Berühmt

Der 11. September 2001 ist ein Tag, der Leuten aus meiner Generation so präsent ist wie kaum ein anderer: Wir wissen, wie wir von den Anschlägen aufs World Trade Center gehört haben und wo wir waren, als die Nachrichten um die Welt gingen. Wir wissen auch, was wir gemacht haben an diesem Tag.

Viele andere besondere Tage sind schon deutlich stärker eingetrübt vom Vergessen.

Das ist wohl das, was man „schreckliche Berühmtheit“ nennt.

Auf den Inhalt kommt es an?

Kürzlich besuchte ich eine mehrtägige Veranstaltung mit viel Musik. Kein Open Air Konzert, nein. Die Texte der Lieder waren interessant, inspirierend und abwechslungsreich, die Musik zum Teil sehr schön. Natürlich hat mir nicht ALLES super gefallen, den Anspruch hatte ich nicht. Ich weiß, dass Geschmack sehr subjektiv ist.

Allerdings: Völlig unabhängig von der Güte des Inhalts kippte ab einem gewissen Punkt meine Meinung von „gefällt mir“ zu „gefällt mir nicht“. Und das lag – an der Verpackung, in dem Fall an der Lautstärke. Und ich fragte mich: Gibt es ein objektives „zu laut“? Oder ist das Lautstärke-Empfinden rein subjektiv? Für mich gibt es offenbar ein „zu laut“. Ich kann mich davon nicht frei machen, mein Gehirn kann den Rest dann nicht mehr genießen – meine Ohren ohnehin nicht. Da ist es dann schade um den Inhalt, auf den es doch eigentlich ankommt.

Ton oder Misston?

Der Ton macht die Musik – was heißt das? Normalerweise reden wir mit diesem Satz weniger über tatsächliche Musikstücke als darüber, wie etwas gesagt wird. Wir können die Stimme modulieren und bestimmte Worte wählen. Auch der Zeitpunkt ist überhaupt gar nicht unwichtig dafür, was meine – vermeintlich – einfache Sachbotschaft beim Empfänger auslöst. Letztens sagte ein Mann in einer Veranstaltung den einfachen Satz: „Wenn das … nochmal passiert, eskaliere ich!“ Ohne Vorwarnung, einfach mitten rein in eine ansonsten ganz ruhige Atmosphäre. Er redete nicht drumherum, danach war alles klar. Ich bin für ehrliche und offene Worte; aber in diesem Fall würde ich sagen: Durch die Wortwahl und die Schärfe der Aussage hat er sich selbst einen Bärendienst erwiesen. Wer so scharf ranfliegt, wer dem Gegenüber keine Möglichkeit zur Erklärung gibt, wer dermaßen starke Worte wählt – der erzeugt einen Misston, der dem anderen noch lange im Ohr klingen wird.

Gute Gründe

Es gibt viele Gründe, etwas nicht zu tun.

Manchmal habe ich keine Lust, Haushaltskram zu erledigen;
manchmal habe ich keine Idee, was ich kochen könnte;
manchmal fehlt mir die Courage für etwas – zum Beispiel allein mit dem Auto 550 Kilometer durch die Republik zu fahren;
manchmal fühle ich mich zu erschöpft oder müde, mich auf den Weg zu machen und jemanden zu treffen;
manchmal bekomme ich keinen Zugang zu einem Thema, über das ich schreiben soll;
manchmal bin ich es leid, schon wieder ein ungeliebtes Thema – wem gegenüber auch immer – anzusprechen;
manchmal bin ich nicht geduldig genug, ein Kind Vokabeln abzufragen.

All diese Hindernisse können gute Gründe sein – oder auch vorübergehende Befindlichkeiten. Für mich gibt es einen guten Grund, mich von diesen nicht leiten zu lassen: Aufzuhören bedeutet Stillstand. Soll sich was bewegen, soll etwas passieren, gibt es manchmal nur eine Alternative: Einfach machen – und dann geht`s doch irgendwie.

Manchmal jedoch merke ich, dass weitermachen nicht einfach, sondern falsch wäre. Das kann ein guter Grund sein, auf meine Befindlichkeit zu hören. Ich halte inne und entscheide mich für eine Pause.

Wie die Kinder!

„Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen.“
Matthäus 18, 3

Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder… Ein Kind lebt optimalerweise aus der tiefen Gewissheit eines doppelten Bodens; es darf üben und Fehler machen und hat ein bewundernswert bedingungsloses Vertrauen, dass die Eltern es in allem freundlich begleiten. Diese Einstellung Gott gegenüber ist genau das, was Jesus hier meint – glaube ich.

