Hin und her

„Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.“
Psalm 90, 12

Dieser Vers zwingt zu einem ernsthaften Realisieren der Vergänglichkeit des Lebens, obwohl sich der Gedanke an das Ende gut verdrängen lässt – auch, weil ich nicht weiß, wann das Ende da sein wird. Ich weiß nur: Dieses Leben geht vorüber.

Sollte ich also oft an den Tod denken, stets mit ihm rechnen, mir selbst und meinen Lieben täglich mein drohendes Sterben in Erinnerung rufen? Ich glaube nicht. Wir können nicht mit der ständigen Perspektive der Endlichkeit durch unsere Tage gehen: „Es könnte das letzte Mal sein, dass wir in der Runde so zusammenkommen; vielleicht werde ich nie wieder so etwas Tolles erleben; was, wenn das mein letzter Sommer wäre?“ Das Ziel ist weder ein Gefühl der Traurigkeit oder gar Ohnmacht noch depressiver Fatalismus. Ich soll nur nicht verdrängen oder ignorieren, dass meine Tage begrenzt sind. Es ist klug, wenn ich dieser Wahrheit Raum gebe in meinem Denken.

Dem gegenüber steht ein anderer Vers, der mich gedanklich auf das Heute fokussiert. Aus seinen Zeilen klingt Leichtigkeit:

„Darum sorgt nicht für morgen, denn der morgige Tag wird für das Seine sorgen. Es ist genug, dass jeder Tag seine eigene Plage hat.“
Matthäus 6, 34

Wie beruhigend: Der morgige Tag muss mich heute noch gar nicht interessieren. Den Herausforderungen von heute kann ich mit Schwung und Kraft begegnen, das Glück von heute darf ich mit allen Fasern genießen. Morgen ist heute zweitrangig, morgen kommt mit seinen eigenen Überraschungen – vielleicht positiv, vielleicht negativ.

Zwischen diesen beiden Versen schwingt mein Bewusstsein hin und her. Eine gute Balance habe ich, wenn ich weder auf der einen noch auf der anderen Seite verharre. Gedankliche Weite zulassen, die Spannung aushalten, aktiv Schwung holen und immer wieder die Mitte suchen – ausgewogenes Leben ist wie schaukeln.

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