Der frische Strich

Ich würde mich als Vielleser bezeichnen – und als versierte Vorleserin noch dazu; mich bringt so schnell kein noch so schwieriges deutsches Wort aus dem Fluss. Dachte ich. Bis ich an einem „frischen Strich“ vorbeikam und einen kleinen Moment an meinem Verstand zweifelte:

„Der frische Strich“, dachte ich, „was soll das wohl sein? Und wieso schreiben die das zusammen – Frischestrich?“ Der große Betonmischer mit dem Schriftzug stand und drehte sich nicht, was die Sache aber nicht einfacher machte. Tatsächlich, da stand Frischestrich. „Ein frischer Strich auf einem fahrenden Betonmischer…“, rätselte mein Hirn und kombinierte gleichzeitig. Trotzdem dauerte es einige Sekunden, bis ich zur einzig logischen Erklärung kam: Frisch-Estrich muss gemeint sein! „Na, dann schreibt das doch auch so“, entfuhr es mir, „wozu haben wir im Deutschen einen Bindestrich?“. Im Netz finden sich noch Transportestrich, Fertigteilestrich oder Haftstoffestrich; wenn man weiß, worum es geht, ist es klar – und liest sich immer noch blöd.

Müde geredet

Tiefergehende persönliche Gespräche sind anstrengend. Ich muss mich konzentrieren, aufmerksam zuzuhören und eher Fragen zu stellen, als Antworten parat zu haben. Oft bin ich ratlos und frage mich im Anschluss leicht frustriert: „War das jetzt für irgendjemanden hilfreich? Wie hätte ich anders oder besser reagieren können?“ Außerdem finden derartige Gespräch meist gerade dann statt, wenn es nicht zu passen scheint: Auf die Not eines Kindes oder den Bedarf an ehrlicher Auseinandersetzung bin ich selten vorbereitet. Wie sehr mich die tägliche intensive Beziehung zu den Kindern fordert, spüre ich daran, wie müde ich abends bin – und wie wenig ich mich manchmal nach weiteren Sozialkontakten sehne.

Kürzlich traf ich Freunde zum Quatschen. Es blieb beim Smalltalk und eher oberflächlich – leider. Es gelang mir nicht, unserem Treffen eine persönlichere Note zu geben. Stattdessen langweilte ich mich und wurde zunehmend müder. Irgendwie erschöpft fuhr ich nach Hause und dachte: „Alles ist besser, als wenn es nur um unwichtiges Zeug geht. Lieber müde geredet, weil angestrengt, als gelangweilt.“

Nicht kompatibel

Ein Freund von mir kommuniziert über alle möglichen Messenger-Dienste, nur nicht über Briefe. Ich dagegen bevorzuge für bestimmte Mitteilungen (noch immer) den Brief. Daher funktioniert unsere Kommunikation nur mit Hürden: Ich nutze kein WhatsApp, Threema oder Telegram – und kann seine Nachrichten nicht empfangen. Er schaut nicht in seinen Postkasten – und findet meine Briefe nicht.

Wenn etwas dringend ist, schickt er mir den Screenshot eines WhatsApp-Verlaufs per Mail. Andersherum schreibe ich ihm eine Mail, wenn er in seinen Briefkasten schauen soll. Das ist total umständlich – und irgendwie lächerlich. Wir könnten einfach nur E-Mails schreiben; aber das ist für uns beide zweite Wahl: Ich finde Mails für manches zu steril, für ihn fällt Mail schon fast unter Post… Es bleibt das Telefon. Das ist noch altmodischer, passt nicht immer und meist vergessen wir etwas – aber was hilft`s? Unsere Kommunikationswege sind nicht kompatibel.

Rückmeldung

Menschen begegnen uns nicht immer so, wie wir es uns wünschen. Wahrscheinlich passiert das jedem – nur gehen wir sehr unterschiedlich damit um. Mich verunsichert es zum Beispiel schnell, wenn meine wie auch immer geäußerte Meinung ohne Rückmeldung bleibt. Dann frage ich mich, ob ich zu konfrontativ war oder meine Meinung überhaupt interessiert. Leicht rechne ich dann mit einer ablehnenden Reaktion – sie würde mich jedenfalls nicht wundern; eine positive sorgt dagegen für Erleichterung.

