Vorübergehend nicht erreichbar

Eine Freundin meiner Tochter hat ihr Handy in unserem Auto liegen lassen – wir müssen es ihr zurückgeben. Allerdings können wir ihr nicht sagen, dass wir es gefunden haben: Denn ihr Mobiltelefon ist ja bei uns; einen Festnetz-Anschluss besitzt sie nicht. Wir überlegen kurz, wo die Freundin genau wohnt: Selbstredend steht sie nicht im Telefonbuch.

Viele, vor allem junge Menschen sind übers Handy immerzu und ohne Handy fast gar nicht zu erreichen. Vielleicht ist es manchmal eine Segen, das Gerät irgendwo zu vergessen – und vorübergehend nicht erreichbar zu sein.

Ironisch unbegabt

Es ist schwer für mich, die Worte zynisch, ironisch und sarkastisch genau zu definieren. Natürlich kann ich nachlesen – und kenne den groben Unterschied: Ironie ist ein eher freundliches Stilmittel; Sarkasmus und Zynismus dagegen sind eher unfreundlich motiviert. Im Gespräch kann ich unterscheiden zwischen ironischen und sarkastischen Bemerkungen: Über die einen kann ich meistens lachen und erkenne sie doch nicht immer auf Anhieb. Die anderen sind eindeutig, aber selten – zum Glück: Sie erschrecken und verletzen mich gleichermaßen.

Ich beobachte immer wieder Menschen, die Ironie `können´, ohne sich anzustrengen – mein Mann zum Beispiel und (wahrscheinlich genetisch bedingt) auch einer meiner Söhne. Letzter war schon als kleiner Junge unbewusst ironisch und setzt diese Gabe auch als Teenager gezielt und gern ein. Ich selbst bin dagegen zu wenig schlagfertig und im Formulieren zu vorsichtig; ich muss mich um Ironie bemühen – vergeblich: Sie funktioniert am besten spontan und ungeplant. 

Meine flexiblen Ohren

Morgens um halb sechs im Bett hören meine Ohren alles: zum Beispiel das liebliche Gezwitscher der Vögel, die um diese Zeit ihre Liedchen trällern. Für den besonders eindrücklichen Klang sitzen sie dabei auf dem Busch direkt vor dem Schlafzimmerfenster – obwohl das wahrscheinlich gar nicht nötig wäre. Selbst mit dem Kissen überm Kopf, funktionieren meine Ohren hervorragend. (Glücklicherweise gewöhnt sich mein Gehirn nach einigen Wochen Frühling daran, so dass ich zwar immer noch alles höre, aber nicht mehr aufwache.)

Bei anderen Gelegenheiten höre ich ebenso gut, verstehe aber nichts: wenn mein Mann mit mir über unsere Finanzen sprechen will zum Beispiel. Die Akustik ist nicht das Problem, die Materie schon. Es ist kein Zufall, dass ich die Verwaltung unserer Geld-Geschäfte freiwillig und gern aus der Hand gegeben habe.

Dann sind da noch die Momente, in denen meine Ohren ihren Dienst mehr oder weniger verweigern – wahrscheinlich weil ich höflich bin: wenn ich so gern wüsste, was die Kinder kurz vor meinem Geburtstag Wichtiges zu besprechen haben; oder wenn ich in einem langweiligen Gespräch festhänge und von der viel interessanteren Unterhaltung anderer nur Fetzen mitbekomme.

Manchmal hätte ich am liebsten gar keine Ohren: wenn ich mich in meinem nach unten offenen Dachboden-Zimmer konzentrieren will und alle anderen sich lautstark unterhalten – gern über mehrere Etagen hinweg. Ich verstehe kein Wort, höre aber alles.

Eins ist klar: Meine Ohren sind super flexibel.

Hochintelligent

„Sie sind beide hochintelligent …“, sagt eine Freundin über zwei Eheleute, die sich eine Art Rosenkrieg liefern. Hochintelligent– das Wort hallt in mir nach. Es ist nicht das erste, das mir zu den beiden eingefallen wäre. Was ist eigentlich damit gemeint, wenn jemand hochintelligent ist? Bin ich gekränkt, weil mich sicherlich niemand als hochintelligent bezeichnen würde? Und: Würde ich das überhaupt gern sein wollen – hochintelligent?

Für mich kommt es auf den Kontext an: Wenn ich jemanden mag, weil er liebenswert ist und warmherzig, empathisch, bescheiden und lebenstauglich – dann klingt hochintelligent nach einer weiteren positiven Eigenschaft, wie ein Bonus sozusagen. Verhält sich dagegen jemand arrogant, dominant, vielleicht sogar manipulativ, dann passt `hochintelligent´ gut hinein in die Reihe der seelenlosen Fakten, die menschliche Nähe sehr schwer machen. Intellekt ist eben nur ein Aspekt des Menschseins – und auf keinen Fall der entscheidendste.

