Abhängig

Ich schaue meiner Tochter beim Reiten zu. Das Pferd, das sie reitet, ist groß und kann etwas. Die beiden harmonieren gut miteinander: Schritt, Trab und Galopp im Wechsel, verschiedene Figuren – alles sieht geschmeidig aus. Gleichzeitig reitet eine junge Frau. Ihr Pferd ist ebenfalls groß und kann etwas; aber die beiden kämpfen miteinander: Im Schritt geht es, im Trab bricht das Pferd immer wieder aus, wechselt abrupt die Richtung, hält an oder steigt.

Beide Reiter sind ähnlich begabt, erfahren und versiert; beide Pferde sind ähnlich kräftig und gut ausgebildet. Der entscheidende Unterschied liegt im Wesen der Pferde: Das eine ist brav und willig; das andere ist frech und unwillig. „Sie kann reiten“ ist keine pauschale Aussage: Es hängt vom Pferd ab.

Ich kann erziehen – hängt vom Kind ab; ich kann regieren – hängt vom Volk ab; ich kann dirigieren – hängt vom Orchester ab; ich kann malen – hängt vom Geschmack des Betrachters ab; ich kann unterrichten – hängt von der Mitarbeit und dem Interesse der Schüler ab; ich kann lernen – hängt vom Lehrer ab und so weiter.

Gut dass es nicht vom anderen abhängt, ob ich lieben und verzeihen kann.

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