Frei

Manche Menschen kommunizieren so, als wüssten sie alles besser. Vielleicht haben sie nur eine große Klappe, vielleicht sind sie wirklich schlau, egal: Gespräche mit Alleswissern empfinde ich als unangenehm. Andere Leute vermitteln dagegen, dass sie immer noch dazulernen können: Mit ihnen unterhalte ich mich gern.

Jemand, den ich für sehr klug halte, wirkt im Gespräch zum Beispiel angenehm zurückhaltend. Wenn ich mit ihm rede, fühle ich mich gehört und auf Augenhöhe – obwohl er viel mehr weiß als ich. Woran das liegt, frage ich mich. „Naja, er denkt eben klein von sich“, sagt mein Mann – und hat in diesem Fall sicher Recht. Vielleicht sind die sympathischsten Gesprächspartner diejenigen, die in sich ruhen. „The greatest freedom is having nothing to prove“, sagt Pete Cantrell. Wer niemandem irgendetwas beweisen muss, ist frei. Er vermittelt anderen das Gefühl, besonders zu sein – und muss auf seine eigenen Begabungen gar nicht hinweisen. Die erkennt man dann schon von ganz allein.

Unsortiert

Früh am Morgen habe ich manchmal noch ganz frische Gedanken; ich fasse sie in Worte, mein Mann hört zu. Es geht drunter und drüber – ich merke es selbst. Entsprechend verständnislos (aber freundlich) schaut er mich an. „Menno, manchmal wenn ich dir mein Gedanken-Chaos erzähle, verstehst du mich“, sage ich frustriert, „und dann …“ „… verstehst du dich selbst?“ „Ja, nein, aber du bringst das dann alles in einen schönen Satz, und dann wissen wir beide, was ich eigentlich sagen wollte!“ Er schüttelt den Kopf: „Diesmal nicht, mein Schatz, diesmal nicht.“ Wie schade!

Eine Begegnung

Mein Mann und ich treffen beim Spazierengehen eine entfernte Bekannte. Wir kommen ins Gespräch – beziehungsweise sie erzählt: ohne Punkt und Komma, vom Höcksken aufs Stöcksken, vom Hundertsten ins Tausendste, in epischer Breite … Wir dagegen bekommen kein Bein auf die Erde, keinen Fuß in die Tür, holen keinen Stich, können nicht punkten, sind chancenlos (und stumm) – und können erst nach etwa zehn Minuten Reißaus nehmen, die Kurve kratzen, das Weite suchen und uns freundlich, aber erfolgreich aus dem Staub machen.

Nach der Begegnung sagt mein Mann, er fühle sich wie sturmreif geschossen; den Rest des Heimweges schweigen wir einvernehmlich.

Inhalt und Verpackung

Auf den Inhalt kommt es an, heißt es, aber in Meinungsverschiedenheiten ist die Verpackung mindestens genauso wichtig. Ich kann noch so gute Argumente haben und genau wissen, wie es besser geht: Wenn ich möchte, dass jemand mir wirklich zuhört, muss ich mich um ein gutes Drumherum bemühen. Freundlich, wertschätzend und respektvoll sollte ich meinem Gesprächs-Partner begegnen, bestenfalls mit einem demütigen Herzen. Sonst werde ich mit meinen tollen Argumenten keinen konstruktiven Dialog anstoßen, sondern einen Schlagabtausch anzetteln.

„Wer unvorsichtig herausfährt mit Worten, sticht wie ein Schwert; aber die Zunge der Weisen bringt Heilung.“
Sprüche 12, 18

Vorübergehend nicht erreichbar

Eine Freundin meiner Tochter hat ihr Handy in unserem Auto liegen lassen – wir müssen es ihr zurückgeben. Allerdings können wir ihr nicht sagen, dass wir es gefunden haben: Denn ihr Mobiltelefon ist ja bei uns; einen Festnetz-Anschluss besitzt sie nicht. Wir überlegen kurz, wo die Freundin genau wohnt: Selbstredend steht sie nicht im Telefonbuch.

