Neu sortieren

Schon oft habe ich Hefeteig gemacht; er `gelingt´ eigentlich immer: Ich benutze dafür Milch, Mehl, Hefe und Ei, je nach Weiterverwendung auch Zucker. Zutaten und ihre Mengen sind mir bekannt und auch, welche Konsistenz der Teig haben muss. Daher brauche ich kein aufgeschriebenes Rezept. Heute wunderte ich mich schon beim Kneten über den festen Teig – und machte trotzdem einfach weiter. Anstatt neu zu überlegen, dachte ich nur `komisch´. Erst später fiel mir ein: Ich hatte das Ei vergessen – eigentlich ein naheliegender Gedanke.

So ähnlich geht es mir, wenn mein Computer ein Problem hat: Ich denke `komisch´, mache einfach weiter und hoffe, dass es gleich wieder funktioniert – meist erfolglos. Dann bitte ich regelmäßig meinen Sohn um Hilfe. Seine erste Aktion ist fast immer ein Neustart – oft reicht das schon. Jedesmal denke ich, dass ich mir das merken könnte: Erstmal die Grundlagen neu sortieren. Leider fällt mir das beim nächsten Mal wieder nicht ein. Dabei würde es mir nicht nur bei Computerproblemen helfen, sondern – wie ich jetzt weiß – auch beim Backen mit Hefeteig: Erstmal neu sortieren, ob ich alles hab`.

Verwöhnt?

„Euer Sohn ist ja auch verwöhnt“, sagt jemand zu mir; es klingt wie eine Schwäche. Ich bin nicht sicher, ob ich zustimmen kann. Der Sohn, um den es geht, ist gerade ausgezogen in ein Studentenwohnheim. Die Etagenküche ist schmuddelig, das Bad, das er mit einem Mitstudenten nutzt, ebenso. Der Kühlschrank funktioniert nicht richtig – in seinem Fach steht regelmäßig Wasser. Er verbringt die Tage in seinem Zimmer: Ein Mathe-Kurs findet online statt; andere Studienanfänger kennt er noch nicht. Am Telefon klingt er nach vier Tagen ein wenig traurig. Ich kann ihn verstehen: Dass er niedergeschlagen wirkt, hat meiner Meinung nach mit den suboptimalen Umständen zu tun und nicht damit, dass er `verwöhnt´ wäre.

Aber stimmt das? Oder will ich nur nicht die Mutter sein, die ihre Kinder verwöhnt? Denn `verwöhnt´ klingt negativ, `gut versorgt´ klingt besser – die Grenze dazwischen ist nicht einfach zu ziehen. Wann ist ein Mensch verwöhnt? Verwöhnen geschieht immer in Relation zu den Umständen, in denen man lebt: Es bedeutet in Deutschland etwas anderes als in Sambia und sieht heute anders aus als früher. Muss man völlig anspruchslos sein – nur weil wir heutzutage und hierzulande mehr haben als Generationen vor uns und Menschen in ärmeren Ländern?

Für deutsche Verhältnisse im Jahr 2021 wachsen unsere Kinder in Unbeschwertheit und Reichtum auf; dennoch denke ich, wir verwöhnen sie nicht: Wir geben ihnen viel, aber einiges nicht – sie wissen, dass nicht alles selbstverständlich ist. Wir helfen ihnen und muten ihnen auch etwas zu. (Nur in Sachen Liebe und Annahme versuchen wir, maßlos zu sein…)

Einen Tag später meldet sich das `Kind´ und klingt hoffnungsvoller. Mit Küche und Bad wird er sich arrangieren – und sich putzend einbringen. Aber zuversichtlich stimmt ihn etwas ganz anderes: Er hat durch den Online-Kurs Kontakt zu einem Mitstudenten bekommen, der `korrekt´ ist. „Wenn das Semester richtig losgeht und andere Erstsemester hier sind, wird es sicher besser“, weiß er. Unser Sohn kann seine Ansprüche nach unten korrigieren oder selbst für einen gewissen Standard sorgen; aber mit Einsamkeit kann er nur schwer leben. Ich weiß nicht, ob das eine Schwäche ist.

Platz für eine Zimmerpalme

Im Sommer schnitt mein Mann eine unserer Zimmerpalmen nicht nur zurück, sondern ab: Nach Jahren mäßigen Vor-sich-hin-Wachsens sollte sie eine letzte Chance erhalten, neu auszutreiben. Ein wenig stolz zeigt er mir jetzt die Ergebnisse dieser Radikalkur: vier neue Triebe. Ich bin beeindruckt – das hätte ich nicht gedacht. Vielleicht ist dieser Erfolg Anfängerglück, vielleicht bewirken drastische Rückschnitte bei Zimmerpalmen IMMER ein fröhliches Austreiben : Wir werden es nie erfahren. Fakt ist, dass die Pflanze jetzt wieder Lebenswillen zeigt und sich damit (zumindest zunächst) einen Platz auf unserem Fensterbrett sichert. So einfach ist das also!

Schön spontan

Es klingelt, ich erwarte niemanden. Eine Freundin steht vor der Tür: „Hast du ein bisschen Zeit? Ich dachte, bei dir kann ich spontan vorbeikommen.“ Sie kann; ich sehe es als Kompliment, dass ich jemand bin, bei der sie sich `traut´, einfach so zu klingeln. „Du kannst genauso spontan sagen, dass es dir nicht passt“, schiebt sie hinterher. Ich muss unweigerlich lächeln: Diese Freiheit gefällt mir, auch wenn ich sie heute nicht in Anspruch nehme. Eine halbe Stunde habe ich Zeit – wir trinken einen Kaffee und reden ein bisschen. Der Besuch tut mir gut: Unser Gespräch und ihr spontanes Klingeln zeigen mir, wer ich für sie bin.

