Vorbei

Als ich meinen zehnjährigen Jüngsten letztens von den Pfadfindern abholte, verabschiedeten sich in der Nähe gerade eine Menge Kindergartenkinder mit ihren Eltern und einigen funzelnden Laternen voneinander. Ihr Laternenumzug war gerade vorbei, die Kindergarten-Leiterin fand noch ein paar abschließende Worte: Alle Kürbis-, Monster-, Haus-, Auto-,Tier- und sicher auch normale Laternen sollten noch einmal hochgehalten werden. Die Resonanz war – nun ja – mäßig begeistert. Was erwartet man von Drei- bis Sechsjährigen, die gerade eine knappe Stunde durch die Kälte gelaufen und hungrig sind? Und was von den Eltern, die meist noch ein Geschwisterkind im Schlepp haben und froh sind, wenn sie jetzt ENDLICH nach Hause gehen können? Genau: Da ist nicht mehr viel Schwung übrig.

Ich schaute mit einer gewissen zeitlichen Distanz auf das Ganze und dachte: Leute, es ist bald vorbei! Vor ein paar Jahren noch habe ich viele Laternenumzüge mitgemacht – und in großer Freiheit auch einige ausfallen lassen. Alles Geschichte. Momentan betrachte ich Laternenumzüge freundlich lächelnd, aber unbeteiligt. Daran wird sich bis zu meinen eigenen Enkelkindern nichts ändern. Alles hat seine Zeit.

Kein Herrschaftswechsel

Wenn Eltern ein Kind einschulen, hören sie meist die Voraussage, dass die Lehrerin für das Kind ziemlich bald größere Autorität haben wird Mutter oder Vater. „Frau Soundso hat aber gesagt, dass ich das nicht machen muss“, wird zur stärksten Drohung, die man der künftigen Schulkind-Mutter entgegen schleudern kann. Als hätte ich als Mutter nichts mehr zu sagen oder würde mein Kind ab sofort nur noch durch Schule lernen und geprägt werden.

Ich sehe das anders: Ich kann ganz viel nicht, wofür die Lehrer meiner Kinder besser ausgebildet sind. Andererseits kann und mache ich ganz viel, wofür die Lehrer meiner Kinder nicht zuständig sind. Von daher bleibt es als Mutter meine Aufgabe, mein Kind zu unterstützen und das zu ergänzen, was Schule nicht leisten kann oder nicht leistet. Radfahren und Schwimmen beispielsweise. Mit einem Autoritäten-Wechsel hat das nichts zu tun.

Das durch die Schule vermittelte Wissen ist mir nicht egal. Noten sind mir allerdings weniger wichtig als das, was unsere Kinder tatsächlich lernen und verstehen. In der Grundschule war es mir deshalb egal, ob die Rechtschreibung dort nicht beherrscht werden musste, das Schriftbild keine Rolle spielte oder es der Lehrerin reichte, wenn Vokabeln nur mündlich sitzen: Ich habe trotzdem mit den Kindern für Diktate geübt, auf eine ordentliche Handschrift geachtet und Vokabeln schriftlich abgefragt – ob die Lehrerin das verlangte oder nicht. In der weiterführenden Schule begleite ich weniger, lege aber noch immer Wert darauf, dass unsere Kinder die Grundlagen mitbekommen. Insofern habe ich meinen sehr persönlichen Anspruch an Schulbildung – und mache mich unabhängig von dem, was dem jeweiligen Lehrer wichtig ist.

Andererseits weigere ich mich, auf die Schimpftiraden meiner Kinder zu hören, wenn „der Lehrer Schuld war“ am schlecht ausgefallenen Vokabeltest oder der „viel zu schweren“ Klassenarbeit. Ich halte es für wichtig, dass Kinder ihren Lehrern grundsätzlich mit Respekt begegnen, sie ernst nehmen und ihre Autorität nicht in Frage stellen. Dazu gehört, dass Schüler sich in der Schule bemühen. Insofern arbeiten wir zusammen, die Lehrer und ich. Für die Kinder. Nicht weil ich schlauer bin als die Lehrer, sondern weil ich meine Kinder mehr liebe, bin ich (noch) die letzte Autorität für meine Kinder. Diese verleiht mir nicht das Recht, die Autorität von Lehrern infrage zu stellen. Aber sie betraut mich mit der Pflicht, trotz des Schuleintritts immer noch die letzte Instanz für meine Kinder zu sein.

