Spricht mich (nicht) an

In den Fahrerhäusern großer Laster stehen häufig `Nummernschilder´ mit dem Namen des entsprechenden Fahrers: „Heinrich“ lese ich da oder „Klaus“, manchmal auch „Moni“. Egal wie ausgefallen die jeweiligen Namen sind – sie sprechen mich nicht an.

Manche T-Shirts `sagen´ mehr als ihre Träger: „Don`t ask me for sound, I am light“ lässt mich schmunzeln. Aber wieso trägt jemand ein T-Shirt mit der Aufschrift „Nothing to wear“? Ich vergesse solche Proklamationen schnell wieder – sie sprechen mich nicht an.

Manchmal höre ich halbe Telefongespräche fremder Leute: auf der Straße, im Zug, an der Bushaltestelle. Zwar kann ich fast jedes Wort dieser Telefonate verstehen – aber sie sprechen mich nicht an.

Zwei Männer stehen vor dem Supermarkt und unterhalten sich. „Seit du deinen Hauptschulabschluss an der Abendschule nachgemacht hast, bist du so viel selbstbewusster geworden“, höre ich im Vorbeigehen und lächle. „Ja, Sie lächeln!“, spricht der Mann daher mich an, und es ergibt sich eine ganz kurze, aber sehr fröhliche Unterhaltung. Die überhörte Information spricht mich vielleicht nicht an; die spontane und distanzarme Begegnung dagegen hat mich sehr angesprochen.

Mein Mann und mein Puls

„Dir kriecht da etwas Schwarzes aus dem Ohr“, sagt mein Mann. Er sitzt mir gegenüber auf der Terrasse und schaut mich an. WAS? Mein Puls geht hoch, ich erschrecke und fasse mir ans Ohr. Ist es eine Spinne, ein Ohrenkneifer oder was sonst? Ich spüre nichts, nach kurzer Zeit ertaste ich nur einen Fussel. Erleichtert zeige ich ihn meinem Mann. Er lächelt wissend: „Ich hätte auch sagen können: `Da hängt etwas Schwarzes an deinem Ohr.´, aber ich wollte es ein bisschen dramatischer machen.“ Mein Puls geht hoch …

Kritik

„Kritik kann ich nur jemandem gegenüber äußern, den ich kenne und zu dem ich eine sehr gute Beziehung habe“, sagt eine Freundin von mir. Es ist von Vorteil, das stimmt; dennoch ist das für mich nicht der einzige Aspekt. Genauso wichtig ist meiner Meinung nach, wen ich mit meiner Kritik im Blick habe – den anderen oder meine eigene Befindlichkeit. Ich glaube, kritische Rückmeldung ist angebracht (unvollständige Liste), wenn jemand:

… unter seinen Möglichkeiten bleibt (aus Bequemlichkeit) und sich gleichzeitig über eine unfaire Beurteilung ärgert;
… kein gutes Maß findet, indem er immer redet und nie zuhört;
… sich blamieren würde ohne meinen Hinweis – auf einen offenen Hosenstall, eine gerissene Naht, ein unangemessenes Outfit oder Benehmen;
… seine Macht missbraucht und andere verletzt – vielleicht sogar, ohne es zu merken;
… mehr über andere redet als mit ihnen;
… die Wahrheit verbiegt, um besser dazustehen.

Pauschal und per se

`Pauschal´ bedeutet so viel wie `allgemein´ oder `nicht differenziert´. Pauschal lässt sich viel sagen – oder eben nichts: Pauschale Aussagen ignorieren die Ausnahmen, die das Leben so abwechslungsreich machen. Denn nicht alle Dinge oder Situationen sind eindeutig und erklären sich von selbst – sozusagen per se. `Per se´ ist ähnlich allgemein wie `pauschal´, beides ist mir zu festgelegt. Daher meide ich derartige Formulierungen – und merke: Pauschale Äußerungen sind mir per se suspekt …

Schlagfertig

„Eine linde Antwort stillt den Zorn; aber ein hartes Wort erregt Grimm.“
Sprüche 15, 1

Schlagfertige Menschen haben die Lacher oft auf ihrer Seite und gehen aus einem verbalen Hin und Her leicht als vermeintlicher Sieger hervor. In freundlichen Geplänkeln sorgt eine schlagfertige Erwiderung für Erheiterung, vielleicht sogar Bewunderung.

