Planbar: Unterbrechungen

Was ich manchmal wirklich vermisse, ist die Gelegenheit, etwas „am Stück“ zu tun. Ich erledige täglich verschiedene Dinge: Manches davon (wie Wäsche und Kochen) lässt sich nur bedingt verschieben; anderes (Putzen und Einkäufe) ist weniger dringend, macht sich aber auch nicht von allein. Um all diese herum plane ich den Rest meines Tuns (Post, Mini-Jobs, Sport …) – und gestalte meine Tage. Das klingt einfacher, als es sich derzeit in der Praxis darstellt. 

Denn zu meinem Tagesgeschäft gehören „Unterbrechungen“ – und ich gehe nicht immer gelassen und geduldig mit ihnen um: Sie sind zwischen zwölf und 19 Jahre alt, redebedürftig, manchmal ratsuchend, mir sehr zugetan, einer Ermutigung nicht abgeneigt und kommen sehr spontan. 

So gern ich etwas „am Stück“ machen würde – es bleibt momentan oft ein Traum. Verlässlich sind die „Unterbrechungen“: fast schon planbar.

Die Lösung: Ein anderes Thema

Beim Spaziergang treffe ich einen entfernten Nachbarn, der in seinem Garten herumwerkelt. Wir kommen kurz ins Gespräch – natürlich auch über Corona und die Maßnahmen. Er weiß, wie die Lösung für Corona und Covid-19 aussieht, nämlich: „Wir müssen impfen, impfen, impfen.“ Seine Bestimmtheit klingt nach „alternativlos“ – und lässt mich zögern. Ich ziehe die Augenbrauen hoch und versuche eine Antwort: „Nun ja, ich weiß nicht; ich bin keine Verschwörungstheoretikerin …“ Weiter komme ich nicht, denn er unterbricht mich mit einem „Doch!“ und grinst dabei.

Was war das denn? Offenbar reicht ihm meine Reaktion, um mich in eine Schublade zu stecken. Schade eigentlich, denke ich – andererseits ist es mir egal. Ich habe sowieso keine Lust, schon wieder über Corona zu reden. Denn zwar weiß ich nicht, welche Lösung gegen das Virus die beste wäre. Aber ich weiß, wie wir dieses leicht verfahrene Gespräch lösen können: Es geht mit einem freundlichen: „Tschüß!“ (Bis zum nächsten Zaun-Plausch – gern über ein anderes Thema.)

Selber malen?

Bei uns kann niemand gut malen oder zeichnen. Dementsprechend besitzen wir keine besonderen Stifte oder Zeichenutensilien und vertreiben uns die Zeit nicht mit Malen. Meine Nichte dagegen zeichnet gern, gut und freiwillig, mit verschiedenen Farben und Untergründen. Kürzlich besuchte eine meiner Töchter ihre Cousine – und ließ sich dort zum gemeinsamen Malen überreden.

Mit fünf Farben und drei Leinwänden kam meine Tochter zurück nach Hause – fest entschlossen, hier weiter zu malen. Begeistert und hoch motiviert schwärmte sie davon, wie viel Spaß das Malen macht: „Wenn man jemanden hat, der etwas gern tut und gut kann, dann reißt einen das mit. Dann macht sogar etwas Spaß, worauf man sonst überhaupt nicht käme.“ 

Zwei Wochen später hat sie die Mal-Sachen noch nicht oft angerührt. Es wundert mich nicht: Hier fehlt ihr jemand, der gern und gut malt und sie mitreißen würde. Wenn wir Bilder von ihr sehen wollen, müssen wir sie wieder zu ihrer Cousine schicken – das täte auch der Beziehung der beiden gut.

Farbe: (un-)wichtig

Viele Dinge, die ich besitze, sind gebraucht: Klamotten, unser Bett, das Klavier, mein Schreibtisch … Auch ein neues Auto haben wir noch nie gekauft und werden das sicher auch in Zukunft nicht tun. „Gebraucht“ spart Geld, schont die Umwelt und erfordert eine gewisse Kompromissbereitschaft. Das fällt leicht bei Aspekten, die mir persönlich nicht wichtig sind. Bei einem Auto ist das die Farbe: Sie ist mir fast völlig egal – ich kann mit vielen Farben gut leben. Ich ziehe es sogar vor, mich mit etwas zu arrangieren, als vor der Qual der Wahl zu stehen.

