Fragile Leichtigkeit

Ich starte mit allerlei guten Vorsätzen in die neue Arbeitswoche:
zuversichtliche Entschlossenheit, mein Bestes zu geben,
grundsätzliche Offenheit den Menschen gegenüber, mit denen ich es zu tun haben werde,
kreative Ideen für die Aufgaben, die vor mir liegen – ob ich sie schon kenne oder nicht.
Ich fühle mich so, als wäre in den nächsten Tagen buchstäblich alles möglich – und ich würde den Grundstein legen für eine großartige Zukunft.

Die ersten beiden Stunden geht alles gut: Ich bin fleißig, freundlich und einfallsreich. Dann ergibt sich ein unerquickliches Gespräch; ich bin teilweise Zeuge, teilweise selbst involviert. Viele meiner Vorschläge werden diskutiert, kritisiert und als eher ungeeignet bewertet – ohne konstruktive Alternative. 

Anschließend fällt es mir schwer, wieder in Gang zu kommen: Die schwungvolle Leichtigkeit des Morgens hat einen erheblichen Dämpfer erfahren; ich fühle mich ausgebremst. Ich hoffe, der Nachmittag reicht aus, mich für die nächsten Tage wieder neu zu motivieren – so, als wäre buchstäblich alles möglich. 

Wortreich

Die Inhaberin eines Geschäftes bedient mich und macht dabei viele Worte: wie viel Wert sie auf gute Qualität lege, welche Leistungen sie bald zusätzlich im Angebot habe und was bei ihr dann noch alles möglich sein werde. „Guter Service ist mir sehr wichtig“, sagt sie zum Abschluss.

Die Frau hat mich gut bedient, ja, und war betont freundlich. Trotzdem bin ich in dem Laden nicht so gern: Mir sind die Menschen lieber, die guten Service anbieten, ohne darüber zu reden.  

Inhalt und Verpackung

Auf den Inhalt kommt es an, heißt es, aber in Meinungsverschiedenheiten ist die Verpackung mindestens genauso wichtig. Ich kann noch so gute Argumente haben und genau wissen, wie es besser geht: Wenn ich möchte, dass jemand mir wirklich zuhört, muss ich mich um ein gutes Drumherum bemühen. Freundlich, wertschätzend und respektvoll sollte ich meinem Gesprächs-Partner begegnen, bestenfalls mit einem demütigen Herzen. Sonst werde ich mit meinen tollen Argumenten keinen konstruktiven Dialog anstoßen, sondern einen Schlagabtausch anzetteln.

„Wer unvorsichtig herausfährt mit Worten, sticht wie ein Schwert; aber die Zunge der Weisen bringt Heilung.“
Sprüche 12, 18

Schöne Worte!

Ich bin schlapp; so etwas lässt sich manchmal nicht schönreden. Oder doch? Aus dem Mund meines Sohnes klingt meine Schwäche fast wie ein Kompliment: „Mama, du bist auf dem Energielevel eines Wildunfalls.“

Die Macht der Worte

„Warum kreischen Sie denn herum wie eine Krähe?“, fragt mich der Mann am Telefon. Mir fallen einige Antworten ein: „Erstens kreische ich nicht – ich rede etwas lauter als sonst, und das tut mir leid. Zweitens bin ich nun mal überhaupt kein Glücksspiel-Teilnehmer. Und drittens habe ich das schon mehreren Ihrer Kollegen gesagt – in diversen kurzen Telefonaten: Mir wurde wiederholt zugesichert, man würde mich aus dem System nehmen.“ Nichts davon sage ich und lege auf. Das ist unhöflich, ich weiß. Aber ich rechne nicht mehr damit, dass MEINE Meinung in dieser Frage eine Rolle spielt. Zu oft schon hatte ich mein Desinteresse (freundlich und wortreich) bekundet – und einige Wochen später einen weiteren Anruf erhalten.