Jetzt oder später

Ich erledige Aufgaben gern zeitnah; für mich gilt: `Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen.´ Nicht immer lässt sich das realisieren, dann lasse ich weniger Dringliches für `später´ liegen. Aber leider ist mir das Unerledigte doch sehr präsent und trübt mein `Jetzt´. Daher finde ich, dass es nur selten schlau ist, etwas auf später zu verschieben – zu prokrastinieren, wie es heute gern heißt. Zwar fühlt es sich jetzt ohne Auftrag gut an, aber später drohen Zeitdruck und Stress.

Andere Menschen sind geborene Prokrastinierer: Aufgaben erledigen sie möglichst spät, nämlich erst, wenn diese sich nicht mehr auf `noch später´ verschieben lassen. Sie leben jetzt fröhlich mit Unerledigtem und ärgern sich auch dann nur ein wenig, wenn es später hektisch wird. Eine meiner Töchter fällt unter diese – bisweilen beneidenswerte – Gruppe Mensch. Sie müsste sich jetzt auf ihre theoretische Führerscheinprüfung vorbereiten; aber sie verschiebt es auf später. Denn ihr macht so ziemlich alles andere mehr Spaß: Klavier oder Fußball spielen, chillen, Videos schauen, essen, der Schwester die Haare schneiden, Musik hören … Noch verspürt sie keinerlei Druck: Zwar würde sie gern jetzt schon Auto fahren dürfen, aber es geht eben auch ohne.

Kürzlich kam diese Tochter von der Schule nach Hause und verkündete: „Ich mache meine Hausaufgaben jetzt immer sofort, wenn ich sie bekomme. XY macht das auch so; die hat nachmittags viel planbarer Zeit.“ Ich bin gespannt, ob das, was sie jetzt begeistert, auch später noch attraktiv sein wird – und ob es sich auch auf die Führerschein-Theorie anwenden lässt. 

Unbegründete Sympathien

Auf einem frisch umgepflügten Acker sitzen einige Krähen, andere jagen einem kleinen Raubvogel hinterher. Ich kenne mich nicht gut aus, aber es könnte ein Falke sein. Die Krähen sind in der Überzahl, außerdem viel größer und attackieren den ungebetenen Gast unermüdlich: Egal, ob er sich hoch in die Luft `schraubt´, fallen lässt oder abrupt die Richtung wechselt – die Krähen verfolgen ihn konsequent. Nach ein paar Minuten taucht ein zweiter Falke auf, aber die beiden bleiben chancenlos und in der Defensive. Dabei konkurrieren sie meiner Meinung nach nicht mit Krähen: Falken sind weniger an Körnern als an Mäusen interessiert. Dennoch dulden die Krähen die beiden Raubvögel nicht in `ihrem Revier´. Irgendwann ziehen die Falken ab.

Das Ganze dauert nur einige Minuten, aber es kommt mir länger vor. Währenddessen können die einen nicht in Ruhe fressen und die anderen nicht in Ruhe jagen – und doch tun mir nur die Falken leid.

Krähen tauchen in großen Schwärmen auf, kreischen laut und flattern immerzu und überall hektisch durch die Gegend. Sie kommen mir gewöhnlich vor, obwohl ich mal gelesen habe, dass sie sehr klug sein sollen. Falken oder andere Greifvögel dagegen sehe und höre ich viel seltener. Wenn ich sie entdecke, schaue ich ihnen gern zu: Sie `spielen´ mit dem Wind oder spähen nach Beute – und wirken dabei leicht und erhaben.

Falken mögen die gefährlicheren Jäger sein; vielleicht haben die Krähen sehr verständliche Gründe für ihr aggressives Verhalten. Ich habe keine Ahnung, aber ein Gefühl: Ich mag die Raubvögel und ärgere mich, wie unbarmherzig die Krähen sie verscheuchen.

Nicht vorbereitet

Seit langem weiß ich, dass mein ältester Sohn im Herbst auszieht. Wir haben immer wieder darüber gesprochen und alles mögliche dafür organisiert. Jetzt ist er weg und ich bin traurig: Die Seele lässt sich auf einen Abschied nicht gut vorbereiten.

Brief-Sponsoring

Ich schreibe (relativ) viele Briefe: etwa zwei bis vier pro Woche. Normalerweise benutze ich einen Füller und verwende normale DIN A4-Bögen, manchmal begleitet von einer Karte. Zum Geburtstag wünschte ich mir farbige Briefbögen, vergesse aber oft, diese zu benutzen. Kürzlich bekam ich außerdem zweimal `richtiges´ Briefpapier – mit Motiv – und von meiner Schwester Briefumschläge in 1000-er Paketen. Offensichtlich hat es sich rumgesprochen, dass ich (relativ) viele Briefe schreibe. In Zukunft werde ich weder Briefpapier noch Umschläge kaufen müssen. Nur für Tintenpatronen und Briefmarken bin ich (noch) selbst zuständig – und natürlich für den Inhalt. Klassischer Fall von Brief-Sponsoring.