Epische Breite

Manche Menschen tun alles in epischer Breite. Sie erzählen, essen, dekorieren, musizieren, schminken sich, diskutieren oder sonst irgendetwas – metaphorisch gesprochen: ohne absehbares Ende. Für die, die zuhören, zuschauen oder warten, ist diese Ausführlichkeit eher anstrengend. 

Einer unserer Nachbarn flext in epischer Breite in seinem Garten. Es klang erst nach Steinen, mittlerweile nach Metall. Weder sein Vorankommen noch ein Ende seiner Bau-Aktion sind absehbar – buchstäblich: Uns trennt ein Sichtschutz. Seit drei Tagen warte ich angestrengt darauf, dass er fertig wird.

Nebeneffekt

Anfang Juni starteten wir das erste Mal eine Schneid-Aktion gegen den Buchsbaumzünsler in unseren Buchsbäumen. Früher als erwartet habe ich heute ich eine neue Population dieser gefräßigen Raupen entdeckt. Ich dachte, ich hätte noch ein wenig mehr Zeit – dem ist nicht so. Statt also den Ferienanfang zu genießen, gehe ich mit einer Schere in den Garten und entferne befallene Triebe. Die Buchsbäume werden dadurch natürlich wieder ein bisschen kleiner. Ich denke: Wenn ich die Pflanzen weiter alle sieben Wochen beschneide, sind sie am Ende des Jahres weg. Mit den Buchsbäumen verschwindet dann auch der Zünsler. Das ist mein eigentliches Ziel – und wäre in dem Fall aber irgendwie doch ein `Nebeneffekt´.

Aufwand und Nutzen

Wir rechnen gern nach Aufwand und Nutzen und beurteilen nach: Lohnt sich das? Wenn wir etwas kaufen, interessiert uns der Preis; für eine Arbeit erwarten wir einen angemessenen Lohn. Bei mir selbst ist der Ertrag meist nicht monetärer Art: Wenn ich koche, soll das Essen schmecken und uns satt machen; um den Garten kümmere ich mich, damit er sich eignet als grünes Naherholungsgebiet; ich putze, weil es das Wohngefühl verbessert. Sogar Erziehung dient einem Ziel – lebenstaugliche Menschen.

Aber was ist mit den beiden Fotobüchern, die ich kürzlich für unseren Ältesten gestaltet habe? Sie haben viel Zeit und auch Geld gekostet und gefallen ihm sehr – aber wahrscheinlich wird er sie nicht oft anschauen in seinem Leben. Außerdem verändert sich durch die Bücher nichts in unserem Verhältnis: Mein Sohn liebt mich nicht mehr oder weniger, fühlt sich ohnehin wertgeschätzt und erinnert sich auch ohne Fotosammlung an viele der Situationen, die in den Büchern festgehalten sind.

Ginge es nur nach Aufwand und Nutzen, müsste man im Fall dieses Projektes sagen: Es `rechnet´ sich nicht – oder jedenfalls schlecht. Aber die Arbeit daran hat mir viel Spaß und mich sehr dankbar gemacht. Sie hat sich eben doch `gelohnt´.

Mehr geht nicht

Eine Freundin erzählt mir von ihrem erwachsenen Sohn, der seit fünf Jahren psychisch krank ist. Sie ist traurig, hilf- und ratlos – mir ginge es genauso. Außerdem fragt sie sich, ob sie selbst mit schuld ist daran: Als ihr Sohn vier Jahre alt war, begann sie mit einer zweiten Ausbildung und war drei Jahre lang sehr viel weg. Niemand kann sagen, ob und in welchem Maße das dazu beigetragen hat, dass ihr Sohn jetzt krank ist. Aber ich weiß, dass ihr und ihm diese Überlegungen nicht helfen. Stattdessen bin ich überzeugt: Du kannst die Vergangenheit nicht ändern und auch nicht in die Zukunft wirken. Du kannst nur in der Gegenwart tun, was dir möglich ist – selbst wenn es teilweise fehlerhaft oder eigennützig ist und sehr wahrscheinlich nicht perfekt. Das ist alles, was du tun kannst; mehr geht nicht.

Weniger ist mehr

Ich fahre mitten in der Woche ganz früh zum Bäcker und bringe neben Brot spontan Brötchen mit. Die Kinder wecke ich mit einem geflüsterten „… frische Brötchen zum Frühstück“ und erhalte von allen ein verschlafenes Lächeln. Sie kommen nicht schneller aus dem Bett, aber sie genießen die erste Mahlzeit mehr als sonst. Hinterher sagt eine Tochter: „Weil wir so selten Brötchen essen, sind sie dann besonders köstlich.“ Recht hat sie! Dieser Genuss fällt unter `Lohn des Verzichts´: Weniger ist mehr – selbst bei frischen Brötchen. 

Vom Sein und vom Tun

Ein Freund von mir ist gerade pensioniert worden. Offiziell arbeitet er nicht mehr; von außen betrachtet hat er allerdings nur die Inhalte getauscht: Die Stunden, in denen er vorher arbeitend beschäftigt war, verbringt er jetzt weiter arbeitend – nur nicht mehr beruflich. Das ist in Ordnung, denn er ist vielfältig interessiert. Schade finde ich jedoch, dass er gestresster wirkt als vor seiner Pensionierung: Zu viele verschiedene Projekte muss er parallel jonglieren.