„Woher kommen diese Selbstzweifel?“, frage ich mich. Wieso rechne ich bei Schweigen eher mit einer Ablehnung als damit, dass Menschen grundsätzlich nicht schnell oder gar nicht reagieren? Ich selbst antworte fast immer und meist sehr zeitnah. Es rührt eventuell daher, dass ich in einer Welt aufgewachsen bin, in der es persönlichen Kontakt gab und Briefe. Nur wenige hatten dazu noch ein Telefon – und wenn doch, dann ohne Display oder Anrufbeantworter. Absprachen erfolgten zum Großteil direkt und beruhten auf einem Hin UND Her. Anders waren Beziehungen schwer aufrechtzuerhalten.

Heute kann ich mich vom heimischen Sofa aus über irgendein Kommunikationsmedium irgendwann bei irgendjemandem melden – eventuell sogar gleichzeitig bei mehreren Personen. Dass nicht jeder gleich oder überhaupt darauf reagiert, mag den meisten Menschen egal sein. Mir nicht!

Altmodisch, aber ausreichend

Unsere Kinder erhalten ihre Aufgaben derzeit über einen Online-Schulserver. Der Jüngste wird dort täglich gut versorgt – leider auch mit einer Fülle persönlicher Chat-Nachrichten seiner Mitschüler: „Mama, ich habe 90 Nachrichten!“ Da ich diese in der Regel für überflüssig halte, liest mein Sohn keine der Nachrichten und hat mehr Zeit für die Schulaufgaben.

Vor einigen Tagen war ein Freund zum Spielen hier. Dessen Vater sagte beim Abholen: „Ihr könnt euch lieber mailen, als den Schulserver zum Chatten zu missbrauchen.“ Ich stimmte ihm zu und ergänzte: „Die beiden können auch einfach telefonieren.“ Er sah mich irritiert an: „Telefonieren ist doch `old school´!“

Stimmt, dachte ich, Telefonieren ist heutzutage wahrscheinlich `old school´. Das reicht in diesem Fall aber völlig aus: Zehn- bis Elfjährige reden deutlich schneller als sie schreiben, und für Verabredungen zu zweit braucht man keinen Mehr-Personen-Chat. Dafür reicht noch ein ganz normaler altmodischer Telefonanruf.

Reden ist Silber, Schweigen ist Gold?

Diese Weisheit stimmt nicht immer. Wenn uns bestimmte Themen Mühe machen, ist es keine gute Lösung, dem Gespräch darüber ganz aus dem Weg zu gehen. Konflikte verschwinden nicht, wenn man sie meidet – und Wut, Enttäuschung und Verletzungen ebensowenig.

„Hört auf zu streiten“, ruft eine Tochter während einer Meinungsverschiedenheit zwischen meinem Mann und mir. „Doch, wir müssen uns streiten“, antworte ich, „ohne Streit funktioniert eine Beziehung nicht. Es wäre gut, du würdest das früh lernen.“ Sie schaut mich skeptisch an. Ich schiebe hinterher: „Wir sind vielleicht kein gutes Beispiel für „gutes Streiten“, aber wir bemühen uns wenigstens.“

Einige Tage später streite ich mich mit der anderen Tochter. Es geht um eine Nichtigkeit – aus meiner Sicht zumindest. Sie fragt, ich antworte abschlägig, sie reagiert pampig, ich werde wütend, sie geht und Schluss. Ein paar Stunden gehen wir uns aus dem Weg und schweigen über die Sache, aber zwischen uns schreit es nach Klärung. Beim Abendbrot sitzen wir uns gegenüber und vermeiden den Blickkontakt. Kurz bevor wir aufstehen, schaue ich sie an und entschuldige mich: „Es tut mir leid, dass ich wütend reagiert habe. Mein `Nein´ schmeckt dir nicht, aber ich bleibe dabei. Ich habe dich lieb, auch wenn sich das nicht so anfühlt für dich.“ Sie lächelt mich an und antwortet: „Mir tut`s auch leid, dass ich so pampig war. Mit deinem `Nein´ kann ich leben. Hab` dich auch lieb.“

Reden ist Silber, Schweigen ist Gold? Stimmt nicht immer!

