Ende der Nabelschau

Heute Morgen in der Küche sinnierte ich vor mich hin: „In drei Wochen habe ich Geburtstag und werde 50.“ Meine Tochter entgegnete ohne Zögern: „In zwei Monaten habe ich Geburtstag und werde 16.“ Ich weiß nicht, womit ich gerechnet hatte, es war vieles denkbar: Anteilnahme, Erstaunen, Freude etc. Stattdessen erhielt ich eine rein sachliche Feststellung, gewürzt mit leiser Ignoranz. Wer behauptet, 50 zu werden sei in irgendeiner Weise besonders, hat wahrscheinlich kein Kind im Teenager-Alter. Diese Personengruppe hält jeden auf dem Boden der Tatsachen.

Anders

Die meisten, die 2020 einen runden Geburtstag feiern wollten, mussten und müssen noch umdisponieren. Einige meiner Freunde haben ihre Feiern – gezwungenermaßen – abgesagt oder auf das nächste Jahr verschoben. Trotzdem fallen die Geburtstage nicht aus. Die ursprünglichen Pläne sind durch die beschränkenden Maßnahmen zwar erschwert oder sogar ins Wasser gefallen. Das muss aber nicht bedeuten, dass der Tag selbst ein Reinfall wird – im Gegenteil: Die Gemeinschaft mit einigen wenigen Freunden wird dem nullenden Geburtstagskind vielleicht sogar intensiver in Erinnerung bleiben als eine große Sause mit vielen Menschen…

Handgemenge

Ein Handgemenge – welch schönes Wort! Es klingt nach viel und ist doch oft nur die freundschaftliche Auseinandersetzung zweier Brüder, unserer großen Söhne zum Beispiel. Grundsätzlich mögen sie sich gern: Sie streiten sich nicht viel und nur selten ernsthaft. Das, was sich zwischen ihnen abspielt, ist durch Gemenge gut beschrieben. Da prallen zwei Körper aufeinander, es gibt ein scheinbar (!!!) untrennbares Durcheinander. Man sieht, spürt und ahnt die Energie, die in ihnen steckt – ich würde nicht dazwischengehen. Am Ende lösen sie die temporäre Durchmischung auf und sind wieder jeder für sich heil und vollständig.

Die Handgemenge zwischen ihnen sind meist laut, oft von Gelächter begleitet und beschränken sich höchst selten auf die Hände: Krach- oder Lachgemenge wäre eine noch treffendere Bezeichnung.

Lebensgefühl 50 plus

Alle, die schon 50 sind, sagen, man gewöhne sich mit der Zeit daran – das ist ja immer so. Trotzdem ahne ich, dass es anders ist als bei den runden Geburtstagen, die ich schon erlebt habe. Ein Freund fasste es gut zusammen: Bisher habe er im Hier und Jetzt gelebt; ab jetzt gehe der Blick mehr nach vorn.

Intuitiv weiß jeder 50-Jährige, dass mehr als die Hälfte des Lebens vorbei ist. Man könnte „runter zählen“ – wenn man wüsste, wie lang genau die zweite Hälfte dauert. Wir wissen es nicht. Deswegen ist es gut, die Ignoranz der Jugend abzulegen und die Endlichkeit wahrzunehmen. Wir altern und bewegen uns in Richtung Lebensende. Unser Körper weiß es schon eine Weile – unser Geist versteht es jetzt auch langsam … 

Enttäuscht, :-)!

Ein ehemals sehr guter Freund von mir hält Enttäuschungen für positiv: Von einer falschen Vorstellung – einer Täuschung – ent-täuscht zu werden, das sei eine sehr gute Sache, meint er.

Ich brauche „pro Enttäuschung“ eine Weile, um das ähnlich zu sehen: Mir gelingt es nicht immer sofort, mich über jegliche Korrektur meiner Weltsicht zu freuen und fröhlich zur Tagesordnung überzugehen. Das mag daran liegen, dass ich mich von „meinen Wunsch-Vorstellungen“ nur ungern trenne, besonders wenn es um mich selbst geht.

Nach einem Streit bin ich enttäuscht, wenn ich nicht zuhören und verstehen wollte, nicht vergebungsbereit und um Versöhnung bemüht war. Ich weiß (wieder): Hinsichtlich „barmherzig und versöhnlich“ bin ich noch nicht so, wie ich gern wäre. Diese Erfahrung macht mich nicht fröhlich, sondern traurig. Und sie fordert mich heraus, mich zu verändern – noch habe ich Hoffnung.

Solange Ent-Täuschungen mich nicht resignieren lassen, sondern motivieren, sind sie also wirklich eine sehr gute Sache.

Bescheiden und selbstsicher

Je älter ich werde, desto vorsichtiger formuliere ich – obwohl ich zum Teil feste Überzeugungen habe. Es geht mir nicht hauptsächlich darum, nicht anzuecken. Aber ich ahne, dass es selten nur eine Tatsache gibt, nur eine Perspektive, nur eine Variante von „richtig“. Wenn mir Menschen begegnen, die jung und sehr überzeugt von sich und ihrer Meinung sind, frage ich mich: Ist diese Selbstsicherheit alters- oder typabhängig?

Ein wenig bewundere ich diejenigen, die nichts zu erschüttern scheint, die nie „Ich weiß es nicht“ sagen und immer eine Antwort oder Lösung haben. Noch beeindruckender sind für mich bescheidene Menschen: Wer eigene Fehler weder sieht noch benennt (und sich erst recht nicht entschuldigt), mag stark und fähig wirken. Wahre Größe zeigt der Mensch, der mit seinem Können nicht protzt und sich seiner Unwissenheit nicht schämt.

