Fragen und Antworten

„Mama, du antwortest oft so ausführlich, dass ich mir genau überlege, ob ich die Frage überhaupt stellen will“, findet eine unserer Töchter, „Papa dagegen sagt manchmal nur das Allernötigste.“

Nun bieten wir schon zwei Antwort-Varianten, aber den Kindern gefällt weder die eine noch die andere. Immerhin wissen sie, dass sie alles fragen können.

Praktisch?

„Macht ihr heute Abend was zusammen, deine Freunde und du?“, frage ich meinen Sohn. „Ich weiß es noch nicht“, lautet die Antwort. „Wann weißt du das?“, versuche ich es weiter. „Das weiß ich auch noch nicht“, sagt er und grinst. „Mama, es ist nicht so einfach mit meinen Leuten. Das läuft alles ganz spontan.“

Ich habe eher den Eindruck, da läuft manchmal gar nichts vor lauter Spontaneität und „last minute“-Verhalten. Es könnte mir egal sein; es ist schließlich auch in Ordnung, nichts zu unternehmen. Trotzdem ist mir dieses Miteinander heutzutage ein Rätsel. Wahrscheinlich habe ich zu wenig Einblick, wie das mit den verschiedenen WhatsApp-Gruppen funktioniert, wer initiiert, wer reagiert, und wie es dann letztlich zu einer Entscheidung kommt. „Treffen wir uns?“, ist ein komplizierter Vorgang geworden, der tendenziell viel Zeit kostet. Dabei sollen die sozialen Medien doch letztlich praktisch sein und eine große Zeitersparnis. Sie bieten schließlich diverse Möglichkeiten, miteinander in Kontakt zu treten.

Aber vielleicht ist „praktisch“ gar nicht das, was heutzutage zählt. Vielleicht ist „praktisch“ die Denke einer Frau aus dem letzten Jahrhundert. Bei der Wahl der Kommunikationsmittel scheint es nicht um den Nutzen zu gehen, sondern um das Benutzen.

Gleich

Für mich beinhaltet das Wort „gleich“, dass ich etwas „ziemlich bald“ erledigen werde. Das mag abstrakt klingen, ist für mich aber sehr konkret. Schon „in zwei Stunden“ fällt für mich nicht mehr unter „gleich“ und morgen erst recht nicht.

Bei kleinen Kindern dauert „gleich“ manchmal länger als bei mir. Sie vergessen sich – und dann ist „gleich“ schon vorbei. Sie machen das nicht absichtlich, es passiert einfach – und ein wenig habe ich meine eigenen Kinder manchmal beneidet um dieses Absorbiertsein im Spiel, um diese Gedankenlosigkeit, um diesen Fokus auf ihr Tun: All das hatte der Unterbrechung durch mich außerordentlich viel Widerstand entgegenzuhalten – ohne dass sie sich dessen auch nur bewusst waren. Ihr Ziel war es nicht, mich zu ärgern, zu ignorieren oder sonstwas. Sie ließen sich nur nicht wirklich herausreißen aus ihrem Tun, wollten aber auf mich reagieren und wahrscheinlich auch „gleich“ kommen.

Teenager sind ein anderer Schnack. Sie verstehen „gleich“ anders. Für sie ist „gleich“ ein sehr dehnbarer Begriff. Sie müssen nicht unbedingt besonders fokussiert bei einer Sache sein, um mütterliche Aufforderungen zu ignorieren. „Gleich“ wird von ihnen eher als Hinhaltetaktik benutzt. „Gleich“ kaschiert eine gewisse Verweigerungshaltung, die Jugendliche gern zu Hause einnehmen. Dahinter steht: „Ich will eigentlich nicht das Bad putzen/den Ranzen auf mein Zimmer bringen/den Tisch decken/Vokabeln lernen …“ Um den offenen Konflikt zu vermeiden, gibt es verschiedene Strategien. „Gleich“ ist eine davon. Sie ist gar nicht böse gemeint, bringt mich aber trotzdem manchmal auf die Palme.

Latent

„latent (lat.): vorhanden, aber noch nicht in Erscheinung tretend“

In unserer „Arbeitsjacken-und-extra-Schuhe-Rumpelkammer“ müffelt es latent nach Pferd.

Die Füße von Heranwachsenden riechen latent nach Schweiß.

Anrufe von Vertretern oder gebrochen Englisch sprechenden Bürgern, die mir ihre Hilfe in Computerfragen anbieten wollen, machen mich latent wütend.

