Entwaffnet – verbal

„Eine linde Antwort stillt den Zorn; aber ein hartes Wort erregt Grimm.“
Sprüche 15, 1

Es gibt wiederkehrende Gesprächsmuster bei uns: Ich bitte meinen Mann um die Erledigung einer – meist handwerklichen – Gefälligkeit. Er sagt, ich solle ihm einen Zettel schreiben. Eine Weile geschieht nichts. Einige Zeit später bringe ich mein Anliegen nochmals vor – mit mäßigem Erfolg. Schließlich suche ich das Gespräch oder besser die Auseinandersetzung und bereite mich innerlich vor aufs Schimpfen. Ich hole tief Luft und möchte mich aufregen darüber, dass eine Sache von zehn Minuten drei Anläufe von mir braucht. Und mein Mann? Entwaffnet mich. Mit einem Satz: „Süße, ich mach´ das am besten gleich – es gibt Dinge, die sollte man sofort erledigen!“

Reichlich

„Wer reichlich gibt, wird gelabt, und wer reichlich tränkt, der wird auch getränkt werden.“
Sprüche 11, 25

Ich habe nicht viel Geld, das ich weggeben kann. (Wobei das natürlich sehr relativ ist – wieviel ist viel? Aber das ist ein anderes Thema.) Etwas, wovon ich viel habe, bin ich selbst. Mein ICH ist mein Kapital. Damit kann ich großzügig umgehen oder knausrig – wie jeder, der Geld im Überfluss hat. Also gilt dieser Vers auch für mich.

Der größte Teil meines Seins „tränkt“ meine Familie, direkt und indirekt. Ein kleinerer Teil fließt in Beziehungen zu anderen Menschen. Ganz objektiv bleibt insgesamt wenig Kraft und Zeit für mich selbst, für meine eigenen Interessen, die nicht nur mit Wäsche, Essen, Putzen und Gemeinschaft zu tun haben. Subjektiv schenkt Gott mir reichlich, was ich brauche – wie er das macht, bleibt sein Geheimnis. Ich bin trotz Zeitmangels kreativ und effektiv, fühle mich inspiriert und nicht betrogen um irgendetwas. Ich werde „getränkt“ – auch wenn ich die Zeit zum Schreiben als umkämpft empfinde, die Zeit zum Lesen und Alleinsein ebenso. Mein Kapital, mein ICH ist immer noch da. Gott selbst achtet darauf.

Was wir in Gesprächen finden – manchmal

„Ein jeder hat zuerst in seiner Sache recht; kommt aber der andere zu Wort, findet sich´s.“
Sprüche 18, 17

Findet sich`s? Das kann ich nicht bestätigen. Solange ich mich nur mit mir selbst unterhalte – vielleicht. Da habe ich recht, ist alles logisch und ganz einfach. Sobald ich anderen Gesprächszeit einräume, wird es komplizierter. Da wird widersprochen, unangreifbar argumentiert, aus einem mir fremden Blickwinkel betrachtet oder einfach aneinander vorbei geredet. Da findet sich dann gar nichts mehr – am wenigstens ein gemeinsamer Nenner.

Gute Kommunikation ist kein Selbstläufer, jedenfalls nicht bei uns im Haus: Wir provozieren, was das Zeug hält, geben nur ungern nach, unterbrechen lautstark und oft. Von „findet sich´s“ keine Spur. Erst nach langer Suche und erbitterten Kämpfen kommen Einigungen zustande: „Geh endlich raus aus meinem Zimmer!“ „Warum?“ „Geh einfach raus!“

Aber auch wir erleben Sternstunden. Eine unserer Töchter, die Kaninchenbesitzerin, geht nicht so gern allein in den Keller und noch weniger gern im Dunkeln raus zum letzten Füttern. „Kommt einer mit?“, fragt sie dann. Es kann Streit gegeben haben vorher oder auch gleichgültiges Stillschweigen. Einer geht immer mit, keiner lacht sie aus, keiner überlässt sie ihrer Angst – da findet sich´s dann doch: Die Liebe zu ihr, das Verständnis für sie, die Hilfe in ihrer Not: „Los, ich komm´ mit!“

