„Jeder Tote ist einer zu viel.“ Seit das Corona-Virus uns beschäftigt, habe ich diesen Satz schon mehrmals in Leserbriefen in unserer Tageszeitung gelesen. Er impliziert, dass jeder Tote im Zusammenhang mit Corona vermeidbar ist. Das sehe ich anders – und bin unsicher, ob ich das „darf“. Wenn jemand von meinen Lieben sterben würde, wäre meine Trauer groß. Und dennoch denke ich: Nicht jeder Tote (durch Krankheit) ist einer zu viel, denn nicht jeder ist vermeidbar, auch nicht jeder Corona-Tote. Ebensowenig wie all die Toten vermeidbar sind, die an Herz-Kreislauf- oder verschiedenen Atemwegserkrankungen sterben, oder die vielen, die sich jedes Jahr das Leben nehmen.
Nicht immer ist der entscheidenden Faktor, ob jemand „Risikopatient“ ist. Zwar können wir statistisch vorher Schlüsse ziehen, wie wahrscheinlich jemand verstirbt. Diese Voraussagen treffen häufig ein – aber eben nicht immer. Es sterben Menschen, von denen wir es nicht gedacht hätten, an Krankheiten, die wir für nicht tödlich gehalten hätten. Es ist nicht wahr, dass jeder Tote einer zu viel ist. Der Tod lässt sich letztlich nicht verhindern – nicht einmal in unserer medizinisch hervorragend versorgten Gesellschaft. Tote gehören zum Leben dazu.