Ein mir lieber Mensch ist besonnen und braucht Zeit, seine Gedanken zu sortieren. Spontan fehlen ihm oft die richtigen Worte; stattdessen fällt ihm erst hinterher ein, was er hätte erwidern können. „Ich bin nicht so schlagfertig“, sagt er, und es klingt bedauernd – als wäre es eine Schwäche.

Aber ich weiß dass jede Schwäche auch eine Stärke sein kann; denn in kontroversen Diskussionen sieht es anders aus: Mit einer schlagfertigen Antwort verteidige ich mich nicht nur, sondern attackiere selbst. Nicht umsonst heißt es schlagfertig und Schlagabtausch– Worte können verletzen und Beziehungen schädigen. Wenn ich mit Worten zurückschlage, gebe ich einem Streit neue Nahrung und lasse mich vielleicht sogar zu Sätzen hinreißen, die ich hinterher bereue. Manchmal ist es besser, nicht schlagfertig zu sein…

Unmissverständlich

Wie reagiere ich, wenn einer sich im Ton vergreift und mir Vorwürfe macht? Es ärgert mich (vielleicht zu Recht); meine spontane Reaktion wäre, mich zu verteidigen – unmissverständlich und wahrscheinlich verletzend. Schnell diskutieren wir dann nicht mehr, sondern streiten. Stattdessen kann ich bis zehn zählen, nachfragen und mich bemühen, selbst verständnisvoll zu sein – besser noch: einfühlsam und vorsichtig. Das ist schwierig, denn so fühle ich mich weiterhin missverstanden und ungerechtfertigt beschuldigt. Aber wir bleiben im Gespräch. Manchmal ist das wichtiger, als dass ich unmissverständlich MEINE Meinung äußere (und zum Gegenangriff übergehe). Schließlich hoffe ich darauf, dass Menschen mir gegenüber ebenso einfühlsam und vorsichtig sind – und ab und an darauf verzichten, unmissverständlich IHRE Meinung zu äußern.

Erster Eindruck

In einem Hobby bin ich noch ganz am Anfang. Gerade musste ich zu einer neuen Trainerin wechseln. Sie ist nett und freundlich und unterrichtet anders als ihre Vorgängerin. Das ist kein Problem: Ich bin offen und versuche, ohne Vorbehalte zu sein.

Die „Neue“ hat die Expertise, die mir fehlt – sie ist seit 30 Jahren „im Geschäft“. Während unserer ersten Unterrichtseinheit erzählt sie viel davon, was sie alles schon wo gemacht hat und von wem sie trainiert wurde. Es ist vergebene Liebesmüh, denn: Ich kann nichts anfangen mit den Namen ihrer Lehrer, den Facetten ihrer Ausbildung oder den Stationen ihres Lebens. All das beeindruckt mich wenig, es sind für mich Begriffe ohne Inhalt. Was ich „zwischen den Zeilen“ verstehe, ist ihr Bedürfnis danach, wahrgenommen zu werden. Dies ist ein legitimer Wunsch: Mir geht es genauso. Nur für den ersten Eindruck ist es vielleicht ein bisschen viel – da wäre weniger mehr.

Wok sei Dank!

Mein Mann: „Dagmar, das Essen schmeckt hervorragend!“

Ich: „Ja, danke …, aber das liegt daran, dass ich das Gemüse im Wok gemacht habe. Da bleibt alles schön al dente.“

1. Kind: „Stimmt, und der Tisch ist auch so hübsch gedeckt.“

Mein Mann: „Die Töpfe und Pfannen spielen eine nicht unwesentliche Rolle für den Geschmack.“

2. Kind: „Im Grunde ist auch das Kleinstadt-Leben ein Garant für leckeres Essen.“

3. Kind: „Genauer gesagt ist die dezentrale Wohnlage – am Rande der Stadt, die Wiesen vor der Tür – ein nicht zu unterschätzender Faktor.“

4. Kind: „Diese ländliche Luft macht ebenfalls etwas aus – und für die sorgt der Kuhstall hinterm Sportplatz.“

Mein Mann: „Deine Freundin die Bäuerin ist verantwortlich, genau.“

Dem Wok sei Dank für das al dente-Gemüse; meiner Familie sei Dank für diese ad hoc-Ironie. Gott sei Dank kam das fünfte Kind erst später …