Ein gefühlter Verlust

Der amerikanische Theologe Eugene Peterson ist gestorben. Eine Meldung im Netz, in einer deutschen Zeitung werde ich sie nicht finden. Für mich ist es mehr als eine Meldung, die das Ende eines Lebens markiert. In mir löst die Nachricht seines Todes ein Gefühl des Verlustes aus, obwohl ich Eugene Peterson nicht persönlich gekannt habe. Ich bin traurig über seinen Tod. Seine Bücher begleiten mich seit Jahrzehnten und haben mich herausgefordert und geprägt. Von ihm habe ich mich verstanden gefühlt wie von einem guten Freund. Er hatte die Gabe, theologisch Abstraktes zu durchdringen und verständlich zu formulieren. Dadurch habe ich die Bibel besser verstanden und Hilfen bekommen, meinen eigenen Glauben praktisch werden zu lassen.

Auch zu seinen Lebzeiten bin ich ihm nur in seinen Büchern begegnet, daran wird sich nichts ändern. Dennoch trauere ich, als wäre sein Tod ein tatsächlicher Verlust für mein eigenes Leben. Ist das komisch? Es gab keine Gelegenheit, ihn persönlich kennenzulernen. Ich bin nicht sicher, ob er meinen Brief an ihn diesen Sommer bekommen und gelesen hat. Wahrscheinlicher ist, dass er gar nichts von mir wusste. Unsere Bekanntschaft war absolut einseitig. Dennoch fühlt es sich an, als wäre ein „Freund“ von mir gestorben.

Die Gnade zwischen richtig und gut

„So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben.“
Römer 3, 28

Zwischen richtig und falsch liegt in Mathematik manchmal nur eine Zahl, in einem Text ein Wort, in einem Wort ein Buchstabe. Im wahren Leben gibt es neben richtig und falsch unter anderem auch noch gut. Zwischen richtig und gut spielt sich mehr ab, als man auf den ersten Blick denkt: Pünktlich sein oder zu einem privaten Treffen mit der ganzen Familie stressfrei und ohne Streit ankommen. In einer Diskussion nicht nachgeben und Recht behalten oder um Verständnis ringen und das mit dem Recht nicht klären – aber dafür gemeinsam Essen kochen (oder so). Sich der Obrigkeit unterordnen – um jeden Preis – oder sich wie Bonhoeffer für den Widerstand entscheiden – auch um jeden Preis.

Ich will nicht sagen, dass Regeln dazu da sind, ignoriert zu werden – keinesfalls. Aber Regeln als alleiniger Maßstab erscheinen mir nicht in einen leb-baren Alltag zu münden. Denn: So richtig eindeutig ist „richtig“ oft nicht zu definieren. Was von einer Seite richtig aussieht, kann sich auf der anderen Seite zwar vielleicht nicht falsch, aber auch nicht gut anfühlen. Und dann ist „richtig“ zwar manchmal die einfachere Lösung, aber keine gute. Für „nicht richtig“ brauche ich meistens Mut und immer Vertrauen, dass mir mit Gnade begegnet wird. Bei Gott liegt zwischen richtig und gut Jesus mit seiner Vergebung.

Vom Leben vor dem Sterben

Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.“
Psalm 90, 12

Wenn ich wüsste, wann ich sterben muss – würde ich dann anders leben? Ich weiß, dass ich sterben muss. Ich weiß auch, dass die Zeit bis dahin höchstens in Jahrzehnten zu zählen ist. Und ich empfinde die Zeit als immer schneller vergehend, je älter ich werde. Müsste ich nicht viel bewusster im Wissen um dieses Sterben leben?