Ich beobachte bei meinen Kindern den allmählichen Übergang vom Kind zum Erwachsensein. Das ist mit Begleiterscheinungen verbunden, die mir als Mutter Mühe machen: Widerrede, nicht enden wollende Diskussionen über immer wieder die gleichen Themen, ein sinkendes Mitteilungsbedürfnis von Seiten der jungen Menschen – und trotzdem weniger Ruhe im Haus. Meine freundliche Begleitung ist bisweilen explizit nicht erwünscht. Aus all dem resultiert ein gewisser Trennungsschmerz.

Andererseits bin ich super stolz auf meinen Nachwuchs. Immer öfter verhalten sie sich so, wie man es von Erwachsenen erwartet: Die Kinder pflegen ihre eigenen Kontakte und Hobbys, sind offen, hilfsbereit, einfühlsam. Sie wägen ab und entscheiden, übernehmen Verantwortung für ihre Aufgaben in Schule und anderswo, bilden sich eine Meinung und vertreten diese – und all das zunehmend souverän und unabhängig. Das macht es mir leicht, sie ziehen zu lassen.

Heute Morgen ging mir auf, wie schwierig es ist, als Erwachsener zu handeln und doch zu sein wie ein Kind. Ich übe das noch und vertraue meinem himmlischen Vater, dass er meine Bemühungen freundlich begleitet.

Bei Eile hupen?

Kürzlich fuhr ich mit dem Auto auf der Hauptstraße und wollte links abbiegen. Von dort kamen einige, die ebenfalls links abbiegen wollten – und weil die Straße ansonsten frei war, es sich anbot, ich es nicht eilig hatte, ich vielleicht freundlich sein wollte(?), ließ ich zwei dieser Linksabbieger vor. (Aus dieser Nebenstraße nach links heraus zu fahren, erweist sich erfahrungsgemäß als schwierig.) Während ich also die zwei Autos herauswinkte, hupte der Mann im Fahrzeug hinter. Er wollte ebenfalls links abbiegen, musste nun aber etwa vier bis fünf Sekunden länger darauf warten – und hupte etwa ebenso lang.

Meine Tochter fragte mich, warum er hupe und ob ich das auch machen würde. Nö, ich mag die Hupe nicht so wirklich. Ich werde auch nicht gern angehupt: Es erschreckt mich; und normalerweise denke ich mir was dabei, wie ich fahre. Es gibt kaum eine Situation, in der ich selbst die Hupe nutzen würde. Vielleicht wenn ich – wie auch immer – merken würde, dass ein anderer Verkehrsteilnehmer kurz vor dem Sekundenschlaf ist. Oder wenn mich einer überholen will, während ich gerade ein Kind über die Straße lasse. Oder wenn meine Bremsen versagen. Oder so.

Ich würde wahrscheinlich hupen, um andere auf eine Gefahrensituation hinzuweisen, nicht aber, um meiner Eile Nachdruck zu verleihen.

Elternabend

Elternabende sind ein Kapitel für sich, immer für eine Überraschung gut, bieten die Möglichkeit für interessante Sozialstudien, haben ein hohes Potential für völlig unnötige Auseinandersetzungen, können wunderbar glatt laufen und Momente für kollektives Fremdschämen schaffen. Sie spiegeln glücklicherweise nicht unbedingt das Klima innerhalb der Schülerschaft wider, sind manchmal kurz- und manchmal langweilig, stellen die moderierende Lehrkraft bisweilen vor unerwartete Herausforderungen, folgen einem gewissen Regelwerk und sorgen hinterher für Gesprächsstoff in der Familie.

In der vergangenen Woche besuchte ich zwei solcher Veranstaltungen; eine zum Vergessen, die andere zum Erinnern: Ein sympathischer neuer Klassenlehrer mit der Gabe, nicht zu viele treffende und informierende Worte zu finden; eine Elternschaft, die sowohl dem Lehrer als auch einander mit großem Wohlwollen begegnet; Menschen, die gern Verantwortung übernehmen, und andere, die ihnen diese gern übertragen; ein früher Abschluss in freundlicher Atmosphäre. Es ist nicht so, dass ich Elternabende vermissen werde, wenn die Zeit anbricht, in der ich zu keinem mehr eingeladen werde. Dennoch, der letzte war einer, der den Gedanken auslöste: So geht es also auch!