Lebenszeit

„Kehre um und sage Hiskia, dem Fürsten meines Volkes: `So spricht der Herr, der Gott deines Vaters David: Ich habe dein Gebet gehört und deine Tränen gesehen. Siehe, ich will dich gesund machen …, und ich will fünfzehn Jahre zu deinem Leben hinzutun…´“
2. Könige 20, 5+6a

15 Jahre sind lang, oder? Als Gott zur Lebenszeit von Hiskia noch 15 Jahre hinzutat, war das viel. Ich habe diese Geschichte schon oft gelesen und staune jedesmal. 15 Jahre mehr leben dürfen, einfach so – nur Gott kann das schenken. Dennoch blieb die Geschichte um Hiskia für mich eine Geschichte.

Als ich vor sechs Jahren für einen todkranken Menschen um weitere 15 Jahre Leben betete, kam mir das vermessen vor. Damals ging es um Monate oder Wochen, die Endlichkeit des Lebens war sehr greifbar. Im Angesicht des Todes erschienen mir 15 Jahre unglaublich lang und mehr als genug. Dann wendete sich das Blatt, dieser Mensch erholte sich und darf seither weiterleben. Monat für Monat staunte ich und war dankbar – und gewöhnte mich daran. Bis heute.

Über sechs Jahre später ist eine Menge der erbetenen Zeit vergangen; und ich frage mich, warum ich damals nicht um 30 weitere Jahre betete. In der Rückschau erscheint mir die Zeit nicht mehr so lang – vor allem die noch verbleibende nicht. Jetzt, wo ich miterlebe, dass es für Gott tatsächlich keine Schwierigkeit ist, weitere Lebenszeit zu schenken, erscheint es mir weniger vermessen, darum zu bitten. Und ich hoffe, Gott gibt noch reichlich dazu.

Nur ein Auto?

Selten fahre ich mit dem Auto einkaufen, aber heute überließ ich der Bequemlichkeit den Sieg über die Disziplin. Auf dem Rückweg an der Ampel stand ein Fahrzeug vor mir, das mich zum Lächeln brachte.

Es war weder frisch gewaschen noch von einer besonders seltenen (attraktiven) Marke; es handelte sich auch nicht um mein Traumauto. Es war ein mittelgroßer Mitsubishi, das Markensymbol von denen kenne ich. Es war silbern und sah nach einem älteren Modell aus. Außerdem war das Auto ungewaschen und am Kofferraum leicht zerschrammt; eine Rücklicht-Verkleidung war abgebrochen, und an der Seite befand sich eine Delle. Es sah aus wie ein ganz normales Auto – und fiel mir auf zwischen all den schicken, glänzenden, Beulen- und Schrammen-losen, neu anmutenden, offenbar PS-starken Wagen, die heutzutage hauptsächlich das Straßenbild prägen. Es sah aus wie „in die Jahre gekommen“.

Genau wie ich.

Relevant, tolerant oder doch intolerant?

MD steht für die Gesamtheit der allseits unbeliebten und teilweise sogar gefürchteten Erkrankungen um den Magen- und Darm-Bereich. Sie werden häufig durch verdorbene Lebensmittel ausgelöst. MD-Erkrankungen lassen bei Müttern kleiner Kinder die Alarmglocken schrillen, können Teenagern zurückfallen lassen in Kleinkind-ähnliche Abhängigkeiten von „Mama“ und sind zwar meist schnell vorbei, aber doch mehr als lästig. Relevante Maßnahme: Für die Ausbreitung von MD-Erkrankungen ist es nötig und hilfreich, dass ich vorsichtig und zurückhaltend bin bei verdorbenen Lebensmitteln und den Kontakt zu MD-auslösenden Viren auf ein Minimum reduziere.

