Fragil

Der Keller war endlich trocken, die Gummistiefel noch nicht weggeräumt. Drei Tage später ist das Wasser wieder da – glücklicherweise nicht in derselben Menge wie zuvor, aber eben doch nass. Ob es am Tauwetter liegt oder woran auch immer: Der Grundwasserstand bleibt eine fragile Größe und ist noch immer nah am Überfließen. Wir lassen die Waschmaschine, wo sie ist, und bleiben auf der Hut. Es ist noch nicht vorbei.

Ein (un)erfülltes Leben

Das neue (geleaste) Auto eines jungen Mannes ist ein echtes Schmuckstück. Natürlich hat es einen Motor sowie die üblichen vier Räder und fährt von A nach B. Zusätzlich enthält es jede Menge Schnickschnack: Sitz- und Lenkradheizung, Spurhalte-Automatik, Bedienung im `Cockpit´ per Touch, Innenraumbeleuchtung mit frei wählbaren Farben … Wir freuen uns mit dem begeisterten Auto-Mieter, machen uns selbst aber wenig aus derartigen Extras. In unseren Augen sind es Gimmicks – lustige oder sonst attraktive Zugaben von geringem materiellem Wert. Diese Extras sind `nice to have´, aber keineswegs notwendig. Nicht nur die Autobranche lebt davon, Antworten auf die ausgefallensten Sehnsüchte anzubieten, ohne dass potentielle Kunden vorher danach gefragt hätten. In vorauseilendem Gehorsam sozusagen und absolut eigennützig; schließlich kostet jedes Extra Geld. Die Standards für eine Grundausstattung verschieben sich: immer und immer weiter. 

Zum einen investieren wir dadurch mehr Geld, als uns lieb ist – und fühlen uns vielleicht ärmer, als wir sind. Zum anderen verlernen wir, mit unerfüllten Träumen zu leben. Das finde ich schade: Es ist eine gute Lebensschule, sich (materiell) begnügen zu müssen und zu erleben, dass man trotzdem sehr zufrieden sein kann. Wie sagte Bonhoeffer so schön? „Es gibt ein erfülltes Leben trotz vieler unerfüllter Wünsche!“ 

Nicht zu sprechen!

Ich suche mir die Nummer eines Bekannten heraus und rufe ihn an. Am anderen Ende ertönt das fragende und leicht mürrische „Hallo?“ eines Menschen, dessen Stimme ich nicht kenne. Unsicher und ein bisschen eingeschüchtert stelle ich mich vor und frage, ob das die Nummer meines Bekannten ist. „Sicher nicht“, sagt die Stimme – deutlich weniger mürrisch als amüsiert. Ich bin verwirrt und entschuldige mich: „Oh, das tut mir leid, ich habe mich verwählt.“ Mein Gesprächspartner reagiert entspannt und inzwischen ausgesprochen freundlich: „Alles gut, macht gar nichts. Einen schönen Tag noch und viel Glück!“ Ich lege lächelnd auf: Wie schnell sich die Stimmung ändern kann!

Hinterher frage ich mich, ob ich Anrufe von unbekannten Nummern ebenfalls in leicht mürrischem Tonfall entgegennehme. Sicher ist, dass auch ich ehrlich freundlich auf jeden reagiere, der mich fälschlicherweise oder aus Versehen anruft.

Nur sehr selten erhalte ich Telefonanrufe, die mich wirklich nerven (Vertreter oder Verkäufer) oder tatsächlich stören (ich gehe nicht ran, wenn ich nicht abkömmlich bin). In Zukunft will ich darauf achten, mit einem Lächeln in der Stimme ans Telefon zu gehen. Der Anrufer freut sich – ob er mich nun sprechen will oder nicht.

Mit ohne Schiedsrichter

Ich komme mir manchmal vor wie ein Schiedsrichter: Wenn zwei Kinder sich streiten, möchte ich am liebsten eingreifen – und (sozusagen) von der Seitenlinie aus schlichten. Dabei funktioniert das höchst selten.

Erstens kenne ich die Vorgeschichte nicht: die Sticheleien, den Ärger, das nervige Verhalten des einen oder anderen. Was sich im Streit selbst offenbart, ist nur die Spitze des Eisbergs – sozusagen das überlaufende Fass. Von den vielen Tropfen vorher habe ich als Mutter oft keine Ahnung.