Derartige Gespräche ärgern mich, meine eigene Reaktion ebenfalls. Ich habe sicher nicht gekreischt wie eine Krähe; aber ich bin wohl etwas lauter geworden. Erzählt mir ein Anrufer von einem „Glücksspiel“, denke ich sofort: „Nicht schon wieder“, und, „das kann doch nicht wahr sein.“ Denn ich habe alles probiert: geduldig zuhören und mich freundlich erklären; sachlich verkünden, dass ich kein Interesse habe – gern auch mehrmals; ohne Erklärung direkt auflegen. Es führt wahrscheinlich ebensowenig zum Erfolg, etwas lauter zu werden. Das Thema ist geeignet, mich zu frustrieren; der heutige Vergleich mit einer kreischenden Krähe macht mich zusätzlich wütend.

Ein ähnlich gelagertes Telefongespräch fällt mir ein. Es ist lange her, damals hatten wir vier kleine Kinder. Der Anrufer fragte, ob ich mit regelmäßigen finanziellen Zuwendungen ein Projekt für Kinder unterstützen würde. Ich lehnte ab – derartige Dinge bespreche ich nicht am Telefon. „Sie haben wohl nichts für Kinder übrig, was?“, schloss daraufhin mein Gesprächspartner. Auch damals legte ich auf, ohne noch etwas zu sagen. Aber ich war wütend – und das ließ sich nicht ebenso leicht beenden wie das Telefonat.

Es erschreckt mich immer wieder, welche Macht die Worte Unbekannter über mein Befinden haben.

Etwas von mir

Geschriebene Worte begeistern mich. Sie sprechen neben meinem Verstand auch meine Seele an. Der Inhalt ist wichtig, aber er ist nur ein Bestandteil des Gesamtpaketes. Unbedingt dazu gehört auch, wie verständlich und sinnvoll strukturiert der Schreiber ein Thema angeht. Ein weiteres Extra entsteht durch Humor oder dadurch, dass Worte mich ermutigen oder zum Nachdenken anregen. Die Sahnehaube auf allem „schmecke“ ich, wenn der Autor selbst zwischen den Zeilen sichtbar wird. Und genau das macht aus geschriebenen Worten einen Text, über den ich denke: „So möchte ich auch schreiben können!“ Vielleicht ist ein bisschen Neid im Spiel, vor allem aber eine große Begeisterung für die Kraft und Fähigkeit von Worten, Menschen wirklich zu berühren. Weil ich weiß, was das Lesen solcher Texte in mir auslösen kann, bemühe ich mich beim Schreiben – um einen interessanten Inhalt, Klarheit, ein gewisses Extra und etwas von mir.

Meine Hoffnung

Die Bibel ist nicht langweilig und keine leichte Lektüre, wie Eugene H. Peterson sagt: „Worte sind nicht nur Worte – sie transportieren Geist, Bedeutung, Energie und Wahrheit.“ (Eat this Book, E.H. Peterson) Wenn ich mich ihr aussetze und Gottes Geist Raum gebe – vorbehaltlos -, werden meine Worte das hin und wieder auch tun.

Sprachlos, aber verständlich

Vor Jahren besuchte ich einen todkranken Menschen im Krankenhaus. Im Vorfeld hatte ich mir die Zeit für Anfahrt und Begegnung freigeschaufelt. Als ich endlich dort war – fehlten mir die Worte. Was bespricht man mit jemandem, der dem Tod ins Auge sieht? Für „wird schon wieder“ war die Lage zu ernst; einem Lebewohl stand die klitzekleine Hoffnung auf Heilung entgegen. Es war schwierig für uns beide; mit seiner Sprachlosigkeit hatte ich gerechnet, auf meine eigene war ich nicht vorbereitet. Als der Mensch in mir schwieg – „flüchtete“ ich mich ins Gebet und wurde beschenkt: mit Worten und Nähe zu Gott und dem Kranken. Wir spürten, dass Gott hört und versteht.

