Was man darf und was man muss

Auch ohne Studie weiß ich, dass zu viel digitale Medien uns nicht nur gut tun. Ich habe Kinder und erlebe bei ihnen und mir selbst, welche Sogwirkung von Bildschirmen ausgeht – und wie sich das auf sie und mich und unser familiäres Miteinander auswirkt: Verringerte Konzentrationsspanne, ein gewisses Aggressionspotential und vor allem weniger Kompetenz in Konfliktlösungen.

Daher begrenzen wir die Zeit, die unsere Kinder „digital unterwegs“ sind. Aus Sicht unserer Kinder ist das ärgerlich. Abgesehen vom privaten Bereich sind Mobiltelefone und Computer willkommene Hilfsmittel für Schulaufgaben. Egal, was digital gemacht werden kann: Sie hätten gern mehr davon, als sie dürfen.

Momentan ist unseren Kindern die Nutzung digitaler Medien sozusagen vorgeschrieben – deutlich umfangreicher, als wir normalerweise erlauben. Interessanterweise gehen ihnen die Treffen und das Lernen „nur digital“ mittlerweile eher auf die Nerven. Stattdessen sehen sie sich nach analogem Unterricht und echten Begegnungen. Egal, was digital gemacht werden muss: Sie hätten gern weniger davon, als sie müssen.

Zwischen „muss ja“ und „gönn dir“

Manche Leute antworten auf die Frage nach ihrem Befinden mit einem leicht resignierten „Muss ja!“ – für mich eine Aussage, die mir nie über die Lippen kommen soll. „Muss ja!“ klingt nach viel Last und wenig Lust. Es klingt nach: „So hatte ich mir das nicht vorgestellt, aber was soll`s.“ Als Lebensmotto ist es mindestens schade, wahrscheinlich aber schlimmer.

Dabei zwingt mich keiner, nur ich mich selbst. Feste Termine sind hilfreich – man kann schließlich nicht alles der Lust überlassen: Dreimal die Woche ziehen wir die Turnschuhe an und begeben uns auf unsere Route. Kein: „Passt es heute; haben wir Bock?“ Wir zögern nicht und gehen, das ist gut. Andererseits: NUR einer Routine zu gehorchen, ist nicht immer die beste Entscheidung. „Warum tue ich mir das heute eigentlich an?“, schießt es mir dann während des Laufens durch den Kopf – und: „Wirf alles über den Haufen und gönn dir eine Ausnahme.“ Aber weil das zu sehr nach dem Lust-Prinzip klingt, fällt mir so eine Vorgehensweise schwerer, als ich zugeben mag. Dabei wäre „gönn dir“ manchmal einfach eine sehr gute, wenn nicht die bessere Alternative.

Irgendwo zwischen „muss ja“ und „gönn dir“ ist das Leben bestimmt wunderbar ausgewogen!

Weniger kann mehr sein

Derzeit wird das Lebenstempo gebremst und auf das Nötigste runtergefahren. Das ist herausfordernd – in negativer und positiver Hinsicht:

Wir dürfen vieles nicht machen, zum Beispiel uns in Gruppen treffen, organisiert Sport treiben oder uneingeschränkt bewegen. Dasselbe gilt für kulturelle Aktivitäten. Einige Menschen dürfen nicht arbeiten oder ihre Läden öffnen. Manches davon ist (nur) höchst bedauerlich, anderes für einige sogar existenziell bedrohlich.

Man kann die bestehenden Einschränkungen auch anders erleben: Wir müssen vieles nicht machen, zum Beispiel Chor, Sport, Kultur, Treffen mit Freunden. All das ist schön – keine Frage, aber wie viel davon ist wirklich gut? Inwiefern können wir die Reduzierung positiv bewerten und annehmen als hilfreiche Zäsur in dieser schnelllebigen Zeit?

Ich wünsche uns allen, dass wir diese Krise gesund durchstehen und möglichst viele Geschäfte und Gastronomie-Betriebe überleben. Für mich persönlich und für mein privates Leben erlebe ich den Ausnahmezustand jetzt aber auch als „schön entleert“. Wann auch immer er vorbei sein wird, möchte ich bewusst entscheiden, was wieder selbstverständlich meinen Alltag füllt. Weniger Aktion kann mehr Inhalt bedeuten.