MHD (Mindesthaltbarkeitsdatum) dagegen unterscheidet sich nicht nur durch einen Buchstaben von MD, sondern beschreibt etwas komplett anderes. Zum Verständnis: Das Mindesthaltbarkeitsdatum ist eine tolerant handhabbare Richtlinie, keine relevante Verhaltensmaßgabe. Ein aufgedrucktes Datum entbindet mich nicht davon, meinen Verstand zu benutzen und ein Lebensmittel (das vermeintlich abgelaufen ist), auf seine Verzehrbarkeit zu untersuchen.

Nehmen wir Milchprodukte: Ich hatte einige Zeit mit der Weiterverarbeitung von Milch zu tun und weiß, dass es dabei vor allem auf ein sauberes Arbeiten ankommt. Bestimmte Gär-Prozesse werden kontrolliert angestoßen und sind gewollt. Es bleibt jedoch nicht genau vorhersagbar, wann diese zu unerwünschten Faul- oder Schimmel-Prozessen werden. Zudem gilt: Ein noch verzehrbares Milchprodukt ist von einem nicht mehr verzehrbaren sehr gut zu unterscheiden. Relevant sind hierbei nicht das MHD, sondern Optik, Geruch und Geschmack. Es ist unnötig und nicht hilfreich, nur wegen dieses Datums einem Lebensmittel gegenüber vorsichtig und zurückhaltend zu sein und den Kontakt auf ein Minimum zu reduzieren.

Ein Lebensmittel, das nach dem aufgedruckten Mindesthaltbarkeitsdatum verzehrt wird, wird nicht automatisch (oder gar deswegen) eine Magen- und Darm-Erkrankung auslösen. In Kurzform: MHD ist irrelevant für MD.

Es mag intolerant klingen, aber ich sage es trotzdem: Es fehlt mir das Verständnis für Menschen, die auf Lebensmittel mit abgelaufenem MHD so reagieren wie auf MD-Erkrankungen.

Die Welt retten

Es gibt Menschen, die heute auf die Straße gehen und für den Klimaschutz demonstrieren. Das ist in Ordnung. Einige von ihnen – nicht nur Greta – tun das sehr intensiv, sozusagen hauptberuflich. Sie haben eine Menge zu tun und führen ein anstrengendes Leben. Demonstrationen müssen organisiert, Reden geschrieben und gehalten, Treffen vereinbart und besucht werden.

Ich lebe normal. Auf meine Art und in den Augen meiner Kinder betreibe ich auch Klimaschutz: Ich fahre meist mit dem Rad, koche alles selbst, benutze wiederverwendbare Beutel, konsumiere sehr dosiert, beziehe meine Lebensmittel regional und der Jahreszeit entsprechend etc. Es fühlt sich ein bisschen so an, als würde ich nebenbei versuchen, die Welt zu retten. Seit mindestens zwei Jahrzehnten – einen großen Teil davon unbewusst. Ehrlich gesagt: Das ist mindestens ebenso anstrengend wie hauptberuflich Menschen für den Klimaschutz zu mobilisieren.

Pilates

Bei Pilates dreht sich alles um die Körpermitte. Es geht darum, die Muskeln der Rumpfmuskulatur gezielt anzuspannen und zu entspannen. Letztlich soll dieses Training dabei helfen, die Wirbelsäule beweglicher zu machen und die Körperhaltung zu verbessern. Pilates tut gut, ist aber nicht so einfach. Es ist schon schwierig zu spüren, welche Muskeln genau gemeint sind. Noch schwieriger ist es, diese dann gezielt anzusteuern. On top: Bestimmte Bewegungen während der Übungen unterbrechen (und erschweren) das Anspannen der Muskeln.

Mit den Jahren sind die Muskelgruppen auf diese Unterbrechungen besser vorbereitet, die Übungen werden dafür komplexer: Die Herausforderungen bleiben dieselben.

Auch Gespräche sind wie Pilates, jedenfalls Gespräche mit Kindern. Gespräche mit Kindern tun gut, sind aber nicht so einfach. Erzählstränge können noch so interessant sein – Kinder-Fragen kommen trotzdem und an unerwarteter Stelle, leiten abrupte Themenwechsel ein und fordern mich heraus.