Ein Brief

Mit Briefen mache ich die Erfahrung: Je mehr ich selbst schreibe, umso seltener bekomme ich eine Antwort. Das ist schade, aber nicht zu ändern. Ich schreibe weiter; und ab und zu fische ich einen Antwort-Brief aus dem Briefkasten. Diesmal ist er von meiner Grundschulfreundin: Überrascht, zufrieden und erwartungsvoll gehe ich ins Wohnzimmer und lese: „Obwohl ich mich nicht oft bei dir melde, denke ich oft an dich.“ Das geht gut los – und in dem Stil wunderbar weiter. Diese meine älteste Freundin berichtet, wie sie die Zeit erlebt. Ich teile ihre Gedanken, fühle mich verstanden und bin dankbar, dass es noch so passt zwischen uns. Wir sehen uns alle paar Jahre, telefonieren gelegentlich und dann sind da diese seltenen Briefe. Da ist wenig Kommunikation, aber viel gemeinsame Sicht: Kein Wunder, dass wir seit unserer Einschulung vor 45 Jahren befreundet sind … 

Gerechte Sprache

In einer Zeitung lese ich von einer jungen Frau. Seit kurzem lebt sie mit ihrer neuen Freundin zusammen und erzählt davon, was der Corona-Lockdown für diese frische Partnerschaft bedeutet: „Wir verbringen 97 Prozent der Zeit miteinander und gehen uns nicht auf den Sack.“ (Damit könnten Säcke gemeint sein, die eine persönliche Grundstücksgrenze markieren. Allerdings ist das eine sehr ungesicherte Erklärung, die sich im Netz nur ein Mal findet.) Sicher ist: „Auf den Sack gehen“ beschreibt, dass mich etwas nervt. Der Wortlaut assoziiert jedoch eine Befindlichkeit, die in dieser Form nur Männer erleben können. Aus dem Mund einer Frau klingt die Bemerkung für mich trotzdem eindeutig. Redewendungen müssen nicht immer wörtlich völlig korrekt sein, um verstanden zu werden.

Auch im normalen Gespräch ist das, was wir sagen, nicht immer identisch mit dem, was wir meinen. Allerdings bemühen wir uns normalerweise, uns verständlich (und korrekt) auszudrücken. Um korrekten (und nicht gedankenlos diskriminierenden) Sprachgebrauch geht es auch denjenigen, die sich für eine geschlechter-gerechte Sprache einsetzen. Mit diesem Gedanken im Hinterkopf lächle ich über dieses „auf den Sack gehen“ – benutzt von einer Frau, die mit ihrer Partnerin zusammenlebt.

Das Beispiel zeigt (mir jedenfalls): Wir können uns noch so sehr bemühen, unsere Sprache für oder gegen alles zu wappnen – manches davon läuft einfach ins Leere. Wie wir sprechen, wird nicht im Labor entschieden oder von vermeintlich besonders gerechten Menschen. Wir können und sollten an Sprache nicht beliebig herum-gendern, weil das gerade gut zu der speziellen Auffassung von Gleichberechtigung einiger(!) Menschen passt. Sprache (und wie wir etwas verstehen) entwickelt sich unaufhaltsam weiter – auch ohne krampfhaftes Bemühen um vermeintliche Korrektheit. Diese ist nicht der einzige Faktor in gelingender Kommunikation. Mindestens ebenso wichtig ist es, ob ich den anderen respektiere und verstehen will, ihm einfühlsam, nachsichtig und rücksichtsvoll begegne. Das widerspiegelt sich nicht notwendigerweise in der vermeintlich „richtigen“ Ausdrucksweise.

Wie ich Äußerungen empfinde, hängt nicht nur von demjenigen ab, der redet (oder schreibt), sondern auch von dem, der hört (oder liest). Es gibt genügend Beispiele in meinem eigenen Leben: Worte wie „nur Hausfrau und Mutter“, „überholtes Rollenverständnis“ und „abhängig vom Ehemann“ sind in meinem Fall korrekt. Sie werden oft leicht abfällig geäußert – ob sie mich diskriminieren oder kränken, entscheide aber immer noch ich allein.