Umschreiben? Macht nichts!

Beim Umschreiben meines Führerscheins von Papier zu Karte sehe ich, dass ich diesen offenbar erst einen Monat nach meinem 18ten Geburtstag ausgehändigt bekam. Dabei hätte ich schwören können, ich wäre damals genau an meinem Geburtstag mit Freunden ins Kino gefahren. Ich weiß sogar noch, welchen Film wir geschaut haben (Dirty Dancing), in welchem Kino wir waren (Filmmuseum in Potsdam) und wer dabei war. Doch heute Morgen stand da dieses andere Datum, alle anderen Informationen offensichtlich korrekt – und ich zweifle.

Es ist eine Weile her, beruhige ich mich, in fast 37 Jahren kann man sich im Datum schon mal um einen Monat vertun. Was aber ist mit meinen anderen Wahrheiten; was, wenn alles andere auch nicht stimmt? Wenn es nicht Dirty Dancing war, nicht das Filmmuseum in Potsdam und auch nicht meine beiden liebsten Abi-Freunde, mit denen ich mich noch heute treffe? Müsste ich auch meine Erinnerung `umschreiben´? Die Fakten wären falsch, aber wen kümmert´s! Wie es sich damals anfühlte im Auto (auf irgendeiner Fahrt, irgendwann und irgendwohin), das werde ich weiterhin spüren: eine Mischung aus erwachsen, übermütig, frei und leicht. Selbst wenn deren Ursache nur eine Illusion ist, verursacht mir die Erinnerung daran auch in Zukunft ein warmes Gefühl im Bauch. 

Mein Lohn

Ich lese vier paar Bachelor-Arbeiten Korrektur. Weil die Probanden fast gleichzeitig abgeben müssen, habe ich nicht viel Zeit. Aus Erfahrung weiß ich, dass man IMMER etwas übersieht – und hoffe, dass es in diesem Fall nicht zu viel sein wird. Als Bezahlung wünsche ich mir farbige Socken, die ich nicht nur mag, sondern wirklich gut gebrauchen kann. Ebenso schnell, wie ich gelesen habe, besorgen die Herren meine Socken. Ich packe sie aus und weiß: Mein Lohn ist wunderbar und wird mich noch lange an diesen Korrekturauftrag erinnern.

Gute Gründe?

Ich würde gern mehr Klavier spielen beziehungsweise üben. Aber ich tue es nicht und habe immer gute Gründe dafür:

Ich will zum Beispiel niemanden stören – das Klavier steht im Wohnzimmer.
Es soll auch niemandem aus meiner Familie wegen meiner musikalischen Entfaltung mangeln an Essen oder sauberer Wäsche.
Bereitwillig nehme ich Rücksicht darauf, wenn sich jemand lieber mit mir unterhalten als mir beim Musizieren zuhören möchte.
Ein paar andere Kleinigkeiten blockieren oft die Zeiten, in denen ich spielen könnte. Denn wenn ich ganz ehrlich bin, mache ich einige Dinge noch lieber, als mich ans Klavier zu setzen: nämlich Briefe zu schreiben beziehungsweise spazieren oder laufen zu gehen. 

All das resultiert darin, dass mein Klavierspiel sich kaum verbessert. Wenn es mir leichter fiele, hätte ich mehr Freude und würde es lieber tun – da bin ich sicher. Dafür müsste ich mehr üben. Aber meine guten Gründe schieben sich immer wieder dazwischen.

Es ist ärgerlich, aber eindeutig: So wird das nichts mit meiner Klavier-Virtuosität.

Ge(kenn)zeichnet

Falten sind unwiderruflich: Sind sie erstmal da, wird man sie nicht wieder los. Ich denke, auch Botox und Co. können dagegen nur sehr begrenzt etwas tun – abgesehen davon, dass sich mir ohnehin nicht erschließt, wieso jemand ewig aussehen will wie von vorgestern. Wie dem auch sei: Ich habe, anders als mein Mann, auf der Stirn neben altersbedingten Quer- auch der ernsthaften Konzentration geschuldete Längs-Falten: das schon einmal erwähnte Toss (triangle of sadness).

