Gesprächsfluss

Mein großer Sohn ist ein guter Beobachter, sensibel noch dazu. Nach einer von ihm beobachteten Begegnung bemerkte er kürzlich: „Papa, wenn du immer `Warum?´ fragst mittendrin, dann unterbricht das den Gesprächsfluss. Du kannst doch einfach mal zuhören und nicken – auch wenn der andere Mist erzählt.“ Er hat recht, Nachfragen unterbrechen den Gesprächsfluss. Und in dem speziellen Fall war der Gesprächspartner einer, den der Einwurf `Warum siehst du das so? Ich sehe das anders.´ aus dem Konzept gebracht und verunsichert hat.

Wie geht es mir damit? Ich wünsche mir eine ehrliche Reaktion. Ich wünsche mir aber auch eine mir angenehme, liebevolle Reaktion. Eine Bestätigung meiner Kommentare ist angenehm. Aber ist das `Lass sie nur reden …´ in den Gedanken meines Gegenübers wirklich liebevoll? Auch wenn ich es nicht mitbekomme? Will ich es immer wissen, wenn ich Quatsch erzähle, gedankenlos daherrede, unüberlegt (und vielleicht unbewusst) beurteile?

Von Sokrates stammt der Rat, dass alles, was gesagt wird, durch drei Siebe gehen soll: Ist es wahr, ist es gut, ist es nötig? Das ist sicher eine hilfreiche Richtlinie für jedes Gespräch. Nur: Was mache ich, wenn wahr und gut einander auszuschließen scheinen? Wenn der andere meine gütige Zurechtweisung gar nicht als gut empfinden kann, sondern sich zurückgewiesen und nicht wertgeschätzt fühlt? Dann muss ich ihn vielleicht einfach mal in den Arm nehmen.

Vom Miteinander

„Wir können nicht miteinander reden.
Wir können nicht miteinander.
Wir wollen nicht.“

An dem Punkt kann der einzige Ausweg sein, dass einer einen Schritt macht – weg vom WIR – und sagt:

„Ich will versuchen, mit dir zu reden.
Ich will es versuchen mit dir.“

Dann besteht eine große Chance, dass der andere reagiert:

„Ich auch.“

Von hier ist es nicht mehr so weit zu:

„Wir wollen.
Wir wollen miteinander.
Wir können miteinander reden.“

Fazit: Der erste Schritt ist der halbe Weg!

Was wir in Gesprächen finden – manchmal

„Ein jeder hat zuerst in seiner Sache recht; kommt aber der andere zu Wort, findet sich´s.“
Sprüche 18, 17

Findet sich`s? Das kann ich nicht bestätigen. Solange ich mich nur mit mir selbst unterhalte – vielleicht. Da habe ich recht, ist alles logisch und ganz einfach. Sobald ich anderen Gesprächszeit einräume, wird es komplizierter. Da wird widersprochen, unangreifbar argumentiert, aus einem mir fremden Blickwinkel betrachtet oder einfach aneinander vorbei geredet. Da findet sich dann gar nichts mehr – am wenigstens ein gemeinsamer Nenner.

Gute Kommunikation ist kein Selbstläufer, jedenfalls nicht bei uns im Haus: Wir provozieren, was das Zeug hält, geben nur ungern nach, unterbrechen lautstark und oft. Von „findet sich´s“ keine Spur. Erst nach langer Suche und erbitterten Kämpfen kommen Einigungen zustande: „Geh endlich raus aus meinem Zimmer!“ „Warum?“ „Geh einfach raus!“

Aber auch wir erleben Sternstunden. Eine unserer Töchter, die Kaninchenbesitzerin, geht nicht so gern allein in den Keller und noch weniger gern im Dunkeln raus zum letzten Füttern. „Kommt einer mit?“, fragt sie dann. Es kann Streit gegeben haben vorher oder auch gleichgültiges Stillschweigen. Einer geht immer mit, keiner lacht sie aus, keiner überlässt sie ihrer Angst – da findet sich´s dann doch: Die Liebe zu ihr, das Verständnis für sie, die Hilfe in ihrer Not: „Los, ich komm´ mit!“

