Körperkult

Als ich jung war, achteten Menschen auf ihre Figur – oder eben nicht. Die es taten, wollten vor allem ganz pauschal nicht `zu dick´ werden. Dafür verzichteten sie entweder aufs Essen oder/und trieben irgendeinen Sport. Was dann dabei herauskam, fiel wahrscheinlich kaum auf.

Heutzutage achten Menschen noch immer auf ihre Figur oder eben nicht. Es geht jedoch nicht mehr um `zu dick´ oder `zu dünn´; eine bestimmte Form ist das Ziel: Muskulöse Oberschenkel oder Oberarme, der klassische Sixpack – junge Menschen wissen zum Teil sehr genau, wie ihr Körper wo aussehen soll. Also trainieren sie sehr regelmäßig bestimmte Muskelgruppen im Fitnessstudio und ernähren sich nach ausgeklügelten Plänen – nur Verzicht steht nicht zur Debatte: Stattdessen sind die richtigen Nahrungsmittel entscheidend und von allem möglichst viel. Was dann dabei herauskommt, wird sofort digital in alle Welt gepostet!

Vergesslich

Meine Eltern – beide über 80 – schreiben mir bedauernd, dass ihnen der Name eines alten Schulfreundes von mir nicht einfällt. Ich wundere, dass sie sich wundern, denn: Auch ich – erst knapp über 50 – vergesse manches: Da fiel mir doch letztens der Name eines meiner liebsten Autoren nicht ein. Dass ich lange nichts von ihm gelesen hatte und er mittlerweile verstorben ist: keine Entschuldigung. 

Es ist mir auch schon passiert, dass ich nach dem Eintippen der E-Mail-Adresse nicht mehr wusste, was ich überhaupt schreiben wollte. 

Und – der Klassiker: Ich gehe in den Keller und frage mich unten, was ich hochholen will.

Dass ich die Namen der Schulfreunde meiner Kinder irgendwann nicht mehr parat habe, ist meine geringste Sorge.

Unser Garten

Am frühen Morgen wässere ich einige unserer Büsche und lasse meinen Blick durch den Garten schweifen. Mein Mann kommt vorbei und wirft etwas auf den Kompost. „Einen schönen Garten haben wir!“, rufe ich ihm zu. „Stimmt!“ Er grinst: „Hat ja nur … 23 Jahre gedauert.“ Damals stand auf dem Grundstück ein Haus, drumherum nur Rasen mit ein paar Apfelbäumen. Nach eigenem Gutdünken haben wir Beete angelegt; Pflanzen kamen – die meisten `geerbt´ – und gingen: Einige haben wir nach ein paar Jahren wieder rausgeschmissen. Erst mit der Zeit ist der Bewuchs entstanden, den wir heute haben: wenig Stauden, viele Büsche und Bodendecker, einiges wächst ineinander, keineswegs unkrautfrei. Der Garten passt zu uns, wir finden ihn schön. Es muss nicht das Schlechteste sein, wenn etwas lange dauert.

Damensauna

In einer Wochenzeitung schreibt eine junge Frau kritisch über die Einrichtung eines Damensauna-Tages: Ihrer Meinung nach trägt ein extra Tag für Frauen in der Sauna dazu bei, dass dafür an den anderen Tagen keine Frauen in die Sauna gehen. Sie selbst jedenfalls war an einem `gemischten´ Tag die einzige Frau in der Sauna. Das wäre meiner Meinung nach kein Problem und auch die junge Dame fand diesen Umstand nicht unangenehm. Nichtsdestotroz inspirierte er sie zu einem vorwurfsvollen Kommentar: So ein Damensauna-Tag sei ihrer Meinung nach nur die Entschuldigung für Männer, sich an anderen Tagen mit aufdringlichen Blicken nicht zurückhalten zu müssen. Wohl gemerkt: Sie war nicht angestarrt worden.

Warum nur sind junge Frauen dermaßen kritisch gegenüber Umständen, die ihnen letztlich dienen sollen? Wäre ich Sauna-Gängerin, würde ich mich persönlich aus mehreren Gründen über einen Damensauna-Tag sehr freuen.

Ich mag mich nicht nackt vor Männern zeigen, mit denen ich nicht verheiratet bin. Meine Einstellung mag vielen überholt vorkommen oder altmodisch – so `verklemmt´ darf man heutzutage als emanzipierte Frau einfach nicht sein. Dabei habe ich nur eine andere Meinung zu dem Thema. Ich bin nicht von gestern oder unfrei, nur weil meine Schamgrenze früher greift – und ich es bedauerlich finde, wie leichtfertig vor allem Frauen (und junge Mädchen) ihre Körper präsentieren. In anderem Zusammenhang wollen Frauen gerade nicht auf ihren Körper reduziert werden: Die Kritik an den geforderten sehr knappen Outfits beim Beachvolleyball ist ein sehr aktuelles Beispiel.

