Wer bin ich? Jeder, der mich kennt, nimmt mich anders wahr.
Für die Frau an der Kasse bei Edeka bin ich die regelmäßig aufschlagende Kundin ohne Deutschland-Card, meist freundlich und immer viel einkaufend.
Meine älteren Geschwister betrachten mich wohl bis an ihr Lebensende als die „Kleine“ und müssen wahrscheinlich ebenso schmunzeln wie ich, wenn sie an das „schöne Panodrama“ im Polen-Urlaub 1977 denken, ein Spaziergang über den Bornstedter Friedhof ansteht oder eingelegte Senfgurken auf dem Tisch stehen.
Eine Freundin hier in Celle erlebt mich erst, seit ich Mutter bin, meine Vergangenheit ist kaum Thema, meine Interessen nur insoweit, als sie mit meiner jetzigen Lebenssituation kompatibel sind.
Meine Kinder haben Respekt (hoffentlich) und sind nur in bestimmter Hinsicht auf Augenhöhe mit mir. Sie wissen, dass ich manchmal laut singend oder tanzend durchs Wohnzimmer laufe, erleben mich mal unausgeglichen und müde, mal gut drauf und verständnisvoll. Zunehmend bin ich ihnen weniger wichtig als die gleichaltrigen Freunde.
Einmal im Jahr treffe ich zwei gute Schulfreunde für ein Wochenende. Da sind wir plötzlich 30 Jahre jünger, entdecken noch immer den Mitschüler von damals im anderen, lachen viel, quatschen die Nächte durch. Große Freude, dass die anderen auch so unangestrengt und zufrieden durchs Leben gehen und noch Platz ist für alte Freunde. Ausnahmezustand.
Freunde aus der Gemeinde teilen meine geistliche Entwicklung, sehen meine Kämpfe, meine Stärken und Schwächen und wissen wohl am ehesten, wie es meiner Seele geht – dafür haben sie keine Ahnung, welche Bücher ich lese.
Vor meinem Mann muss, will und kann ich mich nicht zusammenreißen. Er ist abwechselnd mit allen meinen Facetten konfrontiert; wenn ich an meinen eigenen und an biblischen Ansprüchen scheitere und wie ich mit den Niederungen des Alltags kämpfe. Bei ihm kann ich alles mögliche sein: Ernsthaft und albern, bienenfleißig oder auch faul, angriffslustig und (selten) lammfromm, sehr belastbar oder dauermüde, egoistisch oder hilfsbereit, verständnisvoll und bisweilen sehr kritikunfähig, personifizierte Lebensfreude oder auch echt wütend. Schön? Manchmal auch übermüdet, blass und altersgerecht zerknautscht.
Jeder sieht nur, was ich ihn sehen lasse oder was er sehen will; das Einzige, was immer durchscheint, ist dann wohl der Kern meiner Persönlichkeit. Was diese – abgesehen von „kommunikativ“ – ausmacht, müssen andere beurteilen.