Künstlich oder echt?

Künstliche Intelligenz (KI) meint die Automatisierung intelligenten menschlichen Verhaltens: Das heißt, hochentwickelte Technik soll letztlich Entscheidungen treffen, die ein Mensch auch so treffen würde.

Ein Beispiel für KI ist ChatGPT: ein textbasiertes Dialogsystem. ChatGPT erzeugt intelligente Aussagen oder Dialoge, die auch von einem Menschen stammen könnten. Angewendet wird das (bisher vor allem) für Facharbeiten oder Vorträge zu bestimmten Themen. Natürlich recherchiert die KI dafür deutlich umfangreicher im Netz, als ein Mensch es täte. Formulierungen von ChatGPT sind geschmeidig und eloquent, wahrscheinlich frei von Rechtschreibfehlern. Vielleicht kann man vorher sogar einen bestimmten Stil festlegen. Und wahrscheinlich lässt sich dann nicht ohne weiteres feststellen, ob ein Text von einem Menschen geschrieben wurde oder nicht – ein nicht unerhebliches Problem für Hausarbeiten jeglicher Art.

Trotzdem frage ich mich, welcher Sinn dahinter steckt? Wieso sollte ich Vorträge oder Reden halten wollen, die letztlich von einer Maschine stammen? Was bringt mir oder meinen Lesern eine Facharbeit oder Ausarbeitung, die ein exzellent programmiertes Dialogsystem erstellt hat? Wieso ist es so toll, dass keine Person sich Gedanken und Mühe macht, ein Problem zu durchdringen und zu präsentieren? Wem nutzt es, wenn es immer weniger um den Menschen geht und immer mehr um Technik?

Ich verstehe als Autor einer wissenschaftlichen Arbeit mehr vom Thema, wenn ich mich selbst damit auseinandergesetzt habe.
Meinen Zuhörern oder Lesern gegenüber wäre es mir peinlich, ich würde nur so tun, als hätte ich mein Wissen selbst erarbeitet.
Und die Zuhörer (oder Leser) selbst könnten genauso gut ein Buch lesen, anstelle mir zuzuhören. Das lebendige Miteinander zwischen Redner und Zuhörern wird durch KI zu etwas Konstruiertem, etwas Künstlichem: nicht echt.

Anders wäre es, wenn eine Maschine sich selbst ein Thema suchen und seine Rede selbst halten könnte. Das wäre zwar auch künstlich, aber darin echt. Glücklicherweise sind wir noch nicht so weit: Noch ersetzt die künstliche Intelligenz den Menschen nicht vollständig – wie schön.

Wie wir sagen, was wir sagen

Mit fortschreitendem Alter stelle ich fest, dass ich zwar freundlicher, aber auch ehrlicher werde: Ich bemühe mich mehr als früher, barmherziger mit den Eigenheiten meiner Mitmenschen umzugehen. Andererseits weigere ich mich immer öfter, um des lieben Friedens willen den Mund zu halten. Meine respektvollen Bemerkungen sind daher manchmal gepaart mit einer Offenheit, die ich meinem Gegenüber früher nicht so zugemutet hätte. Ich hoffe, ich treffe dabei trotzdem meist den richtigen Ton – auch wenn dieser nicht immer harmonisch klingt.

Interessant: Inhalt oder Form?

Ich mag Biografien, weil sie mich staunen lassen und inspirieren und ich vielleicht sogar etwas lernen kann: womit andere kämpfen, woran sie zweifeln und wie sie trotzdem weitermachen. Das spricht mich an, damit kann ich mich identifizieren.

Auf der Suche nach einer guten Biografie stoße ich auf lauter Berühmtheiten: im Sport vor allem aus dem Fußball, aber auch Sänger, Köche, Politiker, Autoren, Maler, Widerstandskämpfer, Theologen … Manche sind schon tot, andere quicklebendig, einige noch sehr jung. Die beschriebenen Menschen sind völlig verschieden; aber fast alle sind sehr bekannt. Einige von ihnen haben sogar selbst eine Autobiografie verfasst – obwohl sie vielleicht zwar (zum Beispiel) hervorragend Fußball spielen, aber nicht unbedingt interessant schreiben können. Auf jeden Fall scheint vor allem bei bekannten Menschen der Drang zu bestehen, ihre Erfahrungen der Welt zugänglich zu machen.