Mit den Jahren bin ich auf diese Unterbrechungen besser vorbereitet, die Fragen werden dafür komplexer: Die Herausforderungen bleiben…

Von unglaublich zu machbar

Ich bin kein Biathlon-Fan. Dieser Sport ist mir zum Zuschauen zu langweilig. Das hielt mich in der Vergangenheit aber nicht davon ab, Biathleten zumindest in meiner Vorstellung zu bewundern. Die Tatsache, dass sie auf höchstem Niveau laufen und zwischendrin zielsicher schießen, fand ich unglaublich. „Das geht doch gar nicht, wie machen die das?“, dachte ich. Ich selbst bin nach Sprints oder Ausdauerläufen sehr am Pusten und könnte kein Gewehr ruhig halten.

Kürzlich schaute ich doch einmal Biathlon-Videos und bemerkte: Die Sportler halten beim Schießen die Luft an, schießen, atmen zwischendrin kurz durch, halten die Luft wieder an, schießen und so weiter. Das erklärt für mich einiges. Zwar ist für mich auch das Luftanhalten nach sportlicher Anstrengung schwierig; zwar kann ich nicht einmal im ausgeruhten Zustand treffsicher schießen – alles egal: Mit angehaltenem Atem erscheint mir das Schießen beim Biathlon nicht mehr unglaublich, sondern machbar. Dass ich darauf nicht eher gekommen bin.

Besondere Spezies

In unserer Nachbarschaft gibt es Leute, die sehr häufig viele Menschen zu Besuch haben und feiern. Ob Frühling, Sommer, Herbst oder Winter – egal: Draußen zusammen sitzen geht immer, grillen und dazu was trinken auch. Einen Anlass brauchen sie nicht. „Einfach so“, lautet meistens die Antwort, wenn wir – vorbei spazierend – fragen, was es zu feiern gibt. Diese entfernten Nachbarn gehören aus unserer Sicht einer besonderen Spezies an: sie sind gesellige Feierbiester. Für solche Leute ist ein runder Geburtstag ebensowenig eine Herausforderung wie eine Hauseinweihung mit der gesamten Nachbarschaft oder eine Silberhochzeit mit den Weggefährten der vergangenen 25 Jahre.

Für uns dagegen werfen diese Art Anlässe bedrohlich anmutende Schatten voraus und lassen uns nach Möglichkeiten suchen, eine mittel- bis richtig großen Feier erfolgreich zu umgehen. Wir sind keine geselligen Feierbiester; wir schätzen gut überschaubare Gruppen – und diese nur hin und wieder.

In den Augen der geselligen Feierbiester sind wir sicherlich ebenso eine besondere Spezies: Nennen sie uns womöglich Langweiler???

Ehrgeiz

Sport gehörte und gehört zu meinem Leben. „Das muss doch zu schaffen sein, das geht besser“, war lange mein Motto. Zwar war ich nie Vereinssportlerin, aber mein Ziel im Sport war, gut zu sein. Irgendwann reduzierte sich das Sporttreiben aufs Laufen, sehr regelmäßig und auf eher überdurchschnittlichem Niveau. Ich war häufig und schnell unterwegs.

Jahrelang machte ich einmal im Jahr einen Triathlon mit (nur zum „Spaß“) – und wollte auch dort möglichst gut sein. (Es ist mir nicht wirklich gelungen…)

Abgesehen vom Vergleich mit anderen blieb der Wunsch, körperlich die eigenen Grenzen auszuloten und gut zu sein: beim Laufen, beim Triathlon, beim Sportabzeichen und später bei Pilates.

Interessanterweise beobachte ich seit einiger Zeit eine Veränderung. Ich laufe noch immer gern, ich mache noch immer Pilates, und vielleicht nehme ich auch nochmal an einem Triathlon teil. Der Unterschied: Es ist mir nicht mehr wichtig, gut zu sein. Mein Ehrgeiz diesbezüglich ist verschwunden. Heute mache ich Sport vor allem, weil er mir gut tut.