Eine Stimme haben

Ein Redner auf einer Demonstration spricht klare und kluge Worte. Ich bewundere das; ich hätte auch gern eine Stimme, die Gewicht hat und gehört wird. Aber ich kann nicht auf Demonstrationen vor vielen Menschen reden, stattdessen gehe ich regelmäßig allein durch unsere Innenstadt. Dabei bete ich für Versöhnung der verschiedenen Gruppierungen, die durch die Corona-Pandemie in unserem Land sichtbar geworden sind. Während ich das tue, komme ich mir rat- und machtlos vor: Ob mein Gebet überhaupt etwas bewirkt? 

Corona ist vielschichtig, das ganze Thema ist sehr komplex; es existiert nicht nur EINE richtige Sichtweise: Ein Arzt in einer Lungenklinik hat eine andere Meinung dazu als der Lehrer einer Grundschulklasse; wieder anders sieht es eine alleinerziehende Mutter (mit oder ohne Home Office-Möglichkeit) mit Kindern im Schul-Lockdown. Ich glaube an einen Gott, der alle Menschen mit ihren Perspektiven sieht und verstehen kann. Er weiß eine Lösung. Außerdem hat Gottes Stimme Kraft und Macht: Er spricht nur ein Wort – `und es geschah so´, steht da mehrmals in der Schöpfungsgeschichte und ich glaube, dass das heute noch stimmt. Vielleicht ist es also doch das Beste, was ich machen kann: durch die Stadt laufen und um Gottes Eingreifen beten.

Ich höre Stimmen!

Der erste Schritt ist der halbe Weg – das stimmt bei fast allen Vorhaben, die man nicht nur mit lauter Freude absolviert (oder absolvieren muss). Manchmal brauche ich den ersten Schritt sogar fürs Laufen: Wenn das Wetter nicht so mitspielt, wenn der Körper „Keine Lust!“ schreit. Meist gehe ich dann trotzdem, denn ich weiß – es tut mir gut, dem Herzen, dem Kreislauf, dem ganzen Körper und auch dem müden Geist. Eine Stimme in mir treibt mich: „Die Bewegung ist gut für dich, frische Luft ist super, hinterher fühlst du dich gut – und bist besser drauf.“

Abhalten will mich nur mein innerer Schweinehund, und den soll man ja bekanntlich überwinden: Der Sieg des Geistes über die Trägheit. Kürzlich war er auch zugegen, als ich mich aufmachte: „Ach, du hast doch gar keine Lust, es regnet doch ohnehin gleich wieder richtig los; dein Immunsystem wird auch nicht stärker, nur weil du regelmäßig Ausdauersport an der frischen Luft betreibst – alles großer Quatsch!“ In dem Stil erklang ein leises Stimmchen in meinem Hirn. „Du kannst mich mal, ich geh trotzdem“, habe ich mir gedacht und dem ersten Schritt (Schuhe an- und umziehen) weitere folgen lassen.

Was soll ich sagen? Er ließ sich weder überwinden noch abschütteln, der innere Schweinehund. Eine halbe Stunde lang hat er auf mich eingeredet: „Du bist so lahm, wärst du doch zu Hause geblieben, geh´ ein Stückchen, ruh dich aus…“, und so weiter und so fort. Nicht hilfreich, ich hatte den ganzen Weg über einen gewichtigen Begleiter.

Das ist nicht immer so, aber ich weiß es vorher manchmal nicht. Mal sehen, welche Stimme nächstes Mal lauter ist.