Alleinunterhalter

Die Frau, die ab und an meine Zähne reinigt, ist geduldig. Und kommunikationsfreudig, auch wenn ich manchmal nicht antworten kann. „Mmh, mmh“, „Häh?“, so oder ähnlich lauten die meisten meiner Kommentare zu ihren Informationen. Nicht dass mich nichts davon interessiert, was sie erzählt. Aber es ist nun einmal schwierig, mit geöffnetem Mund klar zu artikulieren. Zudem halten sich die Möglichkeiten in Grenzen, selbst richtungsweisend ins Gespräch einzugreifen. Sehr bedauerlich. Bevor ich etwas sagen kann, ist sie schon beim nächsten Thema – dabei hatte ich zum ersten noch einen richtig guten Gedanken.

Wahrscheinlich fehlen ihr meine Kommentare überhaupt nicht. Sie ist es gewohnt, dass ihre Patienten wenig bis gar nicht reden. Sie rechnet mit meiner Sprachlosigkeit und wirkt so, als könne sie besser damit leben als ich.

Erwartungen sind toll – und anstrengend.

Vor einer Woche habe ich einen Brief geschrieben, ehrlich und herausfordernd. Seither warte ich auf eine Antwort, ich erwarte eine Antwort. Ich denke,  ich bin ganz offen für jede Reaktion meines Gegenübers. Aber ich rechne damit, dass überhaupt etwas zurückkommt. Bisher bin ich enttäuscht.

Bei jedem Gespräch, das ich anfange: Irgendetwas erwarte ich immer. Dass man mir zuhört, dass sich Fragen klären oder eine Diskussion angestoßen wird. Dass Beziehung entsteht. Manchmal werde ich enttäuscht, manchmal befriedigt. Je festgelegter meine Erwartung ist, umso leichter kann ich enttäuscht werden – negativ ausgedrückt. Je klarer meine Erwartung ist, umso mutiger bin ich – positiv ausgedrückt.

Auf der anderen Seite: Wenn mich jemand etwas fragt oder bittet, fühle ich mich unter Druck gesetzt – negativ ausgesetzt. Oder aber ich bin dankbar für die Klarheit in der Formulierung – positiv ausgedrückt.

Wie frei ich bin, wie stark ich bin, wie genau ich mich kenne und weiß, was ich will: All das bestimmt meine Antwort auf eine Anfrage. Entspreche ich dieser oder lehne ich sie ab? Winde ich mich wortgewaltig nichtssagend oder ignoriere ich?

Ich muss zugeben, dass ich es schöner finde, wenn meinen Erwartungen entsprochen wird. Auf Ablehnung bin ich schlecht vorbereitet. Anders herum kann ich schlecht „Nein“ sagen, auch wenn das meine ehrliche Antwort ist. An Gelegenheiten zum Üben mangelt es nicht: Fast täglich werde ich konfrontiert mit dem, was der Brite so schön „conflict of interests“ nennt. Es scheint ein normaler Zustand zu sein, sobald Menschen irgendwie miteinander in Kontakt treten. Trotzdem macht mich das Warten dieses Mal ganz kribbelig. Je länger ich ohne Antwort bleibe, umso größer wird die Sache, um die es in meinem Brief ging. Damit hatte ich am allerwenigsten gerechnet!

Selbstgespräch in laut oder leise

„Ich bin so doof!“, rutscht es mir raus, und mein Sohn antwortet prompt mit „Du bist nicht doof, Mama!“ Schön – er meint es ernst. Denn er weiß, dass solche Aussagen hängenbleiben können. Das hat er von uns: „Redet euch keinen Quatsch ein, keine Lügen. Irgendwann glaubt ihr die selbst.“ Wenn ich mit mir allein bin, korrigiert mich niemand. Da muss ich selbst darauf achten, dass ich mich in einem Selbstgespräch nicht rund mache.

