Wir Celler haben unseren eigenen Rockefeller – nur lebte er im 17. Jahrhundert und fing nicht als Tellerwäscher an, sondern als Bettler: Francesco Maria Capellini, genannt Stechinelli. Obgleich adlig geboren, musste er betteln. Ein Welfen-Herzog traf ihn in Rom und nahm ihn mit nach Celle. 20 Jahre später war der kleine Francesco zum Erbpostmeister und Häusermakler aufgestiegen, verheiratet und Vater vieler Kinder – und so reich, dass sich derselbe Welfen-Herzog von ihm Geld leihen konnte. So weit, so beeindruckend. Francesco war aber nicht nur erfolgreich, sondern auch humorvoll: Stechinelli bedeutet `kleiner Zahnstocher´. Diesen zweifelhaften Titel erhielt er wegen seiner dürren Beine – sie ließen sich in den engen Kniehosen der Barock-Zeit nicht verbergen. Doch Francesco konnte darüber ebenso lachen wie alle anderen: Fortan unterschrieb er mit Stechinelli und ärgerte sich offenbar nicht. Heute tragen einige Häuser und eine Kapelle seinen Namen. Sie erinnern an einen erfolgreichen und umtriebigen Geschäftsmann aus dem 17. Jahrhundert – und nicht an einen Mann mit dürren Beinen.
Spott
Spätestens seit Charlie Hebdo wissen wir, dass Pressefreiheit ein hohes Gut ist. Wir sind uns einig, welche Reaktionen inakzeptabel sind als Antwort auf Spott – egal, wie sehr es mich kränkt, wenn jemand über mich lächelt. Ebenso wissen wir seit Charlie Hebdo: Es ist eine Frage vieler (sehr individueller) Faktoren, ob ich etwas als scherzhaften Spott belächle oder als demütigend wahrnehme. Die Spott-Kolumne in unserer Tageszeitung lese ich daher bemüht groß- und gleichmütig – meistens.
Kürzlich drehte es sich in dieser Kolumne um Gott: Eine Frau hatte öffentlich gebetet, dass wir nicht eine Stadt werden, „die Weltmeister im Testen und Impfen ist, sondern eine Stadt, die ihr Vertrauen wieder in dich, den Herrn der Welt setzt“. Spöttisch bemerkte der Autor, dieser Gott sei einer, der sein Volk nach dem Auszug aus Ägypten „auf eine harte, 40-jährige Wanderschaft durch die Wüste … führte“. So stehe es zumindest im Buch Exodus. Ein „hartes Schicksal“ sei das; und genau diesen Gott um Hilfe zu bitten, sei daher „ganz schön absurd“.
Er schreibt noch mehr, dieser Autor, aber ich kann schon über diesen Teil nicht lächeln. In demselben Buch Exodus steht nämlich, dass genau dieser Gott sein Volk aus der Sklaverei in Ägypten befreite – diese war ein hartes Schicksal. Während der 40 Jahre in der Wüste bewahrte derselbe Gott die Israeliten vor Hunger und Durst. Das ist aus meiner Sicht sehr eindrucksvoll und fürsorglich. Gott wäre nicht Gott, wenn er immer täte, was ich verstehe und mir gefällt. Gott ist Gott, weil er souverän handelt, den Überblick behält – und weil ihm alles möglich ist. Noch dazu ist er barmherzig und voller Liebe. Wenn ich das glaube, kann ich ihm vertrauen.
„Absurd“ ist Gottvertrauen nicht, es ist ein Glaubensschritt, der auch Gläubigen nicht immer gleich leicht fällt. Darüber kann man sich lustig machen, klar. (Das hat der Pharao von Ägypten übrigens auch getan.) Die Israeliten erlebten damals, dass ihr Gottvertrauen tragfähiger war als das Vertrauen der Ägypter in die eigene (sehr menschliche) Überlegenheit. Auch ich entscheide mich in letzter Instanz für Gottvertrauen. Hier und heute unterdrückt mich niemand, wenn ich das tue – ich werde höchstens in der Spott-Kolumne der Tageszeitung dafür belächelt…