Jede Mutter findet ihre Kinder schön. So geht es auch mir, aber ich denke, es ist nicht nur eine Frage der sehr subjektiven Zuneigung. „Schön“ ist das Endergebnis eines Prozesses in meinem Gehirn, der von verschiedenen Faktoren gespeist wird. Nehmen wir meinen jüngsten Sohn: Er hat große Augen und lange Wimpern, die Augenbrauen sind sehr dezidiert und in einem Bogen – als würde er sie ein wenig hochziehen. Die Nase ist genau richtig groß, und der Mund bildet nach unten einen gelungenen Abschluss.
Mein Sohn ist jung und hat noch eine gewisse kindliche Unschuld. In seinem Gesicht kann ich lesen wie in einem offenen Buch. Freude oder Traurigkeit, Wut, Entspannung oder Konzentration spiegeln sich offen darin wider – wenn nötig sogar Ironie. Diese Ehrlichkeit gefällt mir, er versteckt sich nicht. Ob er sich freut, ärgert oder traurig ist: Die Stimmungen seiner Seele erfassen sein Gesicht und von dort aus seinen ganzen Körper.
Abgesehen von all dem ist sein Gesicht für mich noch anders schön: Wie nah Augen, Nase und Mund beieinander liegen, ist ganz erstaunlich. Nur wenn ich genau und bewusst darauf achte, sehe ich, dass diese drei flächenmäßig nur einen geringen Teil seines Gesichtes ausmachen. Ich finde das schön, ich mag genau diese Proportionen. Ich könnte sie nicht benennen, ich könnte nicht sagen, was daran mir gefällt – und es hat nichts damit zu tun, dass er mein Sohn ist. Ich glaube, dass ich eine klare, unbewusste und sehr objektive Vorstellung davon habe, wie nah beieinander „schön“ für mich ist.
Ich finde das Gesicht meines Sohnes schön, weil ich seine Mutter bin – aber nicht nur.