Zweitens bin ich voreingenommen. Meist tut mir derjenige leid, der im konkreten Streit gerade zu unterliegen scheint oder (scheinbar?) unfair angegangen wird. Und schon neige ich dazu, eher parteiisch zu bewerten, was gerade passiert, als möglichst neutral die Gesamtsituation zu betrachten.

Und drittens: Im Moment des Streitens ist ein Mittler fast nie erwünscht. Versuche ich es doch, gerate ich leicht zwischen die Fronten. Für Höflichkeit ist mitten im Streit kaum Raum und Zeit; stattdessen wird scharf geschossen. Wenn ich also schlichten will, muss ich die Schusslinie meiden und warten, bis sich die Gemüter wieder beruhigt haben. Ganz oft erledigt sich die ganze Angelegenheit dann von selbst: Unsere Kinder vertragen sich schneller wieder, als ICH es angesichts des vorangegangenen verbalen Schlagabtauschs für möglich gehalten hätte – ganz ohne Schiedsrichter.

Normalzustand: ignorant

Manche Beschwerden kommen überraschend und schnell – ein Hexenschuss zum Beispiel: In einem unerwarteten Moment ist es geschehen, der Muskel `macht zu´; starker stechender Schmerz ist die Folge und die sonst übliche Mobilität plötzlich stark eingeschränkt. Ich spüre Muskeln, die ich normalerweise erfolgreich ignoriere.

Dieser Zustand hält ein paar Tage an; die Heilung erfolgt sehr langsam. Nur ganz allmählich entspannt sich der Muskel wieder. Zunächst sind vorsichtige Bewegungen möglich: bewusst und kontrolliert ausgeführt.

Erst viel später stellt sich die übliche Beweglichkeit wieder ein – wenn der Schmerz nicht nur den Körper, sondern auch das Hirn verlassen hat. Dann bin ich wieder die Alte – vollkommen ignorant hinsichtlich dessen, was alles funktionieren muss, damit ich sorglos und schmerzfrei durch meine Tage springen kann.

David und ich

„Mit meinem Gott kann ich über Mauern springen“, heißt es in Psalm 18 (Vers 20). Der Satz stammt von dem jungen David, der Goliath mit seiner Schleuder mutig entgegentritt, weil er weiß, dass Gott für ihn kämpft. Ein anderer Satz von David lautet: „Ich bin matt geworden und ganz zerschlagen; ich schreie vor Unruhe meines Herzens.“ (Psalm 38, 9) Er passt eher zu einem traurigen, mutlosen und frustrierten David, der in seinem Leben sowohl zum Ehebrecher als auch zum Mörder wurde.

Auch bei mir gibt es diese Momente, in denen ich mich fühle, als wäre mir alles möglich; nichts kann mich stoppen, Gott und mich. Dann starte ich mit Schwung in meine Tage, egal ob die Sonne scheint oder es regnet, ob ich viel oder wenig zu tun habe. Ich kenne aber auch das Gefühl, dass ich nur funktioniere – oder nicht einmal mehr das. Wenn mich zum Beispiel ein Hexenschuss ausbremst und mir alles zu viel ist, was mir normalerweise so leicht von der Hand geht. Oder aber ich habe einfach keine Lust auf Routine-Arbeiten, die meinem Leben Sinn und Struktur geben. Selbst das, was mir Spaß macht, ist dann nicht attraktiv. Diese Tage sind sehr selten, aber manchmal kommen sie aus heiterem Himmel und lassen sich nicht so einfach überwinden.

Ich habe kein gutes Rezept gefunden, wie ich damit umgehe: Selbst zum Spazierengehen kann ich mich dann kaum aufraffen; meine Gebete klingen leer. Aber wenn ich angesichts eines Mäuerchens aus Schwere am liebsten rufen würde: „Scotty – wegbeamen!“, dann tröstet mich der Gedanke an David, der diese Phasen auch kannte und ehrlich benennt. Die Bibel nennt ihn einen Mann Gottes (1. Samuel 13, 14).