Ablenkungsmanöver

In unserem Sommerurlaub an der Küste war das Wetter dieses Jahr sehr kühl und windig, nicht sommerlich genug für den Strand. Das hielt mich nicht davon ab, ein Eis zu essen – etwas, was ich mir eher im Urlaub gönne als im Alltag. Der Italiener vor Ort hatte so interessante Sorten wie Erdnuss oder Karamell – jeweils mit Salz. Offen für Neues nahm ich zwei Kugeln und schlenderte mit meiner Eistüte durch die (Gras-)Dünen in Richtung Strand. Lecker war das Eis, entspannt war ich. Bis von hinten ein Möwenschwarm heranrauschte und ein Exemplar dieser erstaunlich großen Vögel bedrohlich nah an mir vorbeiflog. Alles, was ich danach noch in der Hand hielt, war das leere Drittel meiner Eistüte.

Andere Touristen, die mir entgegenkamen, lächelten mich wissend an und hatten die ganze Aktion interessiert – und leicht amüsiert – beobachtet. Wieder zu Hause berichtete ich davon und erntete Ausdrücke wie: „Ja, das hab`ich auch schon gehört, dass man aufpassen muss. Möwen klauen alles: Eis, Pommes, Fischbrötchen.“ Hinterher schickte mir einen Freundin einen Artikel aus dem Spiegel, in dem von einem „einfachen Kniff“ gegen räuberische Möwen berichtet wird. Man solle die Tiere anstarren, dann sinke die Wahrscheinlichkeit, dass sie zum Angriff übergehen.

Sehr witzig: Dieser Rat lässt sich schwer in die Tat umsetzen, wenn die Möwen von hinten kommen! Ich hatte erst Gelegenheit, die Möwe anzustarren, als sie sich mit meinem Eis davonmachte. In demselben Artikel wurde auch ein Fischkutter-Betreiber interviewt, der schon sein Leben lang Möwen beobachtet. Er sagte, er habe den Eindruck, die Vögel hätten sich taktisch weitergebildet und würden jetzt zusammenarbeiten. Eine Möwe schreie und lenke das Opfer ab, eine andere schlage zu. Stimmt, genau so wars! Ein ganzer Schwarm lenkte mich ab – aber das wäre gar nicht nötig gewesen: Das eigentlich ablenkende Möwen-Geschrei war für mich angenehmer Bestandteil der Urlaubsstimmung mit Meer-Atmosphäre und Eis vom Italiener…

Hitze

Die August-Hitze der vergangenen Tage hat eines meiner Kinder so ausgeschaltet, dass es vorgestern mit Kopfschmerzen nach Hause kam und später fiebrig und dennoch frierend ins Bett gegangen und 15 Stunden später noch nicht wieder aufgetaucht war. Gestern also keine Schule für sie: Das Schulgebäude, ein typischer 70er Jahre Betonbau, bietet derzeit keine Abkühlung, sondern eher Hitze pur plus extrem stickig. Die anderen Kinder fuhren mutig wieder hin; aber man könnte darüber nachdenken, sie prophylaktisch einfach zu Hause zu lassen. DAS wäre eine alternative „Fridays for Future“-Demonstration: Wir finden uns mit der Erderwärmung nicht ab, wir verweigern uns und bleiben zu Hause.

Wie wichtig ist (mir) „schön“?

Ausgeblichen und nicht mehr schön – das gilt für Sandalen von mir. Sie haben ihre besten Zeiten eindeutig hinter sich, aber funktional sind sie nach wie vor. Ich ziehe sie noch an, stoße damit aber in meiner engeren Familie auf leichte Missbilligung. Das Dilemma ist folgendes:

Zum einen steckt der Grundsatz in mir drin, dass Zweckmäßigkeit wichtiger ist als die Optik. Ich bin geprägt durch „wehret dem Konsum“ und von der Idee einer Dominanz innerer Werte über Äußerlichkeiten. Lieber außen pfui und innen hui als andersherum. Zudem fällt es mir schwer „erfüllt noch seinen Zweck“ nur auf Dinge anzuwenden, die irgendwo verschwinden (wie zum Beispiel alte Schrauben) beziehungsweise zum Spielen und Benutzen gedacht sind (Roller, ein Grill oder ein Wäscheständer mit Roststellen und teilweise verbogenen Stangen).

Andererseits lebe ich heute in einer Welt und Umgebung, in der „schön“ sehr wichtig ist – oder jedenfalls nicht so unwichtig, wie es mir lieb wäre.

In Bezug auf meine Sandalen: Wer entscheidet, wann etwas „nicht mehr schön“ ist? Ich ganz allein oder zum Teil auch die Gesellschaft, in der ich lebe? Und: Was ist es mir wert, nicht nur mit funktionalen, sondern auch schönen Schuhen durch mein Leben zu rennen? Der Preis von neuen Sandalen? Noch nicht ganz.