Verzicht oder Gewinn?

Es fühlt sich anstrengend an, auf Nahrung zu verzichten – ich habe Hunger, mir ist kalt, ich bin müde. Manchmal kommen noch Kopfschmerzen hinzu. Trotzdem esse ich hin und wieder für eine begrenzte Zeit nicht, denn es tut mir gut: Zeitlich begrenztes Fasten wirkt sich NUR positiv aus – und ist ein Gewinn für Körper und Seele.

Ich schätze, dasselbe gilt, wenn man auf anderes verzichtet: Konsum, Grübelei, Medien, Geschäftigkeit, Geräusche … 

Karibisch

Wir verabschieden uns mit einem Frühstück von einer Freundin, die umziehen wird. Sie erzählt davon, wie es ist, ein halbes Leben einzupacken und sich von überflüssigem Kram zu trennen: anstrengend und befreiend zugleich. Jedes Teil nimmt sie in die Hand, sortiert aus und verschenkt, was geht. „Ich bin ja sehr pingelig“, sagt sie, „karibisch gehe ich alles durch.“ Ich freue mich: `Akribisch´ muss es natürlich heißen, aber sie bemerkt ihre Buchstabenverdrehung überhaupt nicht. Entweder spricht sie zu schnell oder hat – wie ich – einen Hang zum Malapropismus, der falschen Verwendung von Wörtern. Besonders schön: Das Wort karibisch klingt wunderbar nach Sonne, Wärme und Urlaub, sozusagen `laissez-faire´ – und das ist ziemlich genau das Gegenteil von akribisch!

Gut?

„Sie denkt, sie kann gut singen“, sagt meine Tochter leicht resigniert, „aber das stimmt nicht.“ Es geht um ein Mädchen, das gern auftreten und dabei von meiner Tochter am Klavier begleitet werden würde. Wer von beiden hat recht, und: Ist es möglich, dass beide offen und ehrlich darüber reden?

Es ist sehr unterschiedlich, wer sich was zutraut. Meine Tochter findet: „Wir lehnen uns eher nicht so weit aus dem Fenster.“ Das liegt nicht daran, dass wir besonders bescheiden wären oder bewusst tiefstapeln. Aber wir zögern mit dem Satz: „Ich kann das gut.“ Wirklich glauben können wir es erst, wenn jemand anderes uns zuspricht: „Du kannst das gut!“

Ich frage mich, woher das kommt. Mir begegnen immer wieder Menschen, die sehr von sich überzeugt sind – meines Erachtens manchmal ohne guten Grund. Meine eigene Latte für `etwas gut können´ hängt meist höher. Es kann aber sein, dass auch ich mich manchmal für fähiger halte, als ich es bin. Ich hoffe, dann ist es möglich, dass andere offen und ehrlich mit mir darüber reden.

Talent

Eine Freundin erzählt von ihrem Sohn; sie nennt ihn (wiederholt) sehr talentiert. Bei dem Wort horche ich auf. Ich persönlich kenne nur wenige Menschen, die ich (objektiv) für sehr talentiert halte. Zwei Leute fallen mir ein, die mich zum Staunen bringen: Eine Bekannte von mir ist Ärztin und hat einen brillanten Verstand – nicht nur medizinisch: umfangreiches Allgemeinwissen, schnelle Auffassungsgabe, vielfältig interessiert, redegewandt. Der zweite ist ein ehemaliger Mitschüler meines Ältesten, der mühelos einen bemerkenswerten Abiturschnitt erreicht hat, zwei oder drei Instrumente spielt und in allem sehr bescheiden ist. Solche Leute sind selten.

Unsere Kinder würde ich nicht als sehr talentiert bezeichnen. Vielleicht sind sie es, aber ich kann das nicht beurteilen: Schließlich betrachte ich sie (subjektiv) durch meine Mutter-Brille, sehe ihre Stärken und Schwächen und bin grundsätzlich begeistert von ihnen. Ihr Talent spielt dabei keine Rolle.