Männer und Frauen unterscheiden sich. Wenn die Autorin verheiratet wäre, in einer Beziehung mit einem Mann stände oder aber einen ihr nahestehenden Bruder hätte, wüsste sie das. Zwar existiert eine kleine Gruppe Menschen, die allen anderen weismachen will, sexuelle Identität sei reine Kopfsache und mehr oder weniger frei wählbar. Ich teile diese Ansicht nicht. Mein Wissen ist zwar nicht evidenz-basiert, aber ich habe schon lange und viel mit Menschen zu tun. Es sind in der Regel bestimmte Anlagen und Verhaltensmuster vorhanden – je nach Geschlecht; sehr seltene Ausnahmen bestätigen eine gewisse Regel. Daher weiß ich, dass Männer auf das äußere Erscheinungsbild von Frauen stärker reagieren, als das andersherum der Fall ist. Daher dient ein Damensauna-Tag sowohl Frauen wie mir als auch Männern, die beim Anblick nackter Frauen nicht völlig gleichgültig bleiben. Es steht dennoch jeder Frau frei, (auch) in die gemischte Sauna zu gehen – wie die Dame es getan hat. Und dann sollte sie natürlich NICHT angestarrt oder gar angemacht werden, klar. Aber sie sollte wissen, dass das manchen Männern mehr abverlangt, als sie sich als Frau vielleicht vorstellen kann.

Die Definition dessen, was angemessen ist, liegt aus Sicht der Autorin offenbar allein in Frauenhand. Wie Frauen sich anziehen und präsentieren, entscheiden Frauen; wie Männer darauf reagieren sollten, entscheiden auch Frauen. Das klingt mir nicht nach einem gelingenden Miteinander, sondern nach einem sehr trotzigen `Jetzt legen wir die Regeln fest!´ Interessanterweise ist es genau diese Einstellung, die Frauen an Männern kritisieren: Wieder einmal fehlt es, dass Menschen ehrlich miteinander reden, die Befindlichkeiten des anderen ernst nehmen und sich um einen guten Kompromiss bemühen.

Natürlich steht es jeder Frau offen, allein in eine gemischte Sauna zu gehen. Das kann ein super Erlebnis sein, frei von Scham und ebenso frei von irgendwelchen Anzüglichkeiten – wie es offenbar bei der Autorin der Fall war. Frau darf sich auch darüber ärgern, wenn sie sich als einzige Frau unter Männern wiederfindet. Den Männern allerdings die Schuld dafür in die Schuhe zu schieben, das halte ich für völlig unbegründet und ziemlich ich-bezogen. Nicht alle Regelungen, die Männer einführen, sind letztlich dazu da, Frauen zu diskriminieren. Es nutzt genau niemandem, das immer und immer wieder zu unterstellen. Unsere Gesellschaft wird dadurch nicht harmonischer.

In der Stadt

Wir brauchen etwas zum Anziehen und fahren in die Großstadt zum `Shoppen´ . Schon den Gang durch die Fußgängerzone empfinden meine Töchter und ich nicht als abenteuerlich und spannend. Stattdessen führt er uns die Widersprüche unserer Gesellschaft deutlich vor Augen: Obdachlose, Punks mit den zu ihnen gehörenden Hunden, Bettler ohne Beine, Flüchtlinge in Gruppen, Geschäftsleute, bis unter die Haarspitzen zurechtgemachte junge Menschen (beiderlei Geschlechts) … – wir sind nicht abgestumpft genug, um unbeteiligt an dieser erschreckenden Vielfalt vorbeizugehen.

Die Geschäfte selbst ähneln Konsumtempeln: Unmengen an Kleidung; lange Schlangen vor den Umkleidekabinen; laute Musik und Kunstlicht auf mehreren Etagen, die vielleicht sortiert sind, aber riesig und unübersichtlich wirken. Die schiere Masse an `Zeug´ erschlägt uns. Vor meinem inneren Auge sehe ich, wie sich die Mode von hier und heute schon morgen auf afrikanischen Second-Hand-Märkten stapelt: Mit dem Müll, den wir hier nicht (mehr) brauchen, belasten wir gern andere – und fühlen uns vielleicht sogar noch großzügig.

Wieder zu Hause haben wir zwar leere Taschen, freuen uns aber über unser ruhiges (Klein-)Städtchen – und sind um mindestens eine Erkenntnis reicher: Wir brauchen ganz viel nicht.