„Bescheidenheit ist eine Zier“, denke ich. „Doch weiter kommt man ohne ihr“, mag ebenso stimmen – nur nicht dahingehend, von anderen Menschen geachtet, wertgeschätzt und ernst genommen zu werden.

Dem Alter entsprechend

Um mich herum werden die Menschen dieses Jahr scharenweise 50, ich gehöre dazu. Wir alle wähnen uns noch nah dran an den Dreißigern, kleiden uns sportiv-jugendlich, halten uns fit – und erschrecken, wenn wir an die 50 denken: Es bleibt ein halbes Jahrhundert, ob wir uns nun dem Alter entsprechend fühlen oder nicht. Von außen werden wir als „älter“ wahrgenommen; außerdem lässt unser Körper sich nicht austricksen: „Fit wie ein Turnschuh“ gehört der Vergangenheit an. Regelmäßige Bewegung tut gut, beinhaltet aber zunehmend Übungen zur Beweglichkeit und Dehnung – Dinge, die ich noch vor zehn Jahren für selbstverständlich beziehungsweise überflüssig hielt.

Andererseits leben wir unser „Mittelalter“ sehr bewusst, legen Wert auf einen gewissen Komfort, liebäugeln mit einer ausgewogenen work-life-balance oder schielen sogar in Richtung Ruhestand. Wir haben kaum offene Wünsche und wahrscheinlich deutlich weniger Ehrgeiz als vor 20 Jahren. Wir wollen und müssen nicht mehr so viel haben, tun oder vorweisen. Das ist angenehm – und dem Alter entsprechend.

Ähnlich dem Alter entsprechend ist ein Elektro-Fahrrad – findet eine gleichaltrige Freundin von mir. Sie schätzt die Vorteile eines solchen Gefährtes: Das E-Bike trotzt dem Gegenwind genauso wie ihrem inneren Schweinehund. Es ermöglicht ihr Bewegung an der frischen Luft ohne nennenswerte Anstrengung. Verstopfte Straßen bremsen sie nicht mehr, auf kurzen Distanzen spart sie vielleicht sogar Zeit ein.

Ich bin noch nicht so weit, ich denke nicht einmal darüber nach. Für mich heißt „dem Alter entsprechend“ dann eben langsamer als früher und angestrengter. Ein E-Bike hat noch Zeit; das kann ich mir auch in einem anderen Alter noch zulegen.

Im Verborgenen

„Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden.“
2. Korinther 5, 17

Im Verborgenen passiert viel mehr, als wir sehen: Das ist bei Eisbergen ebenso wie bei einer Roggenpflanze. Die Menge an Substanz „unten der Oberfläche“ entscheidet über die Größe des sichtbaren Eisberges beziehungsweise gewährleistet die Stabilität der Pflanze. Auch von einem Menschen sehen und hören wir am Anfang nur einen kleinen Teil: die äußere Hülle und die schöne Fassade. Erst nach längerer Zeit, wenn wir öfter hingeschaut, gut zugehört und gemeinsam erlebt haben, entdecken wir eines Menschen Stärken, Schwächen, Emotionen und Prägungen – den Kern.

Genau dort spielt sich Gottes Wirken ab – im Verborgenen. Äußerlich ist es vielleicht zunächst kaum sichtbar. Aber wenn ein Mensch Gott in sein Leben einlädt, wird sich etwas verändern: Gott gibt Halt und Orientierung, reinigt die Motivation, stillt die Sehnsucht nach Annahme, schenkt Vergebung und Hoffnung. Diese Veränderungen im Innern bewirken letztlich auch einen nach außen hin wahrnehmbaren Unterschied – in Wort und Tat. Hoffentlich.

Homeschooling

„Homeschooling“ ist die einzige Alternative zu geschlossenen Schulen. Das ist eine Tatsache.

Ich bin nicht berufstätig und arbeite fast nur zu Hause. Daher hatte ich in während der letzten Wochen Zeit, unsere Kinder beim „Homeschooling“ zu unterstützen. Außerdem strukturierten wir die Tage so, dass es Raum und Ruhe gab fürs Lernen und die Schulaufgaben. Schließlich zeigten die Lehrer sich sehr flexibel und gaben sich Mühe beim ungewohnten Online-Unterrichten. Sie stellten Aufgaben, führten so gut es ging neue Themen ein, standen für Videokonferenzen zur Verfügung und schrieben immer wieder: „Fragt nach!“

Das waren und sind tolle Rahmenbedingungen, keine Frage. Trotzdem kann man diese nicht automatisch als funktionierendes „Homeschooling“ bezeichnen. Einen adäquaten Ersatz für Schule gibt es nicht einfach so und erst recht nicht über Wochen oder gar Monate. Zeit, engagierte und bildungsinteressierte Eltern und Lehrer sowie funktionierende digitale Informationswege sind großartig – aber eben nicht dasselbe wie ein präsenter Lehrer in einem echten Klassenraum mit einer bunten Schar von Mitschülern: Die meisten Kinder, die an Schule gewöhnt sind, lernen dort viel besser und viel mehr. Das ist auch eine Tatsache.

(Und das gilt eben nicht nur für Familien, in denen die Eltern „Homeschooling“ noch mit „Home office“ in Einklang bringen müssen oder aus anderen Gründen die Rahmenbedingungen nicht ganz so toll sind.)