Unbeobachtet (und vor allem ungehört) schimpfe ich unbeherrschter, rege mich auf oder lasse meinem Unmut (relativ) freien Lauf: „Wie kann die sowas sagen – ich fass´ es einfach nicht.“ Seltener singe ich vor mich hin: „Ich bin so toll, das habe ich aber gut hinbekommen“, oder murmele laut: „Das fährt nur so langsam, weil er in Gedanken ist, geht mir auch manchmal so.“

Dabei denke ich (denke ich zumindest!!!) ausgewogen über Situationen nach, versuche zu verstehen, versuche, das Positive zu sehen. In lauten Selbstgesprächen ist die Ausgewogenheit weg. Ist doch komisch, finde ich. Leise bin ich netter.

Gespräche – wie sie funktionieren (oder auch nicht)

Wir sind eingeladen zu einem Fest. Viele Gäste kennen wir nicht. Ein wenig fehlt uns der Schwung zu neuen Kontakten; dennoch ergeben sich Gespräche, die unterschiedlicher nicht sein könnten: Mein Mann sitzt neben einem älteren Herrn, der angeregt erzählt und erzählt und erzählt. Ein nicht enden wollender Monolog ist die Antwort auf eine einzige erste Frage meines Mannes. Es geht von ganz allein von einem Thema zum nächsten. Nach dem Fest: „Dagmar, wenn ich jemals so kommuniziere, sag´s mir.“

Ich selbst sitze mit einem jungen Mann am Tisch, der in einem Gestüt arbeitet – das interessiert mich. Ich stelle also Fragen. Jede wird brav beantwortet, aber darüber hinaus erhalte ich weder weitere Informationen noch Hilfen, den Gesprächsfluss in Gang zu halten. Jeder Impuls muss von mir ausgehen, und da ich mich dem Thema als eher Unwissende nähere, sind meine Fragen vor allem am Anfang ungeschickt eng gestellt. Schnell beantwortet. Und weiter geht’s. Die braunen Augen meines Gegenübers schauen freundlich und durchaus bereit, mit mir im Gespräch zu sein – allerdings nur reagierend. Ich gerate etwas unter Druck. Mit der Zeit erhalte ich eine Vorstellung von seiner Tätigkeit.

Als wir wieder zu Hause sind, schweigen wir uns wissend an. Wir sind beide k.o. – mein Mann vom Zuhören, ich vom Fragenstellen. Gespräche sind manchmal kein Selbstläufer!

Worte – geschrieben oder gesprochen

Ich kann Geschriebenes besser behalten, das war schon immer so. Wenn ich lernen musste, dann reichte mündlich nicht – in der Schule, im Studium; und auch heute bleiben Gedanken besser hängen, die ich mir aufschreibe. Die anderen verschwinden schnell im Hintergrund meines Gedächtnisses, sind oft nicht mehr so leicht abrufbar. Und: Ich bekomme lieber einen Brief als einen Telefonanruf, bin selbst schriftlich besser sortiert als mündlich.

Andererseits gehen gesprochene Worte tiefer, jedenfalls bei mir. Sie können sehr aufbauen (oder sehr verletzen). Je älter ich werde, umso mehr bleiben sie hängen: Ich weiß noch genau, wie unser Ältester vor drei Jahren zu mir kam. Ich saß weinend auf dem Sofa, weil ein mir lieber Mensch nahe am Sterben war: „Mama, lass Gott einfach machen“, hat er damals gesagt – und diese Weisheit eines 14-Jährigen hat mich unglaublich getröstet und mir wirklich geholfen, meine Sorge loszulassen.

Im Schriftlichen sind es Zusammenhänge und Gedankengänge, die klar werden und mich prägen. Im Mündlichen sind es einzelne Sätze, die treffen. Ich brauche beides.

Was die Stimme offenbaren kann

Ich höre, wenn jemand lächelt, während er redet. Sogar am Telefon. Andere können das auch, es ist keine Kunst. Ich finde es spannend, dass die Stimme so wenig verbergen kann, dass man lächelt. Zwar könnte ich nicht sagen, woran ich es höre, was sich anders anhört, aber ich höre es. Faszinierend. Höre ich genauso auch Wut? Ich glaube, ja. Oder Traurigkeit, die auch. Unsere Stimme ist ein offenes Tor hinein in unsere Gefühle – ob wir es wollen oder nicht. Vielleicht können Schauspieler die Stimme dahingehend modulieren, dass sie Gefühle vortäuschen oder unterdrücken können; Normalsterbliche können das nicht ohne weiteres, sondern nur, wenn sie sich bemühen. Oder?

