Um uns herum

Ein Weinhändler bietet jedem Kunden eine Kostprobe seiner Wahl an und entsorgt den Rest – zirka 50 Flaschen pro Woche.
Eine Kleinfamilie mit sechs Autos – drei für den täglichen Gebrauch und drei Oldies `nur zum Spaß´.
Zwei Leute wohnen auf etwa 200 Quadratmetern und bauen eine `Garage´ an – in der Größe eines kleinen Hauses.
Mobiltelefone sind spätestens nach zwei Jahren nicht mehr `modern´, Autos ebenso.
E-Bikes für jeden, Anstrengung war vorgestern.
Kinder reisen tausende Kilometer um die ganze Welt – und wissen nichts von der Nordsee oder den Alpen.

Angesichts dieser Völlerei: Wie können wir in diesem Umfeld unsere Kinder davon überzeugen, dass Mäßigung und Nachhaltigkeit attraktiv sind?

Eine Gnade

„Du kannst deinem Schöpfer danken für die Gnade, dass du das hier nicht machen musst – und ihn darum bitten, dass ich dir auch deswegen noch lange erhalten bleibe“, sagt mein Mann – und lächelt dabei gequält. Er sitzt an den BaföG-Anträgen für unsere studierenden Söhne und winkt nur müde ab, als ich frage, was denn so schwierig daran sei. Ich weiß, dass man jedes Semester neu BaföG beantragen muss. Finanzen sind zu beachten und Regelstudienzeiten, außerdem die Anzahl der Kinder, die noch im Elternhaus wohnen usw. Letzteres ändert sich bei uns relativ häufig – noch vier, noch drei, noch zwei … Aber damit nicht genug, ein bisschen komplizierter geht es offenbar immer: zum Beispiel wenn der Schülerstatus eines Kindes endet und der Freiwilligendienst-Status aber erst zwei Monate später beginnt. All das muss man schriftlich genau dokumentieren und einreichen; und das Beamtendeutsch auf offiziellen Dokumenten ist nichts für `mal eben und zwischendurch ´.

Mein Mann hat einerseits recht: Ich bin wirklich froh und dankbar, dass er sich darum kümmert. Andererseits irrt er: Dass er mir noch lange erhalten bleiben soll, hat mit den BaföG-Anträgen überhaupt gar nichts zu tun!

Noch eine Postkarte? Ja!

Ich beschreibe und verschickt eine Menge Postkarten und bin froh, dass so eine große Auswahl existiert. Überall, wo ich bin, suche und finde ich neue Karten – und nehme sie mit. In meinem Schrank steht eine Vorratskiste voller Nachschub für alle möglichen Anlässe. Offenbar teilt meine Nichte diese Leidenschaft: Vor ein paar bekam ich gleich drei Karten aus ihren Altbeständen. Natürlich ist mir die gestaltete Vorderseite weniger wichtig als das, was meine Nichte persönlich draufschreibt. Dennoch bringen mich kluge, witzige oder/und optisch schöne Karten sehr zuverlässig zum Lächeln. Ich fände es großartig, selbst welche zu kreieren – obwohl einiges dagegen spricht: Wahrscheinlich gibt es auf dem Kartenmarkt nichts, was es nicht gibt; wieso sollte gerade mir noch die eine super Idee kommen? Außerdem verschickt kaum noch jemand handschriftliche Grüße … Alles egal: Ich würde trotzdem gern Postkarten erschaffen, die Menschen zum Lächeln bringen – auch wenn sie hinterher für den Fall der Fälle in einem Vorratskarton landen. 

Rollenspiele, ohne Skript

Wir alle `spielen´ verschiedene Rollen – und für keine habe ich ein Skript: Ich zum Beispiel bin Ehefrau, Mutter, Tochter und Schwiegertochter, Schwester und Schwägerin, Tante, Cousine und Angeheiratete …, außerdem Freundin, Bekannte, Nachbarin und seit neuestem auch Kollegin. Ich selbst meine natürlich, mich immer gleich zu verhalten, aber das stimmt nicht. Je nachdem, in welcher Beziehung Menschen zu mir stehen, erleben sie mich so oder so: mal mit mehr oder weniger Autorität, eher im Hintergrund agierend oder initiativ in der ersten Reihe, alter Hase oder noch grün hinter den Ohren usw. Die eine Rolle liegt mir mehr als die andere; und manch eine verändert sich auch noch über die Jahre – vor allem die als Mutter. Auch dafür gibt es weder Drehbuch noch Regisseur, dafür aber viel Gelegenheit zum Improvisieren!

