Mit ohne Schiedsrichter

Ich komme mir manchmal vor wie ein Schiedsrichter: Wenn zwei Kinder sich streiten, möchte ich am liebsten eingreifen – und (sozusagen) von der Seitenlinie aus schlichten. Dabei funktioniert das höchst selten.

Erstens kenne ich die Vorgeschichte nicht: die Sticheleien, den Ärger, das nervige Verhalten des einen oder anderen. Was sich im Streit selbst offenbart, ist nur die Spitze des Eisbergs – sozusagen das überlaufende Fass. Von den vielen Tropfen vorher habe ich als Mutter oft keine Ahnung.

Zweitens bin ich voreingenommen. Meist tut mir derjenige leid, der im konkreten Streit gerade zu unterliegen scheint oder (scheinbar?) unfair angegangen wird. Und schon neige ich dazu, eher parteiisch zu bewerten, was gerade passiert, als möglichst neutral die Gesamtsituation zu betrachten.

Und drittens: Im Moment des Streitens ist ein Mittler fast nie erwünscht. Versuche ich es doch, gerate ich leicht zwischen die Fronten. Für Höflichkeit ist mitten im Streit kaum Raum und Zeit; stattdessen wird scharf geschossen. Wenn ich also schlichten will, muss ich die Schusslinie meiden und warten, bis sich die Gemüter wieder beruhigt haben. Ganz oft erledigt sich die ganze Angelegenheit dann von selbst: Unsere Kinder vertragen sich schneller wieder, als ICH es angesichts des vorangegangenen verbalen Schlagabtauschs für möglich gehalten hätte – ganz ohne Schiedsrichter.

Verschieden

„Das sind zwei verschiedene Sachen, über die wir reden“, sagt mein Mann. Wenn wir zum Beispiel streiten, vermische ich gern zwei Dinge: die Meinungsverschiedenheit selbst und unseren bisweilen sehr unterschiedlichen Umgang damit. Ich werde emotional; mein Mann dagegen bleibt (stur) bei der Sache – und bringt mich damit vollkommen unabsichtlich zusätzlich in Rage.

Einzige Lösung: Ich bemühe mich um mehr Sachlichkeit, mein Mann um mehr Empathie – im Eifer des Gefechts mit mäßigem Erfolg. Alte Muster sind schwer zu durchbrechen, aber wir arbeiten daran.

Ein Streit und was bleibt

Kürzlich hatte meine Tochter in der Schule Streit mit zwei Freundinnen, klassisch: zwei gegen eine. Gleich danach konnte sie ihrer Schwester den ersten Kummer schildern. In der folgenden Unterrichtsstunde fragte eine einfühlsame Lehrerin nach, nahm sie beiseite und tröstete sie.

Was bleibt?

Meine Tochter hat einen Streit und vielleicht sogar zwei Freundinnen `verloren´. Dafür hat sie erlebt, dass (manchmal) die Schüler-Lehrer-Beziehung wichtiger ist als der Unterricht.

Die Lehrerin hat zehn Minuten ihrer Unterrichtszeit `verloren´. Dafür hat sie zugelassen, dass (manchmal) die Lehrer-Schüler-Beziehung wichtiger ist als der Unterricht.

Nicht meine Weisheit

„Die Weisheit aber von oben her ist zuerst lauter, dann friedfertig, gütig, lässt sich etwas sagen, ist reich an Barmherzigkeit und guten Früchten, unparteiisch, ohne Heuchelei.“
Jakobus 3, 18

Unparteiisch kann ich nicht. Das ist schade, aber es ist die Wahrheit. Bekannte von mir streiten sich – sehr unschön. Aus meiner Sicht ist ziemlich klar, wer von beiden sich dabei fair verhält und wer nicht. Ich halte das nur schwer aus; es macht mich wütend – obwohl ich selbst gar nicht betroffen bin. „Urteile nie über einen anderen, bevor du nicht einen Mond lang in seinen Mokassins gelaufen bist“, heißt es bei den Indianern in Nordamerika. Das fällt mir schwer. Dabei stimmt es: Es gibt immer mehrere Sichtweisen; Schuld ist nie eindimensional und leicht zu benennen.

Vielleicht liegt es daran, dass mein Denken nicht zu trennen ist von meinen Emotionen:
Ich weiß im Kopf: Es gibt nicht nur eine Realität, jeder hat Gründe für sein Verhalten. Es gibt selten nur schwarz-weiß.
Ich spüre im Bauch: Da wird jemand verletzt, und das macht mich wütend.
Aber fast nie hat nur einer Schuld an einem Streit.