Diese fälschlicherweise Wut-Falten genannten Kerben zwischen den Augenbrauen haben sich bei mir inzwischen verstetigt. Mein Mann versucht ab und zu, sie wegzustreichen: „Komm, entspann dich“, säuselte er kürzlich. Er sei nur neidisch, konterte ich, ich wäre eben – im Gegensatz zu ihm – in besonderer Weise vom Leben gekennzeichnet … Wir sind kurz still, dann lächelt er mich an und sagt freundlich: „Gut, dass du nicht vom Leben gezeichnet bist!“ 

Ein Wort – und noch eins

`Ein Wort gibt das andere´, sagt man und meint damit, dass sich ein Streit gern mal hochschaukelt. Wenn keiner der Beteiligten aktiv das weiße Tuch schwingt, nehmen die ausgetauschten verbalen Unfreundlichkeiten zu an Aggression und Lautstärke.

`Irgendwann gab ein Wort das andere´, schreibe ich meinem Schwiegervater und beziehe mich auf das aktuelle ZEIT-Rätsel, dessen Lösung ich ihm wie jede Woche zuschicke. Je mehr der gesuchten Begriffe ich herausfand, desto leichter erschlossen sich jene, die mir noch fehlten.

Genaugenommen passt die Redewendung nicht ganz – und trifft trotzdem wunderbar, was ich sagen will. Ich schätze, mein Schwiegervater hat genug Training im `Um-die-Ecke-Denken´ und wird mir zustimmen. 

Mind blowing

Ich lese eine Bachelor-Arbeit Korrektur. Es geht um autonomes beziehungsweise durch Regelmechanismen unterstütztes Fahren. Ich verstehe nicht viel, eigentlich fast nichts. Aber ein Satz bleibt mir hängen: „Dies entspricht den theoretischen Erwartungen, dass enge Kurven sowohl für den menschlichen Fahrer als auch für ein autonomes Fahrzeug eine höhere Herausforderung darstellen.“ Das stimmt, denke ich, hätte ich aufgrund meiner Erfahrungen als Autofahrerin auch so erwartet. Interessant, wie schwer es ist, solch eine Gewissheit des gesunden Menschenverstandes empirisch zu belegen. Der Rest der Arbeit ist wohl das, was man als `mind blowing´ bezeichnet, wenn man das mal wörtlich übersetzt: mein Gehirn wegblasend.

Im Gespräch

Direkt nach der Arbeit bin ich mit einer Freundin verabredet. Mein Kopf ist noch voll vom Tag; es fällt mir schwer, mich zu konzentrieren. Deshalb schweife ich gedanklich immer wieder ab und bearbeite weiter, was mich im Büro beschäftigt hat. Was meine Freundin sagt, erreicht mich nur wie durch einen Nebel. Meine Antworten sind halbherzig und oberflächlich. Ich ertappe mich dabei, dass ich vermittle, interessiert zuzuhören – und es aber nicht wirklich bin. Immer wieder muss ich mich `zurückholen´ in das Hier und Jetzt. Es dauert eine kleine Weile, bis ich nicht nur körperlich, sondern auch mental da bin: mit meiner Freundin im Gespräch.

Mein Ding

Menschen spielen leidenschaftlich Fußball oder Klavier, verschlingen Bücher jeder Art, lieben das Kochen, basteln, stricken, fotografieren oder reiten. Die Möglichkeiten, einer Sache begeistert nachzugehen, sind Legion.

Ich mache einiges gern, vielleicht sogar sehr gern: laufen gehen oder wandern, lesen, im Wohnzimmer tanzen und dergleichen. All das geht allein, das ist gut. Nur für eine meiner Leidenschaften brauche ich ein Gegenüber – fürs Kommunizieren, am liebsten schriftlich. Es funktioniert nur, wenn andere sich darauf einlassen. Dadurch kann ich es nur begrenzt praktizieren, das ist schade. Denn es ist einfach mein Ding.

Ein Programm für: geht doch!

