Umsonst

Der Reiher flog schneller weg, als ich mein Handy zücken konnte. Dabei hatte ich extra mein Laufen gestoppt, um ihn und den Storch zu fotografieren, die sich auf der Wiese beziehungsweise im Tümpel die Sonne aufs Gefieder scheinen ließen. Nur den Storch habe ich – fotografisch – knapp erwischt, den Reiher gar nicht. Mein Laufen habe ich umsonst unterbrochen.

Vor einigen Wochen war uns schon etwas ähnliches passiert: Auf einer unserer Probewanderungen schwiegen wir die ersten zwei Stunden. Währenddessen sahen wir ein Auto, das immer wieder dieselbe Strecke entlangfuhr – am Rand der Straße stand ein Mann mit einem Fotoapparat. „Wird das ein Werbespot?“, fragten wir uns – und in Rufnähe zum Fotografen auch ihn. Ein Achselzucken und das Wort „french“ waren die Antwort. Es hätte uns interessiert. Wir haben es nicht erfahren und unser Schweigen umsonst unterbrochen.

Alles mitnehmen zu wollen, ist selten eine gute Idee.

Mensch und Material

Wandern im Dauerregen stellt höchste Ansprüche an Mensch und Material, wobei der Mensch zuerst einknickt: Die Sicht ist schlecht, die Stimmung sinkt mit jedem Kilometer. Nach zwei Stunden – und noch nicht am Ziel – wünschen wir uns nur noch, dass der Regen aufhört oder wir ankommen, am liebsten beides. Das ist der Moment, in dem das Material nachgibt: „Welches Fassungsvermögen haben meine Wanderstiefel?“, frage ich mich. Mein Fuß ist von Wasser umgeben; „quitsch-quatsch“ macht es bei jedem Schritt. Wir gehen weiter, denn: Wenn auch das Material seinen Geist aufgibt, hält der Mensch noch durch. Ich gebe der Frage keinen Raum, wie die Schuhe bis zum nächsten Tag wieder trocken werden sollen. Sonst wäre es auch um den Menschen geschehen.

Eine weitere Stunde später strahlt uns unser Gastgeber für diese Nacht an. Er spricht mit starkem schottischen Dialekt, wir verstehen nicht jedes Wort. Was hängenbleibt ist: „… dry room, take off … wet – I will sort it all out for you!“ Seine Worte trösten den Menschen, sein Trockenraum dient dem Material. Am nächsten Morgen sind wir erfrischt und all unser Zeug trocken – Mensch und Material sind bereit für die nächste Etappe.

Wandern (3)

„Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“
2. Korinther 12, 9

Wenn ich stundenlang vor mich hin laufe, kann ich sonst nichts anderes machen. Ich kann nur nachdenken oder ein Gespräch mit meinem Mann führen. Das ist gut, denn ich bin „ganz bei mir“.

Für die Schottland-Wanderung heißt „ganz bei mir“ nicht nur, mich auf den Untergrund zu konzentrieren. Meine angeschlagene Gesundheit macht es nötig, dass ich meine Energie fürs Gehen brauche – es ist sehr schwierig, die Umgebung zu genießen. Das ist schade, aber nicht zu ändern. Ich bete viel, weil ich spüre, dass ich mit meiner Kraft an meine Grenzen komme. Ich fühle mich permanent müde, dazu kommen die wahrscheinlich bei langen Wanderungen üblichen Wehwehchen: Nach etwa 20 Kilometern melden sich meine Hüften; die Füße sind durch die schweren Schuhe herausgefordert; lange Abstiege „gehen“ auf die Knie – trotz der unverzichtbaren Wanderstöcke.

Ich gehe einfach immer weiter und staune am Ende des Tages, dass ich wieder 25 Kilometer geschafft habe. Die Fotos auf meinem Handy und in meinem Kopf zeigen, dass ich zwischendurch doch die wunderschöne Gegend wahrgenommen habe. Im Nachhinein fühlt sich die Wanderung nicht an wie ein einziger Kampf; im Nachhinein sehe ich, wie Gottes Kraft greift, wenn die eigene nicht reicht.

Wandern (2)

Mein Mann und ich wandern gern zusammen. Es fällt uns leicht, uns auf ein Tempo, die Pausen und den Weg zu einigen – und darauf, wer im Zweifelsfall sagt, wo es langgeht. Wir schweigen viel und reden weniger. Manche Themen besprechen wir, mit anderen bleibt jeder allein. Ein paar Tage sind wir nur für uns zuständig und gewinnen mit der Zeit einen inneren Abstand zu aller Verantwortung, die wir sonst tragen.

Das Wandern ist eine gute Pause vom Alltag und eine ebenso gute Übung fürs Zusammenleben.

Wandern

In der letzten Woche haben wir zweimal dieselbe Strecke zurückgelegt: den West Highland Way in Schottland, knapp 160 Kilometer. Sechs Tage lang sind wir ihn von Süd nach Nord gewandert, jeweils etwa sechs bis zehn Stunden täglich. Am siebten Tag fuhren wir mit dem Bus zurück – in knapp drei Stunden.

Schöner war die Wanderung. Sie hat uns ein besseres Gefühl für die tägliche Strecke vermittelt und uns vorangebracht. Die Busfahrt dagegen schenkte uns einen super Überblick über die Gesamt-Etappe.

Mühselig haben wir uns Abstand verschafft – nicht nur räumlich, sondern innerlich auch vom Alltag. Das war wohltuend und erholsam für Knochen, Muskeln und Gedanken und dauerte seine Zeit. Ohne große Anstrengung und zügig kamen wir wieder zurück – mit dem Körper und wenig später auch mit dem Geist.

Wandern vorbei!

Schottisches Wetter

Als es nach zwei Tagen ohne Regen anfing zu nieseln, sagte mein Mann heute – fast begeistert – das sei doch wenigstens ‘echtes schottisches Wetter’. Drei Stunden später im strömenden Regen und noch immer unterwegs hatten wir beide genug von diesem Einblick in ‘echtes schottisches Wetter’. Morgen hätte ich nichts gegen die Variante ‘Scotland light’.

Ansichtssache

Mein Mann und ich starten in den West Highland Way in Schottland. Am Morgen wünscht ein Sohn per SMS viel Spaß bei der ersten Strapaze. Ich dagegen freue mich auf die erste Etappe.
Einige Stunden später: Weil ich sehr erkältet bin, muss ich auf den letzten Kilometern – noch dazu langweiliger Asphalt – beißen und denke, was für eine Strapaze. Dem Sohn schreibe ich am Abend, dass wir die erste Etappe geschafft haben … Alles Ansichtssache.

Keine Zeit

Ein Bekannter ruft an, er hat einen Schreib-Auftrag für mich. Normalerweise habe ich spontan Zeit und seine Projekte sind nicht eilig. Dieses Mal ist es anders: Ich habe spontan keine Zeit, sein Projekt ist eilig. Schlechtes Timing – wie schade!

Still

Wenn ich schweige, wird es nicht automatisch still, sondern ich „höre“ das Durcheinander in meinem Kopf. Je mehr ich mich darauf fokussiere, nichts zu denken, umso mehr (unerwünschte?) Gedanken kommen mir in den Sinn. Ich kann zwar aktiv und bewusst das Schweigen wählen, aber nicht das Nicht-Denken. Darüber kann ich mich ärgern, aber das hilft nicht weiter. Ich muss aufhören, nichts denken zu wollen – und alle Anspannung und Kontrolle aufgeben. Das geht weder von allein noch sofort und an manchen Tagen gar nicht. Erst wenn ich übe, im Schweigen ruhig zu sein, werde ich still.