Wenn ich mir ein neues Auto kaufen und leisten wollte, sähe das anders aus. In dem Fall wäre die Optik ein wesentliches Auswahl-Kriterium – und mir (plötzlich) die Farbe wichtig.

Sie ist weg

In einem Schreibwaren-Geschäft bei uns in der Stadt gab es einen Inhaberwechsel. Zwei Wochen war der Laden deswegen geschlossen; in der Zeit wurde renoviert und umgebaut – jetzt ist alles ein bisschen übersichtlicher und wirkt großzügiger. Das Sortiment ist ähnlich geblieben, bis auf einige außergewöhnliche (Deko-)Artikel. Diese fehlen mir nicht: Was ich brauche, bekomme ich nach wie vor. Dennoch vermisse ich etwas – es scheint, als hätte das Geschäft seine Seele verloren. Ist es eine Frage der Gewöhnung? Ich weiß es nicht. Die vorherige Inhaberin erfüllte dieses Geschäft in ganz besonderer Weise – sogar wenn sie manchmal nicht anwesend war. Erst jetzt, da sie sich endgültig verabschiedet hat, spüre ich traurig: Sie ist weg.

Hilfe in Wort (und ohne Tat)

Meine Tochter hat ihr Zimmer gestrichen. Sie hat es (mehr oder weniger) allein gemacht. Ich zumindest war nicht praktisch beteiligt – habe nicht das Zimmer ausgeräumt, Fenster und Tür abgeklebt oder einen Pinsel in die Hand genommen. Dennoch war ich Teil der ganzen Aktion: Mit Schwung und Energie plante meine Tochter wochenlang, wie und was sie machen wollte. Vorgestern sollte es losgehen – aber der Schwung war weg, stattdessen war mein Kind mut- und lustlos. Zu groß lag der Berg des tatkräftig zu renovierenden Zimmers vor ihr. Da war er, mein Moment: „Lass dich vom Ziel motivieren und nicht vom Weg abschrecken.“ In verschiedenen Variationen und mehrfach wiederholt war der Satz zwar nicht besonders schlau, aber sehr notwendig: Ohne diesen wäre das Zimmer jetzt wahrscheinlich nicht frisch gestrichen …

(Praktische Mithilfe hatte meine Tochter mehrmals dankend abgelehnt – wenn auch innerlich mit schwerem Herzen. Instinktiv wusste sie: Die verbale Ermutigung hilft mir letztlich mehr und lässt das schöne Endergebnis ganz meins sein.)

Sonn- und Feiertage

„Ich weiß, man soll den Feiertag heiligen, aber der Karfreitag eignete sich so gut, ein Kinderzimmer zu streichen“, erzählt mir ein Freund am Telefon. Das gemeinsame Projekt mit schönem Ergebnis habe ihnen allen gut getan. Das glaube ich sofort: Es ist schön, wenn man zusammen etwas schafft. Trotzdem ist es eine gute Einrichtung, manchmal frei zu machen und keine Arbeit zu verrichten.

Freie Tage eignen sich wie von selbst dazu, eigene Werke zu erschaffen und wertzuschätzen – und wenn es ein frisch gestrichenes Kinderzimmer ist. Schwerer fällt es uns, wahrzunehmen und zu feiern, was Gott schafft – wir müssen das bewusst einplanen. Sonn- und Feiertage helfen uns, regelmäßig Arbeit gegen Ruhe einzutauschen. Wie wir diese Pausen nutzen, bleibt dann noch immer uns überlassen. Niemand, auch nicht Gott, zwingt uns, diese freien Tage bewusst mit Gebet und Besinnung zu verbringen. Aber wichtig kann es sein: Wenn wir andauernd selbst schaffen, vergessen wir leicht, dass Gott hinter allem steht – auch hinter unserer Schaffenskraft. Von diesem Irrglauben kann uns ein projektfreier Feiertag wunderbar heilen.

Gerechte Sprache

In einer Zeitung lese ich von einer jungen Frau. Seit kurzem lebt sie mit ihrer neuen Freundin zusammen und erzählt davon, was der Corona-Lockdown für diese frische Partnerschaft bedeutet: „Wir verbringen 97 Prozent der Zeit miteinander und gehen uns nicht auf den Sack.“ (Damit könnten Säcke gemeint sein, die eine persönliche Grundstücksgrenze markieren. Allerdings ist das eine sehr ungesicherte Erklärung, die sich im Netz nur ein Mal findet.) Sicher ist: „Auf den Sack gehen“ beschreibt, dass mich etwas nervt. Der Wortlaut assoziiert jedoch eine Befindlichkeit, die in dieser Form nur Männer erleben können. Aus dem Mund einer Frau klingt die Bemerkung für mich trotzdem eindeutig. Redewendungen müssen nicht immer wörtlich völlig korrekt sein, um verstanden zu werden.