Treffend formuliert?

Es ist sehr warm; entsprechend kleide ich mich: kurzer Rock, Top, Schuhe ohne Socken. Eine Freundin begrüßt mich mit den Worten: „Oh, du siehst aber freizügig aus!“ Erschrocken schaue ich an mir herunter und greife mir ans Dekolleté. Mein entsetzter Blick scheint Bände zu sprechen; auch meine Freundin merkt, dass ihre Formulierung nicht zutrifft: „Ach, Quatsch, da habe ich ein völlig falsches Wort aus der Kiste gezogen; ich meinte … äh, luftig – und bei dem Wetter genau richtig.“

Ich bin beruhigt; in diesem Fall war die Wortwahl ganz offensichtlich völlig daneben. Eine andere Begebenheit kommt mir in den Sinn, in der ich ähnlich erschrocken auf die Bemerkung eines anderen reagiert hatte: Damals bezeichnete mich jemand als `alte Meckerzicke´ – und ich fragte mich noch lange danach, ob und inwiefern diese Formulierung auf mich zutrifft.

Pflegeleicht: nicht so einfach

Ich begegne einer Bekannten; ihre kleine Tochter trägt sie im Tragerucksack vor der Brust. „Und wie läuft es so mit Baby“, frage ich, denn wir haben uns länger nicht gesehen. „Pflegeleicht“, sagt sie lächelnd – und klingt glaubhaft: Die Kleine schläft. Pflegeleicht waren unsere Kinder auch, denke ich, aber normalerweise nutze ich diesen Begriff eher für unseren Garten. Und der ist inzwischen nur deshalb pflegeleicht, weil wir viele Jahre genau darauf hingearbeitet und uns intensiv um ihn gekümmert haben. Wir haben uns Gedanken gemacht und außerdem gepflanzt und rausgerissen, beschnitten und umgesetzt und was weiß ich. Es dauerte, bis der Garten so wurde, wie er jetzt ist: ein Ort, an dem man gern ist und der wenig Korrektur bedarf. Ganz ohne Pflege wäre unser Grundstück heute verwahrlost und zugewuchert – und nicht pflegeleicht, wie ich es verstehe.

Ich schätze, dass für Kinder ähnliches gilt: Auch sie brauchen Eltern, die sich Gedanken machen, prägen und gute Grenzen vermitteln. Nur dann werden sie sich zu Menschen entwickeln, in deren Nähe man gern ist und die immer weniger Korrektur benötigen. Ein pflegeleichtes Kind ist eben nicht ohne Pflege zu haben, sondern im Gegenteil das Ergebnis intensiven Kümmerns – ohne Erfolgsgarantie.

Egal, ob kurz oder lang (2)

Kurznachrichten, auf die Schnelle abgeschickt, haben Konjunktur. Es ist, als würden wir unbedingt in derselben Zeit mehr unterbringen wollen – und merken nicht, dass etwas auf der Strecke bleibt. Meine (vielleicht steile) These: Wer eilig ist, bleibt oberflächlich.

Andererseits ist `ausführlich´ nicht automatisch tiefgehend. Manche Menschen reden viel, ohne wirklich etwas zu sagen – nicht nur Politiker, die das vielleicht bewusst und aus taktischen Gründen tun.

Wer wirklich etwas weitergeben möchte, muss seine Worte bewusst wählen – ob lang oder kurz ist dann zweitrangig. Aber den wenigsten von uns ist es in die Wiege gelegt, klar und verständlich zu formulieren. Man muss es lernen: am besten schon im Elternhaus. Dietrich Bonhoeffers Vater war seinen Kindern diesbezüglich ein guter Lehrer: „Seine Ablehnung der Phrase hat manchen von uns zu Zeiten einsilbig und unsicher gemacht, aber erreicht, dass wir als Heranwachsende an Schlagwörtern, Geschwätz, Gemeinplätzen und Wortschwall keinen Geschmack mehr fanden …“ Offensichtlich war diese `gute Schule´ kein Spaziergang, sondern mühselig und bisweilen unangenehm. Meine zweite (vielleicht steile) These: Der Weg des geringsten Widerstandes ist nicht unbedingt der, der zum Ziel führt. Oder, wie ein Freund von uns treffend formuliert: Können kommt von üben!