleben; was, wenn das mein letzter Sommer wäre?“ Das Ziel ist weder ein Gefühl der Traurigkeit oder gar Ohnmacht noch depressiver Fatalismus. Ich soll nur nicht verdrängen oder ignorieren, dass meine Tage begrenzt sind. Es ist klug, wenn ich dieser Wahrheit Raum gebe in meinem Denken.
Dem gegenüber steht ein anderer Vers, der mich gedanklich auf das Heute fokussiert. Aus seinen Zeilen klingt Leichtigkeit:
„Darum
sorgt nicht für morgen, denn der morgige Tag wird für das Seine
sorgen. Es ist genug, dass jeder Tag seine eigene Plage
hat.“
Matthäus 6, 34
Wie beruhigend: Der morgige Tag muss mich heute noch gar nicht interessieren. Den Herausforderungen von heute kann ich mit Schwung und Kraft begegnen, das Glück von heute darf ich mit allen Fasern genießen. Morgen ist heute zweitrangig, morgen kommt mit seinen eigenen Überraschungen – vielleicht positiv, vielleicht negativ.
Zwischen diesen beiden Versen schwingt mein Bewusstsein hin und her. Eine gute Balance habe ich, wenn ich weder auf der einen noch auf der anderen Seite verharre. Gedankliche Weite zulassen, die Spannung aushalten, aktiv Schwung holen und immer wieder die Mitte suchen – ausgewogenes Leben ist wie schaukeln.
Hat Ehrlichkeit Grenzen?
Wie ehrlich sollen Menschen mir gegenüber sein? Was will ich wissen, was lieber nicht?
Noch vor einigen Jahren hätte ich – ganz klar – gesagt: Ehrlichkeit ist IMMER besser als Unehrlichkeit oder zurückhaltendes Schweigen. Der Ton ist wichtig, aber (ehrlich gesagt) vielleicht doch zweitrangig.
Mittlerweile bin ich nicht mehr so sicher. Wenn ich meinem Mann einen Gefallen tue, bin ich enttäuscht, wenn er mir – ganz ehrlich – sagt, dass ihm dieser nicht viel oder nichts bedeutet. Dass meine Kinder (ehrlich gesagt) auch ohne meine Hilfe, meinen Rat und meine Anteilnahme sehr gut leben und handeln können, stimmt mich – neben allem Stolz – auch ein wenig traurig.
Wäre es besser, mich zunehmend mit der Wahrheit zu verschonen, um mir meinen Frieden oder die Illusion eigener Bedeutsamkeit zu lassen? Wenn hinter meinem Rücken gesagt würde: „Ach, mit der kann man nicht offen und ehrlich reden.“ – Wäre mir das lieber? Ich bezweifle es.
Wenn ich ehrlich bin: Die Ehrlichkeit und ich, wir haben ein ambivalentes Verhältnis.
Mehr als nur putzen
Unsere vier großen Kinder müssen, dürfen, sollen abwechselnd eins unserer Badezimmer putzen. Jeder macht es ein bisschen anders gründlich, besonders gern macht es keiner von ihnen. Letzten Samstag war ein Sohn dran, der sich anschließend gebührend aufregte über „Mädchen-Haare, -Schminksachen und -Deos, die überall herumstehen oder -liegen“ und immerzu im Weg sind.
Als ich heute dieses Bad betrat und benutzte, freute ich mich darüber, wie sauber und aufgeräumt es ist. Und ich dachte: So sehr sie diese Aufgabe nervt, so schnell aus ihrer Sicht die vier Wochen vergehen, bis der Einzelne wieder dran ist – so wunderbar dient dieses Bad-Putzen ihrer Persönlichkeit. Den eigenen Dreck zu beseitigen ist nicht schwer; sich um die Hinterlassenschaften anderer zu kümmern – das ist die höhere Kunst der Lebensschule.
Keine Geschenke
Ich bekomme und mache gern Geschenke. Trotzdem fällt es auch mir manchmal schwer, zu einem bestimmten Zeitpunkt – Geburtstag, Weihnachten – gute Geschenk-Ideen zu haben. Meine Geschwister und ich beschlossen daher vor Jahren, uns gegenseitig keine Geburtstags- oder Weihnachtsgeschenke zu machen. Das ist praktisch, wir empfinden es alle drei als Entlastung.