Viele, vor allem junge Menschen sind übers Handy immerzu und ohne Handy fast gar nicht zu erreichen. Vielleicht ist es manchmal eine Segen, das Gerät irgendwo zu vergessen – und vorübergehend nicht erreichbar zu sein.

Ironisch unbegabt

Es ist schwer für mich, die Worte zynisch, ironisch und sarkastisch genau zu definieren. Natürlich kann ich nachlesen – und kenne den groben Unterschied: Ironie ist ein eher freundliches Stilmittel; Sarkasmus und Zynismus dagegen sind eher unfreundlich motiviert. Im Gespräch kann ich unterscheiden zwischen ironischen und sarkastischen Bemerkungen: Über die einen kann ich meistens lachen und erkenne sie doch nicht immer auf Anhieb. Die anderen sind eindeutig, aber selten – zum Glück: Sie erschrecken und verletzen mich gleichermaßen.

Ich beobachte immer wieder Menschen, die Ironie `können´, ohne sich anzustrengen – mein Mann zum Beispiel und (wahrscheinlich genetisch bedingt) auch einer meiner Söhne. Letzter war schon als kleiner Junge unbewusst ironisch und setzt diese Gabe auch als Teenager gezielt und gern ein. Ich selbst bin dagegen zu wenig schlagfertig und im Formulieren zu vorsichtig; ich muss mich um Ironie bemühen – vergeblich: Sie funktioniert am besten spontan und ungeplant. 

Meine flexiblen Ohren

Morgens um halb sechs im Bett hören meine Ohren alles: zum Beispiel das liebliche Gezwitscher der Vögel, die um diese Zeit ihre Liedchen trällern. Für den besonders eindrücklichen Klang sitzen sie dabei auf dem Busch direkt vor dem Schlafzimmerfenster – obwohl das wahrscheinlich gar nicht nötig wäre. Selbst mit dem Kissen überm Kopf, funktionieren meine Ohren hervorragend. (Glücklicherweise gewöhnt sich mein Gehirn nach einigen Wochen Frühling daran, so dass ich zwar immer noch alles höre, aber nicht mehr aufwache.)

Bei anderen Gelegenheiten höre ich ebenso gut, verstehe aber nichts: wenn mein Mann mit mir über unsere Finanzen sprechen will zum Beispiel. Die Akustik ist nicht das Problem, die Materie schon. Es ist kein Zufall, dass ich die Verwaltung unserer Geld-Geschäfte freiwillig und gern aus der Hand gegeben habe.

Dann sind da noch die Momente, in denen meine Ohren ihren Dienst mehr oder weniger verweigern – wahrscheinlich weil ich höflich bin: wenn ich so gern wüsste, was die Kinder kurz vor meinem Geburtstag Wichtiges zu besprechen haben; oder wenn ich in einem langweiligen Gespräch festhänge und von der viel interessanteren Unterhaltung anderer nur Fetzen mitbekomme.

Manchmal hätte ich am liebsten gar keine Ohren: wenn ich mich in meinem nach unten offenen Dachboden-Zimmer konzentrieren will und alle anderen sich lautstark unterhalten – gern über mehrere Etagen hinweg. Ich verstehe kein Wort, höre aber alles.

Eins ist klar: Meine Ohren sind super flexibel.

Hochintelligent

„Sie sind beide hochintelligent …“, sagt eine Freundin über zwei Eheleute, die sich eine Art Rosenkrieg liefern. Hochintelligent– das Wort hallt in mir nach. Es ist nicht das erste, das mir zu den beiden eingefallen wäre. Was ist eigentlich damit gemeint, wenn jemand hochintelligent ist? Bin ich gekränkt, weil mich sicherlich niemand als hochintelligent bezeichnen würde? Und: Würde ich das überhaupt gern sein wollen – hochintelligent?