Ich sollte gütig sein, mir etwas sagen lassen (beiden zuhören), unparteiisch und barmherzig vermitteln und den Frieden suchen. Leider bin ich weit entfernt von dieser „Weisheit von oben“. Ich muss sie mir von Gott schenken lassen.

Aus heiter`m Himmel

Es sind Sommerferien, Grund zur Freude für die Schüler in der Familie – und auch für die Eltern. Die Stimmung könnte besser nicht sein? Naja. Den ganzen Vormittag schon flackern kleine Streit-Feuer auf: Die Mädchen streiten, ein Sohn schimpft lautstark über seine häuslichen Pflichten, eine Tochter schmollt, weil die Kaninchen nicht vorn im Garten fressen und ihr Köttel platzieren dürfen… Unterschwellig gärt etwas, es lässt sich nicht greifen.

Dann essen wir zusammen Mittag, und da passiert`s: Eine stichelnde Bemerkung bringt die jüngere Tochter zum Weinen, und schon sind alle Kinder in lautstarke Diskussionen verwickelt. „Ich hab` doch gar nichts Verletzendes gesagt.“ „Jetzt mach` mal nicht so ´ne Welle.“ „Hör doch einfach auf, du siehst doch, wie sie reagiert.“ „Du hältst dich auch für die große Schlichterin.“ Zwischendrin der Jüngste, der Partei ergreift – und sofort auch Druck vom anderen Lager bekommt.

Mich erwischen derartige Streits irgendwie eiskalt, aus heiter`m Himmel eben. Ich rechne nicht damit und empfinde sie in ihrer Stärke als unangemessen, aggressiv und nicht nachvollziehbar. Ein lautes Eingreifen vom Familienoberhaupt macht dem Spuk ein Ende; der Rest der Mahlzeit verläuft in Stille. Die Kinder gehen hoch, wir bleiben kopfschüttelnd zurück und fragen uns, was das war. Für einen Ferienkoller ist es noch zu früh.

Minuten später hören wir Kichern von oben. Es ist vorbei. Aus heiter`m Himmel angefangen hat es ebenso unverhofft wieder aufgehört – normales Familienmiteinander.

Solche Tage

Es gibt solche und solche Tage. Die einen sind gut oder besser – zufriedenstellend ermüdend, ausgefüllt, durchzogen von Teil-Erfolgen und Gelächter. Idealerweise: Wir streiten kaum, ich schaffe, was ich mir vornehme, und habe Zeiten der Muße.

Andere Tage fangen normal an und dann kommt sie, die Herausforderung. Verkleidet als überraschende Erkrankung (besonders unangenehm: Magen-Darm-Geschichten), ein Anruf aus der Schule („Ihr Kind hat eine Platzwunde!“), die Waschmaschine pumpt nicht ab, Genervtheit aufgrund von Schlafmangel, Streit mit meinem Liebsten oder ähnliches. Ich stolpere dann so dahin, der Tag gewinnt eine Eigendynamik, die ich nicht kontrollieren kann. Wenn ich abends ins Bett gehe, bleibt ein Rest von „nicht erledigt“ und „fremdbestimmt“. „Huch, was war das?“, ist dann der letzte Gedanke – berechtigt zuversichtlich, dass es morgen besser läuft.

Und dann sind da noch diejenigen Tage, an denen ich selbst zu nichts Lust habe, das Miteinander in der Familie durchzogen ist von Streit und Lärm, ich von einem Kind angelogen werde (und gleich meine gesamte Erziehungsfähigkeit in Frage stelle), das gute nachbarschaftliche Verhältnis durch eine blöde Meinungsverschiedenheit belastet wird, eine volle Ölflasche in der Küche auf dem Boden zerschellt, ich durchs Telefon von der ernsten Erkrankung eines lieben Menschen erfahre, das Auto nicht durch den TÜV kommt, ich mir beim Essenkochen böse in den Finger schneide oder mich beim Bügeln verbrenne …

Meist passiert nicht alles auf einmal, ich weiß. Aber einiges davon geschieht gern mal innerhalb kurzer Zeit. Solche Tage gibt es eben auch. Solche Tage sind eben auch meine Lebenszeit. Sie schmecken mir nicht, sie müssen einfach ertragen werden.