Auch im normalen Gespräch ist das, was wir sagen, nicht immer identisch mit dem, was wir meinen. Allerdings bemühen wir uns normalerweise, uns verständlich (und korrekt) auszudrücken. Um korrekten (und nicht gedankenlos diskriminierenden) Sprachgebrauch geht es auch denjenigen, die sich für eine geschlechter-gerechte Sprache einsetzen. Mit diesem Gedanken im Hinterkopf lächle ich über dieses „auf den Sack gehen“ – benutzt von einer Frau, die mit ihrer Partnerin zusammenlebt.

Das Beispiel zeigt (mir jedenfalls): Wir können uns noch so sehr bemühen, unsere Sprache für oder gegen alles zu wappnen – manches davon läuft einfach ins Leere. Wie wir sprechen, wird nicht im Labor entschieden oder von vermeintlich besonders gerechten Menschen. Wir können und sollten an Sprache nicht beliebig herum-gendern, weil das gerade gut zu der speziellen Auffassung von Gleichberechtigung einiger(!) Menschen passt. Sprache (und wie wir etwas verstehen) entwickelt sich unaufhaltsam weiter – auch ohne krampfhaftes Bemühen um vermeintliche Korrektheit. Diese ist nicht der einzige Faktor in gelingender Kommunikation. Mindestens ebenso wichtig ist es, ob ich den anderen respektiere und verstehen will, ihm einfühlsam, nachsichtig und rücksichtsvoll begegne. Das widerspiegelt sich nicht notwendigerweise in der vermeintlich „richtigen“ Ausdrucksweise.

Wie ich Äußerungen empfinde, hängt nicht nur von demjenigen ab, der redet (oder schreibt), sondern auch von dem, der hört (oder liest). Es gibt genügend Beispiele in meinem eigenen Leben: Worte wie „nur Hausfrau und Mutter“, „überholtes Rollenverständnis“ und „abhängig vom Ehemann“ sind in meinem Fall korrekt. Sie werden oft leicht abfällig geäußert – ob sie mich diskriminieren oder kränken, entscheide aber immer noch ich allein.

Schönes Gezwitscher?

Urplötzlich, ohne ersichtlichen Grund, fängt morgens ein Vogel an zu zwitschern. Es ist noch stockfinster – jedenfalls für mich – und ansonsten still. Ich bin unsicher: Geht wirklich schon die Nacht zu Ende? Der Vogel dagegen wirkt nicht unsicher – jetzt ist genau der richtig Zeitpunkt für klares, lautes Gezwitscher.

Ich könnte das Fenster schließen, es dringt ohnehin saukalte Luft von draußen ins Schlafzimmer. Allerdings müsste ich dafür aufstehen – eine zu unangenehme Vorstellung. Also versuche ich, trotz der Geräusche wieder einzuschlafen.

Es ist jedes Jahr dasselbe Spiel: Ich muss mich an die gefiederten Frühaufsteher und ihr morgendliches Zwitschern erst gewöhnen. Nach ein paar Wochen werde ich davon nicht mehr aus dem Tiefschlaf gerissen und schlafe morgens trotz der Beschallung einfach weiter. Spätestens dann finde ich das Gezwitscher sogar „schön“ – obwohl ich es im Grunde gar nicht mehr wahrnehme.

Lobenswert?

Lob tut gut, es streichelt unsere Seele – und unser Ego. Es ist in Ordnung, sich über Lob zu freuen; aber es ist bedenklich, aus dem Hunger nach Lob heraus zu agieren. Wenn wir etwas möglichst gut machen wollen, ist das lobenswert; aber wir gelten als eitel, wenn wir Bewunderung dafür erwarten. Der Unterschied ist klein – und liegt verborgen in unserem Inneren. Geringfügig ist er dennoch nicht, denn andere spüren ihn: Lob macht mich stolz oder dankbar: Entweder es geht dabei um mich oder darum, was ich für andere sein kann. Interessanterweise hat das Letztgenannte einen größerer Wert – auch für mich.