Besonders zwischen meiner Schwester und mir bedeutet diese Regelung jedoch nicht, dass wir uns nichts zuschicken – nämlich unserer Meinung nach lesens- und empfehlenswerte Lektüre. Wir lesen beide gern; und obwohl unser Geschmack nicht immer absolut übereinstimmt, bereichern die Buchgeschenke der einen die Lese-Erfahrung der anderen. Diesen Sendungen liegt stets der Hinweis bei, die Gabe nicht (miss-)zu verstehen. „Liebe Dagmar, das ist kein Ostergeschenk…“, las ich entsprechend gestern in dem Brief, den ich aus dem Briefkasten fischte. Beiliegend fand ich ein Buch, über das wir kürzlich am Telefon gesprochen hatten.
Ich genieße diese „Briefe“ von meiner Schwester sehr, denn sie kommen immer unerwartet und überraschend. Wir schenken uns nichts, meine Schwester und ich: Wir machen uns nur gegenseitig regelmäßig ein Nicht-Geschenk und damit jedesmal eine große Freude.
Zeh-Beben
Jeder ist schon mal mit dem kleinen Zeh irgendwo hängengeblieben. Bettfüße, Türen oder Türrahmen sind besonders geeignet dafür – der Schmerz ist immer derselbe: Unerwartet, sehr stark, sich in Windeseile ausbreitend über den ganzen Fuß – mit dem Epizentrum im kleinen Zeh. Erst nach einem langen Moment klingt das Schmerz-Beben ab.
Manchmal mag der Zeh gebrochen sein, meist tut er einfach nur fies weh. Wie auch immer, der Effekt ist allumfassend: Aus dem vollen Lauf oder dem müden Geschlurfe wird ein plötzliches Innehalten; Geist und Körper sind hellwach und fokussiert darauf, den Schmerz auszuhalten.
Leider ist in solchen Fällen fast nie jemand da, dem man die Schuld geben könnte. Leider verschulden wir derartige Zusammenstöße fast immer selbst – durch Unaufmerksamkeit, Müdigkeit oder schlicht durch Eile. Nur sehr emotionale Menschen machen den Türrahmen (oder so) verantwortlich und schreien nicht nur ihren Frust heraus, sondern auch den „Verursacher“ an…
Politisch unkorrekt, aber witzig
Ein Freund von uns hat seit Weihnachten ein neues Auto, einen BMW X7. Mich interessieren Autos nicht so sehr; aber mein Sohn wusste: Dieser Wagen ist noch größer ist als der, den unser Freund vorher fuhr. Als ich zu dem neuen Fahrzeug gratulierte, kam schlagfertig: „Irgendwas muss man Greta ja entgegensetzen, oder?“
Die Antwort mag noch so unüberlegt oder unreif trotzig klingen – sie brachte mich zum Schmunzeln.
Verschleiß
Wir sind vermessen, wenn wir meinen, körperlich immer gleich belastbar zu bleiben. Alles nutzt sich ab. Es gibt nichts, woran der Zahn der Zeit nicht nagt: Tote Materie wie Papier, Metall, Keramik und Plastik verrottet irgendwann. Erst recht gilt das für lebende Dinge wie Zellen, Knochen, Gewebe und die Körper, die aus ihnen gemacht sind. Ähnlich geht es dem Geist: Flexibilität und dauerhafte Lernbereitschaft sind gute Voraussetzungen, gedanklich jung zu bleiben. Aber auch das hat Grenzen. Alles unterliegt der Vergänglichkeit. Trotz aller Reparatur oder Korrektur – altersgemäßer Verschleiß ist unvermeidbar.
Wenn Abnutzungserscheinungen (an Körper und Geist) offensichtlich werden, kann es attraktiver sein, zum eigenen Alter zu stehen, als sich selbst und der Welt immerwährende Jugendlichkeit vorzugaukeln. Das nennt man Würde. Ihr kann der Verschleiß nichts anhaben. Warum, weiß ich auch nicht.
Wahl-Qual
Eine meiner Töchter möchte neue Schuhe haben – ob sie auch neue braucht, sei dahingestellt. Gestern waren wir in zwei Läden mit einer schier überwältigenden Auswahl an Schuhen. Leider blieb unsere Einkaufstour trotz des großzügigen Angebots erfolglos, aber ganz knapp:
„Wenn es die Schuhe
auch in nicht glänzend,
ohne Reißverschluss,
mit anderen Schnürsenkeln,
in einer anderen Farbe,
mit einer schlankeren Sohle,
in nicht so teuer,
ohne diesen hässlichen Aufdruck
…
gäbe, das wäre super.“
Wer die Wahl hat, hat die Qual – und am Ende keine neuen Schuhe.