Ich wäre (noch) ehrlicher. Ich würde noch mehr von den Aktionen und Aufgaben streichen, die ich für entbehrlich halte. Ich würde mich noch mehr auf die Beziehungen in meinem Leben konzentrieren. Ich würde versuchen, alles zu genießen und bewusst zu gestalten – auch die Dinge, die mir nicht so gut gefallen. Mir mehr Zeit nehmen, abzuwägen, ob etwas wirklich dran ist oder nicht.

Meine Umstände würde ich nicht ändern, keine besondere Reise machen oder noch einen Paragliding-Flug, auch keinen Marathon oder eine Solo-Umseglung der Welt. Ich würde versuchen, den einzelnen Tag zu nehmen, wie er ist, und in ihm Gott suchen. Und ich würde nicht immerzu darüber nachdenken, dass es bald vorbei ist. Im Grunde lebe ich das – in Ansätzen – schon jetzt. Wachstumspotential gibt es immer: Ich halte mich noch nicht für besonders klug.

Hirten und Schafe

Ein Pastor ist ein Hirte. Ich bin ein Schaf. Ich bin zwar nicht so herdenkompatibel wie ein Schaf und auch nicht ganz so ohne eigene Meinung, aber ich bleibe ein Schaf. Wenn ich Orientierung brauche, suche ich einen Hirten – und ich bin froh, wenn dann da ein Hirte ist, dem ich vertrauen kann. Mein eigener Pastor ist glücklicherweise so einer, aber es gibt noch andere Hirten in meinem Leben. Einige kenne ich nur aus Büchern, und sie begleiten mich schon lange. Warum sie in meinen Augen gute Hirten sind? Sie lieben Jesus und die Bibel, suchen dort nach Wegweisung – für sich selbst und die Schafe. Sie sind ehrlich, überlegt, klug und trotzdem bodenständig und praktisch:

„…ich erfahre es bis zur Stunde, dass man erst in der vollen Diesseitigkeit des Lebens glauben lernt. Wenn man völlig darauf verzichtet hat, aus sich selbst etwas zu machen – sei es einen Heiligen oder einen bekehrten Sünder oder einen Kirchenmann (eine sogenannte priesterliche Gestalt!), einen Gerechten oder einen Ungerechten, einen Kranken oder einen Gesunden – und dies nenne ich Diesseitigkeit, nämlich in der Fülle der Aufgaben, Fragen, Erfolge und Misserfolge, Erfahrungen und Ratlosigkeiten leben, – dann wirft man sich Gott ganz in die Arme…“
Dietrich Bonhoeffer

„But if the Christian life means anything at all, it finally has to get into the worlds of what we do between waking and sleeping, into the realm of the routine, ordinary speech, habitual responses, casual reactions.“
Eugene H. Peterson

Meine beiden Hirten – der eine schon tot, gestorben, als er jünger war als ich heute (und so viel reifer), der andere weit weg in den Bergen von Montana. Beide inspirieren und ermutigen mich, sind manchmal Trost, oft Herausforderung für mich in meinem Alltag, in meinem Denken. Ihre Weisheiten sind für mich häufig einprägsamer als die eines Paulus – der immerhin ebenso erfrischende Briefe aus seiner Gefängniszelle geschrieben hat wie Dietrich Bonhoeffer. Liegt vielleicht daran, dass sie sich mehr mit den Gegebenheiten des Lebens heute herumschlagen mussten oder noch herumschlagen. Und weil sie die Bibel nicht nur in eine heutige Sprache übersetzen, sondern auch noch in meine heutigen Umstände.

Das ist wohl das, was ein guter Hirte macht, und da bin ich dann gern ein Schaf.

Diskrepanz zwischen Ist und Soll

„Denn das Gute, das ich will, das tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich.“
Paulus in Römer 7, 19

„Die Frucht aber des Geistes ist Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut, Keuschheit…“
Paulus in Galater 5, 22+23

Es gibt Situationen, Worte, Dinge, die in mir eine Reaktion auslösen, die sich teilweise von mir nicht mehr selbst kontrollieren lässt. Vielleicht will ich es auch nicht. Das geschieht häufig gänzlich unerwartet; und auch wenn die Auslöser sicherlich immer wieder ähnlich sind, überrascht mich meine eigene Ohnmacht in der jeweiligen Situation genauso immer wieder.

