Halbwertzeit von Nachrichten

Nachrichten werden nicht dadurch bedeutsamer oder gar wahrer, dass sie jeden Tag in der Zeitung stehen. Sie wirken zwar dringlich, wenn sie täglich wiederholt werden – wichtig für unser persönliches Leben sind sie deshalb aber nicht automatisch. Deutlich wird das auch im wunderbaren Film `News of the world´ mit Tom Hanks und Helena Zengel: Ein ehemaliger Captain reist im 19. Jahrhundert durch Amerikas Wilden Westen und liest Menschen, die nicht lesen können, Zeitungsartikel vor. Natürlich sind diese Nachrichten dann immer schon veraltet – und außerdem nur ein klitzekleiner Ausschnitt der weltweiten Wirklichkeit. Sie dienen deshalb auch weniger der Information als der Abwechslung, die in der amerikanischen Prärie ansonsten eher rar ist: Die Leseabende sind auch wegen der unterhaltsamen Vortragsweise durch den Captain gut besucht. Ihren alltäglichen Kleinkram jedoch schaffen die Bewohner des Wilden Westens sehr gut, ohne immerzu bestens informiert zu sein.

Wenn wir ehrlich sind: Es geht uns ähnlich. Die Zeitungslektüre heute taugt höchstens dazu, uns in Angst und Schrecken zu versetzen: `… hier ein Hurrikan, dort ein Waldbrand und dann ein Erdbeben – man könnte meinen, wir rasten von einer Katastrophe in die nächste´ las ich kürzlich in einem Kommentar. Ebenso wahr sei, `… dass heute zehnmal weniger Menschen durch Naturkatastrophen sterben als vor hundert Jahren. Solche Nachrichten verbreiten sich aber langsamer.´

Je nachdem, wie wir beschaffen sind, lösen die negativen Informationen etwas aus in uns: Angst, (Des-)Interesse, Zweifel oder resigniertes Kopfschütteln – meist mit geringer Halbwertzeit. Ähnliches gilt für positive Nachrichten, schätze ich: wenn wir zum Beispiel Fußball-Weltmeister werden, EIN Erdbebenopfer nach 70 Stunden noch gerettet wird oder im kolumbianischen Dschungel vier Kinder erst einen Flugzeugabsturz und dann auch noch die 40 Tage danach allein überleben. Wir sind im Moment begeistert, aber schon morgen sind auch diese Highlights gestrig – und werden überlagert von dem, was dann Dringliches in der Zeitung steht.

Trotz alldem, was (täglich) in der großen weiten Welt geschieht, leben die meisten von uns (täglich) gerade so weiter wie bisher. Das ist normal und liegt auch daran, dass wir eben genug zu tun haben. Emotional lassen wir uns hauptsächlich von dem berühren, was auf unserer kleinen Scholle tatsächlich passiert – und das ist für manche herausfordernd genug.

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