Wenn die Worte fehlen

Ich war vor Jahren bei einer Beerdigung. Trauerfeier, Bestattung, hinterher noch in ein Lokal zum Kaffeetrinken. Die Gäste kannten sich größtenteils untereinander und hatten sich lange nicht gesehen. In den Gesprächen ging es um den Austausch von Informationen über einander: „Wie geht es dir, was machst du so, wie geht es den Kindern?“ Der Anlass unseres Zusammenseins rückte in den Hintergrund und so auch die Person, um die wir trauerten.

Ich war damals eine der Jüngeren, eher eine Randfigur, aber etwas fiel mir auf: Durch den Tod war eine Lücke entstanden. Diese Lücke war voll mit Worten über uns, nicht über den Toten. Das fand ich schade. Nach ein wenig Überwindung stand ich auf und erzählte von ihm. Wie ich ihn erlebt und was ich an ihm geschätzt hatte und welche Besonderheit mich immer an ihn erinnern würde. Meine „Rede“ unterbrach den Gesprächsfluss – kurz. Danach ging das Miteinander weiter; aber einige sagten: „Danke für deine Worte; die Erinnerung tat gut.“

Wenn anderen die Worte fehlen, möchte ich mich trauen: Der Tod reißt eine Lücke; er darf nicht auch noch die Erinnerung nehmen.

Leere Worte

Was man sagt und was man vermittelt, ist nicht immer identisch. Worte transportieren zwar Informationen, aber diese müssen mit dem Tun im Einklang sein – sonst klingen sie hohl und sollten besser ungesagt bleiben. Zum x-ten Mal zu hören „Es tut mir leid“ bleibt solange unglaubwürdig, wie sich am Verhalten nichts ändert. „Ich helfe dir!“ braucht die Tat. „Ich habe dich lieb“ stimmt nur, solange man ansonsten nicht nach Strich und Faden hintergangen, angelogen oder beschimpft wird. Ganz abgesehen davon, dass man ´lieb haben` auch fühlen muss.

Worte – geschrieben oder gesprochen

Ich kann Geschriebenes besser behalten, das war schon immer so. Wenn ich lernen musste, dann reichte mündlich nicht – in der Schule, im Studium; und auch heute bleiben Gedanken besser hängen, die ich mir aufschreibe. Die anderen verschwinden schnell im Hintergrund meines Gedächtnisses, sind oft nicht mehr so leicht abrufbar. Und: Ich bekomme lieber einen Brief als einen Telefonanruf, bin selbst schriftlich besser sortiert als mündlich.

Andererseits gehen gesprochene Worte tiefer, jedenfalls bei mir. Sie können sehr aufbauen (oder sehr verletzen). Je älter ich werde, umso mehr bleiben sie hängen: Ich weiß noch genau, wie unser Ältester vor drei Jahren zu mir kam. Ich saß weinend auf dem Sofa, weil ein mir lieber Mensch nahe am Sterben war: „Mama, lass Gott einfach machen“, hat er damals gesagt – und diese Weisheit eines 14-Jährigen hat mich unglaublich getröstet und mir wirklich geholfen, meine Sorge loszulassen.

Im Schriftlichen sind es Zusammenhänge und Gedankengänge, die klar werden und mich prägen. Im Mündlichen sind es einzelne Sätze, die treffen. Ich brauche beides.