In unserem Kindercomputer-Mamas-Arbeitszimmer-Raum herrscht meist ein latentes Chaos.

Unser Garten ist latent unordentlich.

Bisweilen ist mir mein eigenes Reflektieren latent zu viel.

Alles nur latent …

Kontrollverlust

Ein Ehe-Seminar. Es ist schön, fordert uns heraus, spricht uns an. Wir merken, dass es uns ins Gespräch bringt und auch langfristig gut tun wird. Eine Veranstaltung ist jedoch so gar nicht nach unserem Geschmack, denn: wir können mit (für uns) künstlich erzeugter Feierlichkeit nichts anfangen. Die dem Augenblick innewohnende Symbolik bleibt uns verschlossen. Schlimmer noch: Anstelle von Festlichkeit spüren wir eine unaufhaltsame Belustigung. Lachen ist selbstredend völlig unangebracht, wenn die anderen Teilnehmer ernsthaft, würdevoll und vor allem still agieren und gegenseitige Versprechen erneuern. Was tun? Rausgehen kommt nicht in Frage, lachen ebenso wenig. Sobald wir uns aber anschauen, drängt sich ein Kichern in unsere Kehlen, ein Lächeln in unser Gesicht. Dieses zurückzudrängen wird immer schwieriger, irgendwann schüttelt´s meinen ganzen Körper. Das – unterdrückte, aber doch für mich deutlich – vernehmbare Gekicher meines Mannes sowie ein unvorsichtiger Blick in sein von mühsamer Beherrschung gezeichnete Gesicht inklusive zusammengekniffener Augen machen es nicht besser. Wir fiebern dem Ende entgegen und verschwinden eilig in unserem Zimmer.

Was war das? Warum konnten wir nicht wenigstens nur teilnahmslos daneben sitzen? Ich fühlte mich so unhöflich und ignorant und wollte auf keinen Fall entdeckt werden – wie peinlich! Wie unangebracht! Aber obwohl ich ein (diesbezüglich) wohlerzogener Mensch bin und auch sensibel, was die Gefühle anderer angeht: Ich konnte mich nicht wehren gegen diese Erheiterung, ich war ihr wehrlos ausgeliefert. Mein Mann ebenso. Die Nähe, die wir dabei zueinander empfunden haben, war ein ausgesprochen schöner Nebeneffekt eines ansonsten völlig unangemessenen Kontrollverlustes…

Ein Ausflug

Ich fahre übers Wochenende aus der Kleinstadt nach Berlin. Ich tauche ein in ein anderes Lebenstempo, in ein anderes Kulturangebot, andere Gestaltungsmöglichkeiten für Freizeit, einen anderen Lebensrhythmus. Reize kommen ungefragt und in Fülle, Tag und Nacht verlieren ihre Grenzen. Es ist schön, aber auch anstrengend. Ich halte es nicht nur aus, ich bin voll dabei und begeistert – am Ende des Wochenendes aber auch müde und in gewisser Weise froh, wieder einzutauchen in das, was ich kenne. Was meinen Alltag ausmacht. Ich habe den Eindruck, für das Leben in der Großstadt verdorben zu sein: Es überfordert mich, ich kann es nur dosiert genießen.

Ich bin …

In verschiedenen Zusammenhängen rede ich von mir selbst als die Mutter von …, die Frau von …, die Nachbarin von …, die Freundin von …. Dazu kommt noch: Ich glaube an, ich bin überzeugt von … Alle meine Bezugspersonen sind mir angenehm, eine positive Referenz: Meine Kinder, mein Mann, meine Geschwister und so weiter. Es wird auch (noch) wohlwollend gesehen, wenn Menschen an etwas glauben oder im jeweiligen Umfeld akzeptierte Überzeugungen vertreten. Was aber, wenn mir Bezugspersonen oder meine Überzeugungen unangenehm oder peinlich sind? Erwähne ich sie dann auch?

Wenn nicht: Ich bin Dagmar, eine mittelalte Frau in Deutschland. Ich arbeite zu Hause, gehe gern laufen, schreibe alles mögliche auf, brauche normal viel Schlaf, liebe die englische Sprache, bin eher extrovertiert usw.

Ohne Bezüge bin ich ein nicht besonders klar definierter Mensch. Erst die Gemeinschaft mit anderen macht mich zu der, die ich bin – ob ich es will oder nicht. Erst die Nähe oder Distanz zu anderen Menschen und vor allem Meinungen, Ansichten, Überzeugungen ermöglicht ein eindeutigeres Bild von mir.

