Persönlichkeit

Einer meiner Söhne hat einen bestimmten Stil, Dinge zu erledigen. Was er macht, macht er richtig. Er schreibt ordentlich, radiert, wenn nötig, schneidet sorgfältig aus, sortiert mit System und räumt gründlich auf. Er braucht Zeit dafür, er ist nicht der Schnellste; aber das Ergebnis hat Hand und Fuß. Nichts davon tut er in der Form, weil ich es ihm sage. Er tut es, weil er nicht anders kann – er ist ein gewissenhafter Mensch. Etwas luschig zu tun, widerspricht seiner Persönlichkeit.

Ich oder wir als Eltern haben das nicht in ihn hineingelegt. Natürlich sehe ich Tendenzen davon in seinem Vater, es könnte also genetisch sein. Aber auch das käme ja nicht von ungefähr, sondern ist von Gott geschenkt. Ich staune darüber, wie stabil derartige Anlagen bereits in einem Kind verankert sind. Im Verlauf des Lebens lernt man noch eine ganze Menge, das ist klar. Aber das grundsätzliche „WIE“ einer Persönlichkeit ist keine variable Komponente – und nur in Maßen von uns als Eltern beeinflussbar.

Der Hang zur Gründlichkeit bei diesem Sohn hat wunderbare Aspekte; aber natürlich weiß ich, dass jede gute Gabe eine Kehrseite hat: Dem Gewissenhaften wohnt der Drang zur Perfektion inne – und die kann einen selbst begrenzen und andere nerven. Dem Impulsiven dagegen (auch ein solcherart geprägtes Exemplar Kind gibt es in unserer Familie) fallen Entscheidungen leichter, er wird mit Aufgaben schneller fertig und hat eher den Mut zur Lücke – aber die Resultate sind manchmal unbefriedigend, die Lösungswege zu wenig bis zu Ende durchdacht.

Ich möchte in meinen Kindern gern die guten Anlagen sehen, fördern und wertschätzen und gleichzeitig auf die Begrenzungen derselben hinweisen. Allen gleichermaßen möchte ich mitgeben: „Macht das Beste daraus!“

Eine Persönlichkeit – verschiedene Blickwinkel

Wer bin ich? Jeder, der mich kennt, nimmt mich anders wahr.

Für die Frau an der Kasse bei Edeka bin ich die regelmäßig aufschlagende Kundin ohne Deutschland-Card, meist freundlich und immer viel einkaufend.

Meine älteren Geschwister betrachten mich wohl bis an ihr Lebensende als die „Kleine“ und müssen wahrscheinlich ebenso schmunzeln wie ich, wenn sie an das „schöne Panodrama“ im Polen-Urlaub 1977 denken, ein Spaziergang über den Bornstedter Friedhof ansteht oder eingelegte Senfgurken auf dem Tisch stehen.

Eine Freundin hier in Celle erlebt mich erst, seit ich Mutter bin, meine Vergangenheit ist kaum Thema, meine Interessen nur insoweit, als sie mit meiner jetzigen Lebenssituation kompatibel sind.

Meine Kinder haben Respekt (hoffentlich) und sind nur in bestimmter Hinsicht auf Augenhöhe mit mir. Sie wissen, dass ich manchmal laut singend oder tanzend durchs Wohnzimmer laufe, erleben mich mal unausgeglichen und müde, mal gut drauf und verständnisvoll. Zunehmend bin ich ihnen weniger wichtig als die gleichaltrigen Freunde.

Einmal im Jahr treffe ich zwei gute Schulfreunde für ein Wochenende. Da sind wir plötzlich 30 Jahre jünger, entdecken noch immer den Mitschüler von damals im anderen, lachen viel, quatschen die Nächte durch. Große Freude, dass die anderen auch so unangestrengt und zufrieden durchs Leben gehen und noch Platz ist für alte Freunde. Ausnahmezustand.

Freunde aus der Gemeinde teilen meine geistliche Entwicklung, sehen meine Kämpfe, meine Stärken und Schwächen und wissen wohl am ehesten, wie es meiner Seele geht – dafür haben sie keine Ahnung, welche Bücher ich lese.

Vor meinem Mann muss, will und kann ich mich nicht zusammenreißen. Er ist abwechselnd mit allen meinen Facetten konfrontiert; wenn ich an meinen eigenen und an biblischen Ansprüchen scheitere und wie ich mit den Niederungen des Alltags kämpfe. Bei ihm kann ich alles mögliche sein: Ernsthaft und albern, bienenfleißig oder auch faul, angriffslustig und (selten) lammfromm, sehr belastbar oder dauermüde, egoistisch oder hilfsbereit, verständnisvoll und bisweilen sehr kritikunfähig, personifizierte Lebensfreude oder auch echt wütend. Schön? Manchmal auch übermüdet, blass und altersgerecht zerknautscht.

Jeder sieht nur, was ich ihn sehen lasse oder was er sehen will; das Einzige, was immer durchscheint, ist dann wohl der Kern meiner Persönlichkeit. Was diese – abgesehen von „kommunikativ“ – ausmacht, müssen andere beurteilen.