In der Zeitung steht, dass unter anderem Lionel Messi (und einige andere Fußballer ebenfalls) im Jahr 2022 zu den 100 einflussreichsten Menschen gehörte. Das hört sich beeindruckend an, aber ich frage mich: Wie lässt sich Einfluss wohl quantifizieren – und was genau hat sich verändert?
Geschmack
Ein Lied der Wise Guys verdeutlicht mir, wie verschieden begabt Menschen sind – und wie sehr wir einander brauchen: Nur der Bass, nur der Tenor, nur die erste Stimme, nur die zweite Stimme … jeder für sich klingt gut, aber ein bisschen blass. Alle zusammen sind ein Genuss!
Andersherum betrachtet: Eine Referentin auf einer Konferenz spricht mich überhaupt nicht an – im Gegenteil: Sowohl, was, aber besonders, wie sie es sagt, lassen mich unruhig auf meinem Stuhl hin und her rutschen. Am liebsten würde ich rausgehen, ich empfinde Fremdscham. Im Anschluss spreche ich mit Leuten, denen es komplett anders erging. Gerade die Art und Weise der Präsentation beeindruckte sie sehr.
Ich habe so etwas schon öfter erlebt – und doch erstaunt es mich immer wieder: Geschmäcker gehen weit auseinander. Was ich mag, stößt meinen Nachbarn ab; bin ich berührt, bleibt ein anderer emotionslos; wenn ich jedem Wort zustimmen könnte, widerspricht ein anderer vehement – oder auch umgekehrt.
Rückzug auf das Wesentliche
Eine Freundin meiner Tochter ist aus fast allen social media ausgestiegen. Unter anderem hat sie Instagram deinstalliert. „Ich will bei diesen Selbst-Darstellungen nicht mehr mitmachen“, sagt sie, „und außerdem lebe ich lieber mein eigenes Leben als dem anderer Menschen zuzuschauen, die ich persönlich gar nicht kenne.“
Das Mädchen ist 16 Jahre alt – und konsequenter als mancher Erwachsene.
Unmittelbar oder aus sicherer Entfernung
Für den stehenden Fußgänger an der Ampel sind vorbeifahrende Autos blitzschnell – bei Tempo 70 sowieso, aber auch in 50er Zonen.
In wenigen hundert Metern Höhe fliegt ein Sport-Flugzeug; es ist flott unterwegs (200 bis 300 Stundenkilometer).
Jumbojets, zehn Kilometer über uns, sehen aus, als zögen sie gemächlich ihre Bahn. Von wegen: Mit fast 1.000 km/h sind sie schneller als alles, was wir im Straßenverkehr beobachten könnten.
Je weiter etwas entfernt ist, desto langsamer scheint es sich zu bewegen. Allein der räumliche Abstand sorgt dafür, dass wir die Realität verändert wahrnehmen.
Ich glaube, das gilt ebenso für Situationen, die wir zeitlich oder emotional distanziert betrachten: Sie selbst ändern sich nicht; aber nach einiger Zeit und rational betrachtet wirken sie manchmal vielleicht weniger eindrücklich. Nicht zu vermitteln (und schwer noch einmal oder nachzuempfinden) ist zum Beispiel das Gefühl, wenn ein Kind geboren wird oder ein lieber Mensch stirbt. Freude und Leid spüren wir unmittelbar am intensivsten, aus sicherer Entfernung nur noch abgeschwächt.
Vertrauen
Meine Tochter war in der Nacht spontan bei der Geburt eines Fohlens dabei. Am nächsten Morgen muss sie wegen ihrer zweiten Fahrstunde früh raus. Sie ist verständlicherweise unausgeschlafen, aber noch begeistert und erfüllt von dem nächtlichen Erlebnis. „Bist du sehr müde oder kannst du dich jetzt konzentrieren?“, frage ich sie. „Alles gut, es geht mir super“, sagt sie und winkt beruhigend ab: „Außerdem sitzt Chris (der Fahrlehrer) ja neben mir.“ Das klingt sowohl selbstbewusst als auch vertrauensvoll – eine tolle Kombination.
Der Herr der Zufälle
Da wird es zu kalt sein, um bei unserem Grillfest draußen zu sitzen – und wir müssen 22 Personen drinnen zu Tisch bitten. Gartenmöbel sind keine gute Idee: Die möchte ich nicht auf das schöne Parkett im Wohnzimmer stellen. Aber dann sind da doch im Keller noch einige alte Stühle und solche, die ich vor Jahren vorm Sperrmüll gerettet hatte; ein Tisch findet sich auch.