Ertappt

Alle Süßigkeiten, die oben im Küchenschrank liegen, haben eine sehr geringe Halbwertszeit. Daher lagern wir manches im Keller: Was nicht direkt vor Augen und eben nicht leicht erreichbar ist, hält einfach länger. Während eines Kellergangs will ich im Vorbeigehen ein, zwei Gummibärchen schlickern. Die Tüte ist jedoch stabiler, als ich dachte; ich muss ein bisschen fummeln. Sofort tönt es von oben: „Was machst du da, Mama, was gönnst du dir?“ Ich zucke zusammen und nehme die Tüte mit hoch – wo ich wahrscheinlich insgesamt nur ein oder zwei Gummibärchen davon abbekomme.

Ein Leben mit Kindern ist bereichernd und herausfordernd und basiert auf einer Menge Transparenz. Kinder nehmen uns Eltern als Vorbild und prüfen ganz genau, ob wir selbst leben, was wir von anderen erwarten. Daher achten wir (unter anderem) auf Tischmanieren, sagen die Wahrheit, fluchen nicht und lästern nicht über andere. Aber eins kann doch passieren: Wir spüren, wie es ist, beim heimlichen Naschen ertappt zu werden!

Ernüchtert

Ich laufe und turne regelmäßig und halte mich deshalb für muskulär gut aufgestellt und belastbar. Im Endergebnis kann ich stundenlang Wasser schöpfen (ungewohnte Haltung), spüre anschließend meinen Rücken kaum und fühle mich bestätigt in meiner positiven Körperwahrnehmung.

Eine Woche sitze ich stundenlang auf einem Büro-Stuhl (ungewohnte Haltung). Am darauffolgenden Wochenende kann ich im Endergebnis weder lange sitzen noch stehen – schon gar nicht stundenlang. Die Wärmflasche im Kreuz ist mein liebster Begleiter; ich bin vollkommen ernüchtert hinsichtlich meiner zu positiven Körperwahrnehmung. 

Ich werde in Zukunft sehr wahrscheinlich weniger mit gefluteten Kellern zu tun haben als mit Büroarbeit: Ich sollte also Übungen finden, die mich auf diese bislang ungewohnte Haltung besser vorbereiten als die bisherigen!

Ein tolles Geschenk

Seit über zehn Jahren besitze ich einen Trockner – ein Geschenk meiner inzwischen verstorbenen Tante. Ich benutze ihn selten: nur manchmal, im Winter, für Bettwäsche. Anfang Januar und nach zwei Wochen Wasser im Keller kann ich den Trockner gut gebrauchen. Er steht irgendwo aufgebockt, funktioniert aber. Das Kondenswasser fließt in Ermangelung eines Waschbeckens in leere Bierflaschen; ich leere sie regelmäßig aus und warte dann die letzten Minuten, bis das Programm fertig ist. Das Gerät grummelt wie gewohnt vor sich hin – ein wunderbar gemütliches Geräusch. Ich weiß schon genau, wie die Wäsche riechen und sich anfühlen wird, wenn ich gleich die Tür öffne: weich und warm. Angesichts der mehr als provisorischen Situation in unserem Keller hat der Anblick meines klotzigen Trockners eine beruhigende Wirkung: `Ich mach´ das schon´, scheint er zu sagen, `MIR macht der nasse Keller nichts aus.´ Schade, dass meine Tante nicht mehr mitbekommt, wie dankbar ich gerade heute für ihr tolles Geschenk bin!

Neues Jahr

Die Schulkinder in der Familie haben Ferien, sind viel unterwegs – und sehr beschäftigt.
Wasser im Keller beeinträchtigt den normalen Alltag: Das einzige Paar Gummistiefel, das wir (glücklicherweise seit Weihnachten) besitzen, passt am besten mir. Die meisten anderen müss(t)en barfuß ins kühle Nass und bleiben hübsch oben.
Eine Tochter ist eine knappe Woche lang überhaupt nicht da; zwei Söhne verbringen ihre Semesterferien dafür bei uns.
Morgens, wenn fast alle noch schlafen, fahre ich zur Arbeit …

Irgendwie präsentiert sich das Neue Jahr diesmal anders als normalerweise: besondere Zeiten.