Inzwischen weiß ich, dass ich allergisch reagiere, wenn ich mich nicht ernst genommen fühle. Geschieht das, so werde ich wütend, reagiere beleidigt, ziehe mich innerlich zurück. Ob der andere es tatsächlich so gemeint hat oder nicht, ist dabei weniger wichtig als das bei mir erzeugte Gefühl. Da ist eine Wunde in meinem Inneren, an die lass ich keinen ran, an die komme ich selbst nur schwer ran. Im Ergebnis bin ich nicht liebe- und verständnisvoll, freundlich, geduldig, großmütig und barmherzig, um Ausgleich bemüht und versöhnungsbereit…, sondern in Verteidigungshaltung und (bisweilen sehr) angriffslustig. Aus der Perspektive des anderen verstehen? Wozu? MIR geht es gegen den Strich, ICH werde gerade doof behandelt, MEINE Gefühle werden verletzt.

Gut dass es Paulus genauso ging – manchmal. Gut dass Paulus genauso wie ich wusste, dass nur Gott unser Inneres verändern kann – hoffentlich immer mehr.

Ein Vers für mich

„Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein.“
Jesaja 43, 1

Wenn ich einen Vers nennen sollte, der mir am meisten bedeutet, der mich am meisten bewegt, der mir der liebste ist – dann wäre es dieser. Darin ist alles enthalten, was mein Verstand wissen muss. Darin ist alles, was meine Seele braucht.

Ich muss keine Angst haben – nicht vor Meinungen, Menschen, nicht vor dem Schicksal, nicht vor Herausforderungen, die mir übermächtig scheinen. Letztlich kann mir nichts was anhaben. Frei von Angst kann ich sein, auch wenn ich es manchmal so nicht fühle.

Ich bin erlöst – von meinen Schuldgefühlen, auch wenn sie sich manchmal noch melden. Dass da noch Schuld ist und Grund für Scham, ist eine Lüge des Teufels. De facto bin ich erlöst und befreit von allem, was mich belastet und trennt von Gott.

Gott kennt mich, Gott nennt mich beim Namen – das hat Kraft. Ich bin jemand für ihn, ich existiere nicht nur, ich BIN.

Ich gehöre Gott, ich gehöre zu Gott – ich bin nicht allein und muss nie mehr allein sein. Wenn ich mich auch einsam fühle und unverstanden, nicht gesehen und ab und an in meinen Bedürfnissen nicht gehört: Gott ist bei mir, versteht mich, sieht mich und hört mich. Er nimmt mich wahr und ernst und hat mich lieb.

Stille – schön und anstrengend

Du bist nicht verantwortlich für das, was in der Stille passiert; du bist dafür verantwortlich, dass es Stille gibt.“
Klaus Vorländer

Das ist ja genau das Problem. Stillezeiten einzubauen in unserem so bewegten Alltag, ist schwierig. Die Stille dann auch auszuhalten und nicht gleich wieder anzufüllen mit Gebet, Wunschzetteln, chaotischen Gedanken zu allem möglichen, dem Horchen auf die Umgebung, dem Ärgern über Äußerungen, die uns nicht passen… – noch schwieriger. Still sein, wirklich still sein.

Selbst Jesus ist weggegangen von den Jüngern, um allein zu sein. In den Bergen von Judäa war es sicherlich deutlich ruhiger als in der niedersächsischen Tiefebene, den bayrischen Bergen oder an der Mecklenburger Küste. Vor 2000 Jahren allemal. Aber das ist nur eine Ausrede: Die Gegend war vielleicht ruhiger, die Ablenkungen damals deutlich weniger zahlreich, aber die menschlichen Stimmen in einem selbst sicherlich ebenso unüberhörbar.

Für mich bleibt das ein Kampf – wirklich still zu werden. Gut dass ich nicht auch noch dafür verantwortlich bin, das und was darin passiert, entsteht, in Gang kommt.