Regelmäßig treffe ich mich zum Gebet mit einer Freundin. Bei unseren Treffen geht es nicht um Fürbitte, es geht uns um Jesus selbst. Wir wollen ihn anbeten und seiner Gegenwart Raum geben in uns. Es läuft nicht immer gleich. Vor ein paar Tagen mitten in diesem Gebet – fehlten mir die Worte. Was sagt mein Verstand im Angesicht eines Gottes, der allmächtig, allwissend, allgegenwärtig ist, sich nahbar gemacht hat durch die Menschwerdung seines Sohnes und trotzdem ein großes Geheimnis bleibt? Als mein Mund schwieg – „redete“ mein Herz. Wir spürten, dass Gott hört und versteht.

Dynamik

Ohne Gespräch sind Beziehungen schwierig bis unmöglich; aber manchmal entwickeln Worte eine ungeplante Dynamik.

Der Ton macht die Musik, sagt man, und es stimmt: Es geht laut, leise, genervt, gelangweilt, begeistert, mitreißend, wütend, entspannt, verständnis- oder auch vorwurfsvoll … Auch der Zeitpunkt ist nicht unerheblich: Kurz vor dem Schlafengehen oder zwischen Tür und Angel sind nicht die günstigsten Gelegenheiten für schwierige Themen. Zudem gibt es noch einen feinen Unterschied zwischen gesagt und gemeint: „Ich mag nicht kochen“, kann heißen „Ich würde mich freuen, wenn du kochst!“ Wird es aber nicht so verstanden, ist nur einer glücklich. Last but not least: Nicht jedes wahre Wort muss raus. Alte Kamellen auszubuddeln, wenn man gerade kontrovers diskutiert, ist selten eine gute Idee.

Eine weitere überraschende Stolperfalle für die an sich unschuldige Kommunikation sind persönlichkeitsbedingte Grenzen der Kompatibilität. Ich erzähle – und habe ein Ziel: Ich will informieren, suche nach Rat oder möchte verstanden werden. Mein Gegenüber hört zu – und hat auch ein Ziel: Es will informiert werden, mir helfen, einen Rat oder eine eigene Geschichte loswerden. Nicht immer passen beide Ziele zueinander, und leider bin ich in solchen Dingen ziemlich unflexibel. Nehmen wir mal an, ich will gehört und verstanden werden. Nehmen wir weiter an, ich werde gehört und nicht verstanden, mein Gegenüber hat aber einen – aus seiner Sicht – guten Rat. Dann ist meine Reaktion bisweilen ein unwilliges „Will ich gar nicht hören, lass mich in Ruhe“. Die Gesprächsscherben wieder aufzusammeln, kann eine mühselige und zeitraubende Arbeit sein. Das schafft keiner allein. Ohne Beziehung ist Gespräch dann schwierig bis unmöglich. Aber manchmal entwickeln Beziehungen ja auch eine ungeplante Dynamik – und funktionieren phasenweise nonverbal. Nicht immer, aber ab und zu kann man dann nochmal neu anfangen mit dem Reden. Welch ein Glück!

Wenn die Worte fehlen

Ich war vor Jahren bei einer Beerdigung. Trauerfeier, Bestattung, hinterher noch in ein Lokal zum Kaffeetrinken. Die Gäste kannten sich größtenteils untereinander und hatten sich lange nicht gesehen. In den Gesprächen ging es um den Austausch von Informationen über einander: „Wie geht es dir, was machst du so, wie geht es den Kindern?“ Der Anlass unseres Zusammenseins rückte in den Hintergrund und so auch die Person, um die wir trauerten.

Ich war damals eine der Jüngeren, eher eine Randfigur, aber etwas fiel mir auf: Durch den Tod war eine Lücke entstanden. Diese Lücke war voll mit Worten über uns, nicht über den Toten. Das fand ich schade. Nach ein wenig Überwindung stand ich auf und erzählte von ihm. Wie ich ihn erlebt und was ich an ihm geschätzt hatte und welche Besonderheit mich immer an ihn erinnern würde. Meine „Rede“ unterbrach den Gesprächsfluss – kurz. Danach ging das Miteinander weiter; aber einige sagten: „Danke für deine Worte; die Erinnerung tat gut.“

Wenn anderen die Worte fehlen, möchte ich mich trauen: Der Tod reißt eine Lücke; er darf nicht auch noch die Erinnerung nehmen.