Etwas von mir

Geschriebene Worte begeistern mich. Sie sprechen neben meinem Verstand auch meine Seele an. Der Inhalt ist wichtig, aber er ist nur ein Bestandteil des Gesamtpaketes. Unbedingt dazu gehört auch, wie verständlich und sinnvoll strukturiert der Schreiber ein Thema angeht. Ein weiteres Extra entsteht durch Humor oder dadurch, dass Worte mich ermutigen oder zum Nachdenken anregen. Die Sahnehaube auf allem „schmecke“ ich, wenn der Autor selbst zwischen den Zeilen sichtbar wird. Und genau das macht aus geschriebenen Worten einen Text, über den ich denke: „So möchte ich auch schreiben können!“ Vielleicht ist ein bisschen Neid im Spiel, vor allem aber eine große Begeisterung für die Kraft und Fähigkeit von Worten, Menschen wirklich zu berühren. Weil ich weiß, was das Lesen solcher Texte in mir auslösen kann, bemühe ich mich beim Schreiben – um einen interessanten Inhalt, Klarheit, ein gewisses Extra und etwas von mir.

Berufsbegleitend

Am Anfang der Corona-Krise kommunizierte ich über Mail mit einem alten Freund von mir. Er ist Mikrobiologe und schien mir ein geeigneter Ansprechpartner zu sein. An einem Abend – zwischen Kochen, Essen und dem Abwasch danach – fragte ich und bekam die eine oder andere Antwort: Wieso steigen die Infektionszahlen so rapide, was ist los in Italien? Was versteht man unter Herdenimmunität? Wie hoch sollte diese liegen, um künftig so mit Covid-19 leben zu können wie mit der „normalen“ Grippe? Und so weiter… Zum Schluss war ich nicht nur in der Küche fertig, sondern auch um ein paar Antworten schlauer.

Weil Haushalt mein Job ist, kann man das wohl eine berufsbegleitende Weiterbildung nennen.

Gut streiten

Auseinandersetzungen gehören zu Beziehungen, es geht nicht ohne. Sie können gut laufen oder weniger gut; es ist klar, was einem lieber ist. Aber: Wie geht das überhaupt – gut streiten. Ich kann das nicht. Von meiner Oma stammt der schlaue Spruch: „Liebe Seele, hab Geduld, es haben alle beide Schuld.“ Wie recht sie hatte! Der zweite Teil ist wohl wahr, der erste Teil ist sau schwer.

Dabei wäre einem mit Geduld schon sehr geholfen: Geduldig zuhören, was der andere zu sagen hat. Geduldig erklären, inwiefern man anderer Meinung ist. Geduldig bleiben, auch wenn es immer wieder um dieselben Kleinigkeiten geht. Geduldig nach einer Einigung oder einem guten Kompromiss suchen – vielleicht ist das dann schon gutes Streiten.

Wie geht`s richtig?

„Den Juden bin ich wie ein Jude geworden …, den Schwachen bin ich wie ein Schwacher geworden …, ich bin allen alles geworden… „
1. Korinther 9, 20+22

Diese Zeilen sprechen davon, wie Paulus sich in seinem Predigen anpasst an seine Zuhörer, um wirklich verstanden zu werden. Er stellte sich auf die Leute ein, mit denen er zu tun hatte. Das ist ein guter Rat, wenn man bei Menschen etwas erreichen will – sich erstmal auf sie einlassen. Dann lassen sie sich vielleicht auch auf uns und unsere Ansicht ein. Wenn ich das nur könnte! Es fällt mir ja schon schwer, in guter Art und Weise auf meine Kinder einzugehen:

Einer meiner Söhne klagte kürzlich darüber, dass Schule zwar vielleicht weniger Arbeit sei als ein Job, aber: „Wenn man – nicht als Lehrer – von seinem Job nach Hause kommt, ist man fertig. In der Schule muss man immer noch Hausaufgaben machen und für Tests und Arbeiten lernen. Da ist immer so ein Druck.“ Anstatt zuzuhören und seine Aussage zu bestätigen, lehne ich mich in meinem Stuhl zurück und bemerke: „Du weißt dich diesem Druck aber geschickt zu entziehen.“ Er schaut mich an, zischt: „Ihr versteht überhaupt nichts!“, und stürmt aus der Küche.

Manchmal habe ich den Eindruck, ich kann es nur falsch machen: Entweder ich sage die Wahrheit – und ruiniere die Stimmung. Oder ich stimme meinem Gegenüber kommentarlos zu – und schmälere die Ehrlichkeit des Miteinanders. Wie so oft hätte ich gern das richtige Händchen für die goldene Kommunikationsmitte!