Ein Freund

„Ein Freund, ein guter Freund – das ist das schönste, was es gibt auf der Welt.“

Es gibt alte und neue Freunde, es gibt engere und weniger enge Freunde, es gibt welche für bestimmte Unternehmungen und solche für andere Interessen. Der Freund, von dem in dem eingangs zitierten Lied die Rede ist, das ist ein besonderer Freund. Davon gibt es nicht viele im Leben eines Menschen. Behaupte ich. Ich habe einen solchen und bin dankbar dafür. Er vermittelt mir das Gefühl, etwas Besonderes zu sein – ein gern gesehener Gast, ein inspirierender Gesprächspartner, ein wertvoller Mensch, um den man sich bemüht und dem man etwas Gutes tun möchte. Auch wenn es immer heißt, Freunde müssen sich die Wahrheit sagen, dürfen einander korrigieren und herausfordern: Manchmal finde ich es einfach nur schön, einen Freund zu haben, der mich mag, mir etwas Gutes tut, mich versteht und gern mit mir zusammen ist.

Gemüse

Bei uns gibt es häufig Gemüse und selten Fleisch. Meine großen Söhne fänden es andersherum noch besser. Wir machen uns manchmal einen verbalen Scherz daraus, wie gesund wir uns ernähren, wie viel leckerer (und nur vielleicht ungesünder) es mit viel mehr Fleisch wäre. Gestern fragte einer von der Schule aus, was es zum Mittagessen gäbe. Die Antwort: „Viel Gemüse mit Reis, kein Fleisch – von allem viel.“ Als sie nach Hause kamen, brachten sie zwei Tüten mit. (Es sind Osterwochen bei MacDonalds, ein BigMac kostet anstelle von vier nur einen Euro.) Jeder hatte drei BigMac dabei. Ginge es um Fußball, würde man sagen: „Sie haben die Antwort auf dem Platz gegeben.“

Gewohnheiten, Traditionen, Rituale

Es gibt gute Gewohnheiten, über die wir nicht mehr nachdenken müssen: ein Segen vor dem Verlassen des Hauses, ein Gebet am Essenstisch, ein Gute-Nacht-Kuss. Manchmal hilft eine gewisse Regelmäßigkeit auch über Zeiten hinweg, in denen wir uns lieber der Null-Bock-Einstellung hingeben würden: Einmal die Woche das Bad putzen, tägliches Zähneputzen, Sport machen.

Traditionen können Halt sein und zu schönen Erinnerungen werden: Gummibären auf dem Geburtstagstisch, anstelle des Geburtstagskuchens ein Eis, jedes Jahr ein frei wählbares Essen am Heiligabend, ein Neujahrsspaziergang (Länge variierbar).

Wann wird die schöne Tradition, das hilfreiche Ritual zur sinnentleerten Hülse? Gute Frage. Die Grenze ist schwer auszumachen. Es ist nicht immer hilfreich, alles zu hinterfragen; aber wenn mir eine Tradition nichts mehr bedeutet oder mich sogar nervt, anstrengt, mir zuwider ist – lasse ich sie dann sein?

Ich selbst bin mit schönen Traditionen aufgewachsen, aber auch mit solchen, die zu Zwängen wurden. Daher ist es wichtig für mich, Dinge nicht allein deshalb zu tun, weil sie immer so waren. Ich koche keine deutschen Klassiker, wenn sie mir nicht schmecken; bei uns gibt’s Heiligabend nicht Kartoffelsalat mit Würstchen oder Bratwürstchen mit Sauerkraut; zu meinem Geburtstag kommen nicht automatisch immer dieselben Leute – und manchmal feiere ich gar nicht. Jegliches Starre ist mir ein Gräuel. Andererseits mag ich es ebensowenig, wenn Altes nicht bewahrt wird, nur um „mit der Zeit zu gehen“. Es ist nicht schlecht, alte Kirchenlieder zu singen – deren Texte sind oft beeindruckend gehaltvoll. Auch mag ich es, Bücher in Papierform zu lesen und die neuen Kommunikationswege selbstbestimmt zu wählen – oder eben nicht. Ich trage eine Uhr am Handgelenk, besitze und benutze sowohl Fotoapparat als auch Telefon sowie einen Küchenkalender und wehre mich dagegen, dass mein Smartphone alles das für mich sein könnte. Da bin ich total starr und altmodisch.