Ich schöpfe die Möglichkeiten meines Computers nicht aus. Ich benutze nur einige der vorhandenen Programme aus – und keines davon beherrsche ich umfassend. `Für meine Bedürfnisse reicht es´, war bisher oft mein Leitspruch. Nur manchmal kam ich an die Grenzen meiner Anwender-Sachkenntnis und dachte, dass ich mich gern mehr auskennen würde.

Momentan ist es wieder soweit, denn ich würde gern einen Umklapp-Kalender bestücken – mit Sprüchen, in einem bestimmten Format, mit Hintergrund. Der Mensch, der mir die Blätter ausdrucken wird, empfahl mir eins dieser Programme, das ich besitze, aber kaum benutze. Nicht mein Medium, denke ich spontan, und frage meine Nichte um Rat. Sie antwortet sofort, schreibt was von `echt gut für Anfänger´ und `das Internet fragen´. Im Zweifelsfall könne ich gern auch noch einmal bei ihr durchklingeln. Die Generation heißt für mich weder X noch Y oder gar Z, sondern: Ich kann das und wenn nicht, frag ich Google. 

Durch ihre Ratschläge und Du-schaffst-das-schon-Schubser ermutigt, mache ich mich ans Werk. Schon nach kurzer Zeit habe ich sowohl den Dreh raus als auch ein tolles Ergebnis. Jetzt noch eine Probeversion beim Herrn Drucker abliefern, ob das für ihn passt – und dann los. Geht doch, denke ich.

Ich staune, was man heutzutage alles machen kann, und sehe vor meinem inneren Auge meine Schwester. Vor etwa 38 Jahren tippte sie ihre Diplomarbeit auf der Schreibmaschine, mit fünf Durchschlägen – ein Fehler und sie musste die Seite ein zweites Mal tippen. Davon sind wir heute meilenweit entfernt und träumen nicht einmal mehr davon. Alles, was wir aber noch immer brauchen: uns ran- und etwas zutrauen. 

Diskussionskultur: geht gar nicht!

Die Welt ist nicht schwarz-weiß, sondern schillert in vielen Schattierungen von grau. Aber nicht selten erlebe ich Gespräche über Politik, in denen völlig klar ist, welche Meinung die einzig wahre ist – und alle anderen Positionen `gehen ja wohl gar nicht´. Ohne mich auf der einen oder anderen Seite des politischen Spektrums positionieren zu wollen, finde ich das irritierend. Helmut Schmidt soll gesagt haben: „Eine Demokratie, in der nicht gestritten wird, ist keine.“ Nur, wie geht das, Streiten?

Nehmen wir mal an, ein paar Kinder sitzen im Sandkasten und streiten sich, wie gespielt wird. Selten funktioniert es von allein, öfter hagelt es böse Blicke, Sandduschen oder gar Schläge. Keine normaldenkende Mutter würde in einem solchen Fall tatenlos danebenstehen, geschweige denn die anderen Kinder von der Sandkastenkante schubsen. Stattdessen helfen Mütter ihren Kindern, KOMPROMISSE auszuhandeln. „So geht das aber nicht“, heißt es dann, „ihr könnt euch sicher einigen.“ Weil nur so das Zusammenspielen funktioniert.

Die erste Regel für `gutes Streiten´ ist sicherlich, einander zuzuhören – und anzuerkennen, dass der andere nicht automatisch komplett bescheuert ist, nur weil er eine andere Meinung hat. Toleranz nennt man das: ein Geltenlassen anderer Überzeugungen. In der Praxis des Diskutierens scheint schon das häufig eine zu hohe Hürde. Viel einfacher ist es, bestimmte Ansichten einfach unter `geht gar nicht´ abzulegen und die eigene Meinung noch ein bisschen lauter rauszuschreien. Nur bringt uns das leider überhaupt nicht weiter in unserem demokratischen Miteinander. Im Gegenteil entsteht eine Geht-gar-nicht-Diskussionskultur, über die sich meiner Meinung nach nur eins sagen lässt: geht gar nicht!