Erwartungen sind toll – und anstrengend.

Vor einer Woche habe ich einen Brief geschrieben, ehrlich und herausfordernd. Seither warte ich auf eine Antwort, ich erwarte eine Antwort. Ich denke,  ich bin ganz offen für jede Reaktion meines Gegenübers. Aber ich rechne damit, dass überhaupt etwas zurückkommt. Bisher bin ich enttäuscht.

Bei jedem Gespräch, das ich anfange: Irgendetwas erwarte ich immer. Dass man mir zuhört, dass sich Fragen klären oder eine Diskussion angestoßen wird. Dass Beziehung entsteht. Manchmal werde ich enttäuscht, manchmal befriedigt. Je festgelegter meine Erwartung ist, umso leichter kann ich enttäuscht werden – negativ ausgedrückt. Je klarer meine Erwartung ist, umso mutiger bin ich – positiv ausgedrückt.

Auf der anderen Seite: Wenn mich jemand etwas fragt oder bittet, fühle ich mich unter Druck gesetzt – negativ ausgesetzt. Oder aber ich bin dankbar für die Klarheit in der Formulierung – positiv ausgedrückt.

Wie frei ich bin, wie stark ich bin, wie genau ich mich kenne und weiß, was ich will: All das bestimmt meine Antwort auf eine Anfrage. Entspreche ich dieser oder lehne ich sie ab? Winde ich mich wortgewaltig nichtssagend oder ignoriere ich?

Ich muss zugeben, dass ich es schöner finde, wenn meinen Erwartungen entsprochen wird. Auf Ablehnung bin ich schlecht vorbereitet. Anders herum kann ich schlecht „Nein“ sagen, auch wenn das meine ehrliche Antwort ist. An Gelegenheiten zum Üben mangelt es nicht: Fast täglich werde ich konfrontiert mit dem, was der Brite so schön „conflict of interests“ nennt. Es scheint ein normaler Zustand zu sein, sobald Menschen irgendwie miteinander in Kontakt treten. Trotzdem macht mich das Warten dieses Mal ganz kribbelig. Je länger ich ohne Antwort bleibe, umso größer wird die Sache, um die es in meinem Brief ging. Damit hatte ich am allerwenigsten gerechnet!

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