Abschied und Neuanfang

Meine Freundin geht in Rente; 18 Jahre war sie in einer Organisation tätig, die sie selbst mit aufgebaut hat. Das Miteinander dort war sehr besonders: verbindlich, ehrlich und nah. Ihr Ausstieg verläuft in einem Prozess – innerhalb dieses Jahres nimmt ihre Arbeits- und Präsenz-Zeit dort immer mehr ab: Andere übernehmen zunehmend ihre Aufgaben; sie entscheidet nicht mehr mit und wird immer weniger ins Tagesgeschäft einbezogen. Manches läuft schon jetzt und vor allem in Zukunft anders als bisher. Das ist normal und genau richtig so. Meine Freundin muss lernen, sich auf das Neue einzulassen, was nach dem endgültigen `Vorbei´ für sie kommt: Aufgaben und Freiheiten, die sie jetzt noch nicht kennt, und eine veränderte Beziehung zu ihren alten Kollegen – die nicht schlechter sein muss als vorher, nur anders.

Mir geht es mit meiner eigenen Familie ähnlich: Schon eine Weile sind unsere Kinder sehr selbstständig unterwegs. Der Älteste ist bereits ausgezogen; der Zweite startet seine eigenen Lebenspläne ab Sommer mit einem Auslandsjahr. Aber das ist nicht alles: Auch die noch zu Hause lebenden Kindern verabschieden sich (innerlich) jedes Jahr ein bisschen mehr. Sie übernehmen ihr Leben zunehmend selbst und haben sehr eigene Interessen und Ideen. Viele alltäglichen Dinge entscheiden sie autark – einbezogen werde ich nur sehr begrenzt. Mein Rat ist nur selten gefragt; meine Mitsprache noch seltener: Manchmal scheinen sie besonderen Wert darauf zu legen, Dinge anders zu machen als ich. Ich muss lernen, mich auf das Neue einzulassen, was nach dem Auszug der Kinder auf mich wartet: Aufgaben und Freiheiten, die ich jetzt noch nicht kenne, und eine veränderte Beziehung zu meinen Kindern.

Immer dasselbe – kann genau richtig sein

Zu den Geburtstagsfeiern meines Mannes gab es einige Jahre hintereinander jedesmal zwei Suppen – eine vegetarisch, eine nicht – und dazu Baguette. Anfangs war ich unsicher, ob das so gut ankommt (immer dasselbe), aber es beschwerte sich nie jemand.

Für unseren ersten Sohn bastelte ich eine Schultüte: blau, mit Piraten und so. Ein Jahr später, beim nächsten Kind, war die `noch gut´, nach drei Jahren auch …: Auf den Einschulungsfotos unserer Kinder ist fünfmal dieselbe Schultüte zu sehen. (Danach habe ich die Schultüte entsorgt. Leider. Kürzlich meinte eine meiner Töchter, die hätte sie gern auch für ihre eigenen Kinder zur Einschulung benutzt …) 

Dieses Jahr überlege ich, ob ich zur Abi-Entlassung des zweiten Sohnes dasselbe Kleid anziehen werde wie letztes Jahr beim ersten Sohn. Es würde zu uns passen.

Medienkompetenz

Was Schule alles leisten soll: Schüler sollen lesen, schreiben und rechnen lernen, Grundwissen in den Natur- und Geisteswissenschaften erwerben und in mehreren Fremdsprachen ausgebildet werden. Seit einigen Jahren steht auch die sogenannte `Medienkompetenz´ hoch im Kurs: Gern wird diese angeführt, um Kinder möglichst früh mit digitalen Hilfsmitteln auszustatten. Schließlich lässt sich eine gewisse Kompetenz im Umgang mit Medien am besten vermitteln, wenn man diese so früh wie möglich benutzt – dann eben gern auch in der Schule. Heißt es jedenfalls.

Solcherart theoretische Überlegungen können nur von Menschen verfasst sein, die nicht wissen, wie Schule läuft, oder Kinder für kleine, besonnene Erwachsene halten.

Kompetenz im Umgang mit digitalen Medien hat nur ganz wenig mit Übung, aber ganz viel mit innerer Stärke zu tun. Und die wird vor allem im Elternhaus vermittelt – oder aber auf jeden Fall durch persönliche Beziehungen. In der Schule geht es in erster Linie um Wissensvermittlung. Dabei können Ipads oder ähnliche Hilfsmittel zwar einen Mehrwert leisten – aber das ist kein Automatismus. Denn digitale Geräte gewährleisten auch ein hohes Maß an Ablenkung. Weder Lehrer noch Eltern können diese überblicken oder gar begrenzen, wenn man den Kindern die Ipads erstmal in die Schultasche gelegt hat. Daher: je später desto besser. Aber das ist nur meine persönliche Meinung, die die offiziell zuständigen Verantwortlichen wahrscheinlich nicht teilen. Sie trauen der Schule in Sachen Medienkompetenz und `Lernerfolg via Ipad´ deutlich mehr zu. 