Ich kenne ihn schon sehr lange, er hat immer viel gearbeitet. Offensichtlich kann er damit nicht einfach aufhören. Was ich am meisten an ihm schätze, hat jedoch weniger mit seinem Beruf zu tun als mit seinen menschlichen Stärken: Er ist ein guter Zuhörer und ein kluger Ratgeber. Daher bedauere ich es, dass er noch immer sehr wenig Zeit hat für diese beiden so wichtigen Gaben. Aus meiner Sicht wäre es schön, er würde in Zukunft mehr sein als tun. Wann, wenn nicht jetzt?

EM

Beim Fußball bin ich patriotisch; wenn Deutschland raus ist, werde ich gleichgültig. Das EM-Finale zwischen Italien und England war mir trotzdem nicht egal: Ich liebe das Englische, sehr sogar. Die Sprache ist wunderbar; und ich finde, die Briten haben einen feinen Humor. Ich schätze die `feine englische Art´ und mag die unterschiedlich schönen Landschaften in Großbritannien. Zu Italien habe ich weniger Affinität – bis auf die Tatsache, dass ich gern einmal hinfahren würde. Ich hätte also beim EM-Finale eher für England sein müssen – und war es doch nicht. Es lag nicht an den Spielern: Fußballerisch sind aus meiner Sicht viele sehr gut und spielen ähnlich körperbetont, teilweise aggressiv, auf den Sieg orientiert und mannschaftsdienlich.

Die englischen Fans ließen meine Sympathien kippen. Eine Mannschaft, die die meisten Spiele zu Hause und vor eigenem Publikum absolviert, hat Heimvorteil. Klar. Gegen anfeuernde Unterstützung von den Rängen habe ich nichts. Aber jeden Ballbesitz des gegnerischen Teams mit Buh-Rufen und Pfiffen zu quittieren, das empfinde ich als unsportlich – und schädigend für das Ansehen der Mannschaft. Vor allem den englischen Fans habe ich einen Sieg ihres Teams nicht gegönnt, obwohl England selbst den EM-Titel endlich einmal verdient gehabt hätte.

Ein Hobby

„Ich habe keine Zeit für ein Hobby“, sagt eine Bekannte in einer Vorstellungsrunde mit zehn Frauen. Schade ist das, finde ich, auch wenn ich ahne, wovon sie spricht: Alleinerziehend mit drei kleinen Kindern bleibt nicht viel Zeit für sie als Mensch. Dennoch würde ich gern widersprechen, lasse es aber. Zu sehr macht jeder seine eigenen Erfahrungen und mag sich diese nicht absprechen lassen. Ich denke zurück an die Zeit, als ich fünf kleine Kinder hatte, von denen das älteste gerade in die erste Klasse ging. Auch für mich war diese Lebensphase herausfordernd und zeitfressend. Ganz ohne Hobby fühlte ich mich dennoch nicht. Vielleicht war ich egoistisch; aber was mir wirklich wichtig war, baute ich irgendwie ein in meine Tage: Beim Laufen begleitete mich fast immer ein Kind – selbst radelnd oder geschoben im Kinderwagen. Geschrieben habe ich abends oder in der Mittagspause, ausgiebig gelesen selten oder nachts – und war dann am nächsten Tag entsprechend müde.

Heute sind die Kinder größer, meine Zeit ist anders gefüllt. Noch immer laufe, schreibe und lese ich gern, vielleicht etwas intensiver als früher. Ein weiteres Hobby ist nicht dazugekommen; mit dem Reiten bin ich noch in der Probephase. Ob daraus ein Hobby wird, wird sich zeigen. Nur was mir wirklich wichtig ist, werde ich dauerhaft einbauen in meine Tage.

Tandem

Eine Frau und ein Mann fahren mit ihrem Tandem auf eine rote Ampel zu, sie müssen anhalten und absteigen. Als die Ampel grün wird, steigen sie wieder auf und fahren weiter. Alles geschieht herrlich synchron; die beiden machen das offenbar nicht zum ersten Mal. Ich sehe, dass es Übung braucht, mit einem Tandem zu fahren, und dass der vorn Sitzende den Rhythmus festlegt. Wahrscheinlich ist egal, wer vorn oder hinten aufsteigt: Jeder kann mal der Tonangebende sein, mal der Mitmachende – wie in einer guten Ehe auch.

Vom selektiven Hören

„Es gibt bitte JETZT Essen“, rufen wir energisch durch das Haus. Wir wissen, dass freundliches Bitten selten dafür sorgt, dass jemand kommt. Meist dauert es fünf Minuten, bis alle am Tisch sitzen. „Ich hab` das nicht gehört“ ist die beliebteste Erklärung, stimmt aber nur selten. Denn ich weiß, dass unsere Kinder sehr gut hören – allerdings gern nur selektiv: Als mich kürzlich ein Kind nach einem Eis fragt, erlaube ich es leise. Prompt schallt es die Treppe runter: „Wassereis? Ich auch!“ Wahrscheinlich wäre auch ein Nicken nicht `ungehört´ geblieben…