Der Wert unserer Arbeit

Wir haben Ferien und mein ältester Sohn macht ein Praktikum – ohne Bezahlung. Die Arbeit ist anstrengend und nicht immer erfüllend; er geht dennoch meist klaglos hin. Ab und zu schimpft er: „Ich arbeite 38,5 Stunden in der Woche und verdiene keinen Cent. Das ist blöd.“

Ich kann ihn ein bisschen verstehen: Ich mache kein Praktikum, sondern arbeite zu Hause – ebenfalls ohne Bezahlung. Hausarbeit ist mehr oder weniger anstrengend und nicht immer erfüllend; ich erledige sie dennoch meist klaglos. Ab und zu denke ich: `Mit dem, was ich zu Hause tue, verdiene ich keinen Cent. Das ist einfach so.´

Was unsere Arbeit wert ist, misst sich nicht nur daran, wie viel Geld wir mit ihr verdienen.

Schatten

Die meisten Menschen sind mir in irgendeiner Weise überlegen: Sie sind sprachlich versierter, gedanklich sortierter, selbstbewusster, praktisch begabter, musikalischer, sportlicher, hübscher, organisierter oder sonst irgendetwas. Ich stehe in einer bestimmten Eigenschaft in ihrem Schatten. Es ist mir bewusst, aber ich spüre es kaum – vielleicht weil ich auf einem anderen Gebiet meinen eigenen Schatten werfe. Im Grunde bin ich mit meiner persönlichen Mischung aus Stärken und Schwächen ganz zufrieden.

Anders ist es, wenn ich Menschen treffe, die mir in allem (ich übertreibe nur ein ganz kleines bisschen) überlegen sind – wie eine Frau in meinem Umfeld. Ich kann mich noch so gut auf Begegnungen mit ihr vorbereiten: Der Schatten, den sie wirft, ist zu groß für mich – als ganzer Mensch fühle ich mich unterlegen und minderwertig. Diese Frau ist sehr liebenswert und weiß nichts von ihrer Wirkung auf mich. Nach jedem Treffen brauche ich ein paar Tage, um mich davon zu erholen. Ich würde gern aus diesem Schatten heraustreten: Dafür muss ich mich nicht mit der Frau, sondern mit mir selbst anfreunden.

Nochmal Synchronspringen

Die deutschen Synchronspringer gewinnen Bronze und freuen sich unbändig. Der Jubel nach diesem Erfolg will raus in Bewegung oder Geschrei. Nur kurz umarmen sie sich; in einem solchen Moment verharrt man ungern still in den Armen eines anderen – und sei es auch der Trainingspartner. Die eigene Freude ist riesengroß und lässt sich gut allein aushalten.

In meinen Gedanken sehe ich die traurigen Russen nach ihrem gescheiterten Sprung. Sie umarmen sich nicht; dabei bräuchten sie in einem solchen Moment die Arme eines anderen – am besten die des Trainingspartners. Die eigene Trauer ist riesengroß und lässt sich kaum allein aushalten.

Gemeinsam oder jeder für sich

Synchronspringen ist Team-Arbeit. Es kommt auf beide Sportler an. Einer allein kann noch so gut sein – und doch nichts erreichen. Jeder für sich muss möglichst fehlerfrei springen und beide zusammen schön synchron: Dann bekommen sie eine hohe Wertung und freuen sich gemeinsam. Wenn einer seinen Sprung jedoch nicht korrekt zu Ende führt, ist die Bewertung für beide eine Null. Es reicht nicht, wenn einer super springt; aber es reicht, wenn einer patzt.

Bei den olympischen Spielen haben die russischen Synchronspringer nach ihrem letzten Sprung keine Chance mehr auf eine Medaille. Einer von beiden schafft die letzte Drehung nicht vollständig vor dem Eintauchen, der Sprung wird mit Null bewertet. Sie wissen sofort, dass sie `aus dem Rennen´ sind: Der eine ist am Boden zerstört; der andere packt sichtlich wütend seine Tasche und verlässt die Schwimmhalle. Sie reden nicht miteinander, vielleicht tun sie es später. Aber in diesem Moment leidet jeder für sich.