Für mich kommt es auf den Kontext an: Wenn ich jemanden mag, weil er liebenswert ist und warmherzig, empathisch, bescheiden und lebenstauglich – dann klingt hochintelligent nach einer weiteren positiven Eigenschaft, wie ein Bonus sozusagen. Verhält sich dagegen jemand arrogant, dominant, vielleicht sogar manipulativ, dann passt `hochintelligent´ gut hinein in die Reihe der seelenlosen Fakten, die menschliche Nähe sehr schwer machen. Intellekt ist eben nur ein Aspekt des Menschseins – und auf keinen Fall der entscheidendste.

Künstlich oder echt?

Künstliche Intelligenz (KI) meint die Automatisierung intelligenten menschlichen Verhaltens: Das heißt, hochentwickelte Technik soll letztlich Entscheidungen treffen, die ein Mensch auch so treffen würde.

Ein Beispiel für KI ist ChatGPT: ein textbasiertes Dialogsystem. ChatGPT erzeugt intelligente Aussagen oder Dialoge, die auch von einem Menschen stammen könnten. Angewendet wird das (bisher vor allem) für Facharbeiten oder Vorträge zu bestimmten Themen. Natürlich recherchiert die KI dafür deutlich umfangreicher im Netz, als ein Mensch es täte. Formulierungen von ChatGPT sind geschmeidig und eloquent, wahrscheinlich frei von Rechtschreibfehlern. Vielleicht kann man vorher sogar einen bestimmten Stil festlegen. Und wahrscheinlich lässt sich dann nicht ohne weiteres feststellen, ob ein Text von einem Menschen geschrieben wurde oder nicht – ein nicht unerhebliches Problem für Hausarbeiten jeglicher Art.

Trotzdem frage ich mich, welcher Sinn dahinter steckt? Wieso sollte ich Vorträge oder Reden halten wollen, die letztlich von einer Maschine stammen? Was bringt mir oder meinen Lesern eine Facharbeit oder Ausarbeitung, die ein exzellent programmiertes Dialogsystem erstellt hat? Wieso ist es so toll, dass keine Person sich Gedanken und Mühe macht, ein Problem zu durchdringen und zu präsentieren? Wem nutzt es, wenn es immer weniger um den Menschen geht und immer mehr um Technik?

Ich verstehe als Autor einer wissenschaftlichen Arbeit mehr vom Thema, wenn ich mich selbst damit auseinandergesetzt habe.
Meinen Zuhörern oder Lesern gegenüber wäre es mir peinlich, ich würde nur so tun, als hätte ich mein Wissen selbst erarbeitet.
Und die Zuhörer (oder Leser) selbst könnten genauso gut ein Buch lesen, anstelle mir zuzuhören. Das lebendige Miteinander zwischen Redner und Zuhörern wird durch KI zu etwas Konstruiertem, etwas Künstlichem: nicht echt.

Anders wäre es, wenn eine Maschine sich selbst ein Thema suchen und seine Rede selbst halten könnte. Das wäre zwar auch künstlich, aber darin echt. Glücklicherweise sind wir noch nicht so weit: Noch ersetzt die künstliche Intelligenz den Menschen nicht vollständig – wie schön.

Wie wir sagen, was wir sagen

Mit fortschreitendem Alter stelle ich fest, dass ich zwar freundlicher, aber auch ehrlicher werde: Ich bemühe mich mehr als früher, barmherziger mit den Eigenheiten meiner Mitmenschen umzugehen. Andererseits weigere ich mich immer öfter, um des lieben Friedens willen den Mund zu halten. Meine respektvollen Bemerkungen sind daher manchmal gepaart mit einer Offenheit, die ich meinem Gegenüber früher nicht so zugemutet hätte. Ich hoffe, ich treffe dabei trotzdem meist den richtigen Ton – auch wenn dieser nicht immer harmonisch klingt.