Da bricht mir eine Öse an meinen Wanderschuhen; der Hersteller lehnt den Auftrag ab. Die Schuhe seien zu alt, da lohne sich keine neue Öse (für 13 Euro). Ich sehe das anders, kann aber nichts erzwingen. Aber dann denke ich an den Schuster, der noch in Kasachstan gelernt hat, sein Handwerk versteht – und Bewährtes genauso gern erhält wie ich. Ihm sind meine Schuhe nicht zu alt; er nimmt sich ihrer an. Seine Öse werde wohl ein bisschen anders aussehen als die originale, meint er, aber das macht mir nichts aus. Eine Woche später sind die Schuhe fertig: Die neue Öse sitzt fest und genau an der richtigen Stelle – für fünf Euro.
Da haben wir vor einiger Zeit ein Buch verkauft, das mein Mann jetzt doch gut gebrauchen könnte. Neu wollen wir es nicht kaufen, die Bücherei hat es nicht; wir suchen es gebraucht im Internet. Aber dann fällt uns jemand ein, der es haben – und uns leihen – könnte. Bingo! Diejenige wohnt zwar 150 Kilometer weg, kommt uns aber in ein paar Tagen besuchen.
In solchen Momenten sind wir dankbar für diese Zufälle, die keine sind. Wir glauben, dass der Eine, der es immer gut mit uns meint, seine freundliche Hand in unserem Lebensspiel hat – und uns auch in Kleinigkeiten versorgt.
Karfreitag
In einem verlassenen stillen Haus kehren die Gedanken immer wieder zurück an die Ereignisse um Karfreitag. Wie verlassen mag Jesus sich gefühlt haben? Es war sicher still in ihm nach all der Betrübnis im Garten Gethsemane, dem Verrat durch Judas und dem kurzen Aufbegehren der Jünger, nach aller Anklage vor Pilatus und dem lauten Spott der Menschen auf dem Weg nach Golgatha. Am Kreuz war er vollkommen allein.
Ich bin dankbar, dass ich den Trost der Auferstehung am Ostersonntag nie ganz vergessen kann: Jesu Einsamkeit und Tod am Kreuz sind nicht das Ende der Geschichte.
Ohne Ziel?
„Ohne Ziel“, sagt mein Mann, „kommt man irgendwo an, aber mit Sicherheit nicht dort, wo man hinwollte.“ Der Satz ist nicht von ihm – spricht ihm aber aus dem Herzen. Wahrscheinlich sind sich die meisten Menschen darüber einig, dass ein Ziel grundsätzlich eine gute Sache ist. Mir geht es theoretisch ähnlich; aber praktisch fällt es mir oft schwer, ein klares Ziel zu benennen: Wo will ich hin, was will ich schaffen, warum will ich etwas tun? Oft mache ich einfach drauflos, manchmal mit Hilfe einer to-do-Liste, die ich beliebig ergänze und auf jeden Fall abarbeite: irgendwann. Wenn mein Mann mich aber nach einem Ziel fragt, fühle ich mich schnell überfordert – vielleicht sogar ein bisschen unzulänglich.
Glücklicherweise merkt man mir meine Ziellosigkeit kaum an: Ich bin gut organisiert und schaffe, was ansteht – manchmal sogar mehr. Denn ich mag ohne Ziel unterwegs sein, dafür aber bin ich spontan und flexibel. Jetzt zum Beispiel schalte ich den Computer aus und putze meine Tastatur. Das stand zwar als Tagesziel nicht auf meiner Agenda, wird sich aber nachher so anfühlen, als wäre ich heute einen Schritt weitergekommen.
Ein Unterschied
„Das tut mir leid“, sage ich öfter, „du tust mir leid“, sage ich dagegen fast nie. Es mag ähnlich klingen; für mich sind es zwei verschiedene Dinge:
Wenn mir etwas leid tut, dann bedauere ich, dass jemand mit unangenehmen Umständen zurechtkommen muss: Ich akzeptiere die Situation als ungünstig und gesetzt, lege den Betroffenen aber nicht auf eine Reaktion fest – ich hoffe, das tröstet und ermutigt eher.
Tut mir jemand leid, bedauere ich, wie (schlecht) jemand mit unangenehmen Umständen zurechtkommt: Ich akzeptiere die Reaktion des Betroffenen als unvermeidbar und gesetzt – ich glaube, das entmutigt eher.
Altbekannt
Entmutigend: Uns passiert eine Menge, was wir nicht beeinflussen können.
Ermutigend: Wir können beeinflussen, wie wir mit dem umgehen, was uns passiert.