Otto Normalverbraucher käme wahrscheinlich nicht auf die Idee, sich an seine Autobiografie zu setzen – selbst wenn er interessant schreiben könnte. Ihm fehlt das Sendungsbewusstsein, er hält sich (verglichen mit einem Star) für zu wenig besonders. Dabei beweist vielleicht gerade Otto Normalverbraucher bewundernswertes Stehvermögen, wächst bisweilen über sich hinaus oder ist einfach nur absolut zufrieden – trotz schwieriger Umstände. 

Denn jedes Leben ist auf seine Weise besonders, das meiner Oma zum Beispiel: Sie war nicht berühmt, sondern eine bescheidene Frau des vergangenen Jahrhunderts. Sie hatte vier Kinder geboren, musste wegen des Krieges mit ihnen fliehen und wurde früh Witwe. Obwohl sie sicherlich seelisch und körperlich zu kämpfen hatte und manchmal zweifelte, machte sie weiter – klaglos und nimmermüde. Darin gleicht sie sehr vielen deutschen Frauen ihrer Generation und ist doch ein beeindruckendes Beispiel menschlicher Stärke. Meine Oma hielt sich selbst für vollkommen normal und überhaupt nicht besonders; ein begabter Autor könnte aber sicher eine lesenswerte Biografie über ihr Leben schreiben.

Wahrscheinlich wird niemand ein Buch über das Leben von Otto Normalverbraucher (oder meine Oma) herausbringen. Wäre es interessant geschrieben und würde mich staunen lassen, inspirieren und vielleicht sogar etwas lehren: Ich würde es lesen!

Zwischen den Zeilen

Manche Menschen sagen, sie könnten zwischen den Zeilen lesen. Aber das ist doch Quatsch, oder? Denn: Zwischen den Zeilen steht – nichts. 

Ich habe einige Briefe von einem alten Freund aufgehoben; frühe standen wir uns nahe und schrieben uns regelmäßig. Später hatten wir seltener Kontakt; mittlerweile ist er verstorben. Obwohl er damals sehr lustige Briefe schrieb, wusste ich, wie sehr ihn vor allem sein Job langweilte. Die Aussichten, daran etwas zu ändern, waren im Osten nicht besonders rosig. Wenn ich diese alten Briefe heute lese, spüre ich förmlich seinen Frust – und bewundere, wie er trotzdem fröhlich bleiben und sich eine humorvolle Sicht auf ALLES erhalten konnte. Ich meine, seine Stimme zu hören und verstehe so viel mehr als nur die Tatsachen, die er beschreibt. Denn: Zwischen den Zeilen steht – viel mehr als nichts!

Ein Selbstversuch

Früher war es selbstverständlich, NICHT immer erreichbar zu sein: Als Absprachen noch analog liefen, verpasste ich sowohl Telefonanrufe als auch überraschende Besuche – meist, ohne es mitzubekommen. Damals hat es weder mir noch meinen Beziehungen geschadet.

Heutzutage sind wir digital vernetzt und immer erreichbar, das gilt auch für mich: Absprachen per Text-Nachricht sind fester Bestandteil meiner Tage. Manche davon sind unnötig und kosten eher Zeit, als dass sie Dinge vereinfachen. Daher möchte ich am IST-Zustand etwas verändern und suche nach einer guten Lösung. Ohne Regeln werde ich das Handy eher zu viel als zu wenig nutzen. 

Künftig möchte ich erst gegen Mittag auf das Mobiltelefon schauen – und dann noch einmal kurz vor dem Abendbrot. Dafür lege ich das Gerät tagsüber außer Sicht- und Hörweite.

Am Ende des ersten Tages habe ich einen Anruf verpasst (bedauerlich) und eine SMS, die eine zeitnahe Antwort erfordert hätte (nicht so schlimm). Ich denke stolz `war ja einfach´.

Schon am zweiten Tag merke ich, dass meine neuen Regeln nicht nur helfen, sondern mich auch einengen: Ich `muss´ gleich morgens etwas per Text-Nachricht klären und gestalte den Vormittag dann (wie praktisch) mit Hilfe meines Handys: Gewohnheiten lassen sich offensichtlich doch nicht `einfach´ ändern.

Ich versuche es morgen wieder.

Kommunikation – so, so und so

Einer meiner ältesten Freunde ruft mich an und bedankt sich für meinen Weihnachtsbrief. Dieser kam erst nach dem Fest bei ihm an, aber er hatte geduldig darauf gewartet – wissend, dass ich schreiben würde. In meinem Brief habe ihn besonders der Inhalt zwischen den Zeilen erfreut, sagt er.

Von ihm kam zu Weihnachten keine Post, aber das macht nichts: Ich telefoniere auch gern mit ihm. Er erzählt, ich erzähle, die Zeit vergeht schnell, ohne dass `alles gesagt´ ist.

Bald werden wir unser Gespräch fortsetzen – hoffentlich face to face: Einmal im Jahr treffen wir uns.