Der Umgang mit digitalen Medien bestimmt schon jetzt das Freizeitverhalten vieler Schüler. In der Schule mehr auf analoge Hilfsmittel zu setzen, könnte eine super Idee sein: Wenn Kinder merken, dass sich durch analoge Medien auch ganz viel machen, lernen und entdecken lässt, kommt Medienkompetenz ganz von allein. Und wenn ich zum Ziel hätte, dass die Schüler möglichst viel lernen, würde ich es erstmal mit kleineren Klassen versuchen …

Digitales Miteinander – positiv

Als ich Threema auf meinem Handy installierte, um mit einer sehr guten Freundin leichter kommunizieren zu können, war das ein großer Schritt für mich: Mit Messenger-Diensten hatte ich bis dahin nichts am Hut. Dennoch ließ ich mich überzeugen – um meiner Freundin willen. Meine ersten Worte an sie waren offensiv und positiv – wenn auch in unvollständigen Sätzen: `Neue Medien mit offenen Armen willkommen heißen. Mit dem aktuellen Stand der Technik mithalten und sich nicht abhängen lassen.´ Und: `Meine Nachrichten sind übrigens selten kurz – wir werden unsere Zeit jetzt vor Bildschirmen verbringen.´

Zwei Jahre später lese ich meine Worte noch einmal und überlege, was aus diesem Schritt in die digitale Kommunikation geworden ist. Meine heimlich Sorge hat sich nicht bestätigt – unsere Bildschirmzeit hält sich nach wie vor in Grenzen. Die praktischen kurzen Nachrichten zwischendrin ermöglichten manches `last minute´- Treffen. Und unsere bisweilen sehr ausführlichen Erörterungen vorher besprochener Themen haben uns einander näher gebracht – wie schön!

Stolz

`Stolz´, das habe einen negativen Touch, schreibt mir eine Freundin. Für sie schwinge da eine gute Portion Überheblichkeit, Unbelehrbarkeit oder auch Unnahbarkeit mit. Stolz entspränge einem Vergleichsdenken, bei dem man selber gut abgeschnitten habe. Sie hat Recht – aber das ist nur die halbe Wahrheit, finde ich.

Stolz hat für mich auch einen sehr positiven Aspekt. Er hat etwas mit Selbstachtung zu tun und mit einer Würde, die man sich nicht nehmen lässt. Solch ein Stolz ist eine innere Stärke und zielt nicht darauf ab, sich besser zu fühlen als andere. Diese Form von Stolz bewundern Mitgefangene an Dietrich Bonhoeffer während seiner Inhaftierung: `Wer bin ich? Sie sagen mir oft, ich träte aus meiner Zelle, gelassen und heiter und fest, wie ein Gutsherr aus seinem Schloss. Wer bin ich? Sie sagen mir oft, ich spräche mit meinen Bewachern frei und freundlich und klar, als hätte ich zu gebieten. Wer bin ich? Sie sagen mir auch, ich trüge die Tage des Unglücks gleichmütig lächelnd und stolz, wie einer, der Siegen gewohnt ist.´

Diesen Stolz meint Dietrich Bonhoeffers Vater, als er nach dem Krieg sagt: `Da wir aber alle über die Notwendigkeit zu handeln einig waren und die Söhne sich auch im Klaren waren, was ihnen bevorstand im Falle eines Misslingens des Komplotts, und mit dem Leben abgeschlossen hatten, sind wir wohl traurig, aber auch stolz auf ihre gradlinige Haltung.´ 

Und wenn ein fröhliches `Ich bin stolz´ meine eigenen Anstrengungen wertschätzt – auch das ist in meinen Augen positiv: `Es hat mich Mühe gekostet, ich habe durchgehalten und etwas zu einem guten Abschluss gebracht!´ Seien wir ehrlich: Die wenigsten Erfolge entwachsen dem Nichtstun.

Natürlich braucht es immer viel mehr als mein eigenes Tun: eine gute Basis, günstige Umstände und hilfsbereite Mitmenschen zum Beispiel – sehr viel liegt nicht in unserer Macht. Das Wissen darum darf uns demütig machen, aber es muss uns den Stolz auf dein eigenen Beitrag nicht vollends austreiben. Finde ich.