Im normalen Tagesgeschäft begegnen mir andauernd Menschen (nicht digital!), denen ich nicht abspüre, in welcher Stimmung sie sich gerade befinden. Woran liegt das? Leben wir in einem Miteinander, in dem Gefühle keinen Platz haben? Ist unsere Gemeinschaft darauf ausgerichtet, nur Sachinformationen auszutauschen? Ich schätze, manches wollen wir gar nicht wissen, manche Gefühlsuntiefe ist auch nicht für jedermann; und die meisten Begegnungen sind kurz und bleiben oberflächlich.

Außerdem ist sich nicht jeder seiner eigenen Befindlichkeit bewusst. Ich kann mir vorstellen, dass das auch mit unserer Geschäftigkeit zu tun hat. Wir laufen im Erledigungsmodus durch unseren Alltag und funktionieren. Mal gut, mal weniger gut. Das ist nicht per sé schlecht: Manches muss einfach gemacht werden. Aber wir brauchen die Pausen, ganz sicher. Nicht um Nabelschau zu betreiben, sondern um Mensch zu sein. Dann sind Begegnungen möglich, in denen man die Stimmung hört – und im besten Fall reagieren und Anteil nehmen kann. Das ist wohl das, was wir menschliche Gemeinschaft nennen.

Ich freue mich jedenfalls immer, wenn ich jemanden lächeln höre…

Es lebe der Brief!

Briefe sind eine aussterbende Spezies. Nur selten bekomme ich einen, obwohl ich regelmäßig welche verschicke. Heute jedoch habe ich einen Brief bekommen. Ich bin einerseits versucht, ihn sofort zu öffnen – alles stehen und liegen zu lassen für diesen Brief. Denn: Es hat sich jemand die Mühe gemacht, an mich zu denken und den Stift zu nehmen und Papier und einzutüten, abzuschicken. Das ganze Paket. Ich bin jemandem wichtig genug für einen Brief!

Andererseits lasse ich den Brief gern noch ein bisschen liegen, ich hebe ihn auf. Für den Moment heute, an dem ich ihn nicht so dazwischen schieben muss, sondern in Ruhe lesen und genießen kann – vielleicht sogar zweimal, wenn er kurz ist oder inhaltsschwer oder beides.

Briefe können unterhaltsam sein, informativ, ein gutes Mittel gegen Langeweile, eine Form der Wertschätzung und oft eine Möglichkeit, anderen wirklich Anteil zu geben an Gedanken von „unter der Oberfläche“.

In jedem Fall ist ein Brief eine Art Unterhaltung, die heutzutage sehr selten geworden ist – und das nicht wegen der andauernd erhöhten Portogebühr. Hin und her dauert bei Briefen deutlich länger als bei Mails, SMS oder gar WhatsApp oder dem direkten Miteinander. Ein Brief-Gespräch läuft anders. Ich kann an einem Thema zwar nicht so zeitnah dranbleiben, aber ich kann mich diesem besser widmen, tiefer gehen, es manchmal durch die verflossene Zeit aus mehreren Blickwinkeln betrachten. Manchmal kann ich in Briefen mutiger Dinge ansprechen als von Mensch zu Mensch – und ebenso mutig und ehrlich (und in Ruhe!!!) auf etwas reagieren. Auch kenne ich eine, die formuliert einfach zu schön für „nur einmal ausgesprochen“. Von ihr bekomme ich besonders gern Briefe. Oder Postkarten. (Obwohl Postkarten eine ganz eigene Spezies sind.)

Irgendwann mache ich den Brief auf und freue mich. Noch ein bisschen später setze ich mich hin und schreibe eine Antwort. Es lebe der Brief!