In unserer Tages-Zeitung steht ein Artikel eines Journalisten, der schimpft. Er reagiert auf Künstler, die mittels satirischer Videos die Corona-Maßnahmen aufs Korn genommen haben. Seine Sätze sind scharf und verurteilend, der Tenor des Textes lautet: „Wie können die nur!“ Leider kritisiert der Autor weniger den Inhalt der Video-Clips, sondern vor allem andere Aspekte, die meiner Meinung nach wenig mit der Sache zu tun haben:
Er bemängelt, dass die beteiligten Künstler zu den besser verdienenden gehören, die sogar während dieser Corona-Zeit arbeiten können. Ich denke, das tut nichts zur Sache: Ich darf Missverhältnisse anprangern, unter denen ich selbst nicht am meisten leide. Ich sollte es sogar tun, wenn ich eine starke Stimme in der Gesellschaft habe. Das nennt man Solidarität.
Zudem kritisiert er, dass die beteiligten Künstler Applaus auch von der AfD bekommen. Das ist unglücklich, aber ich denke trotzdem, das tut nichts zur Sache: Ich darf eine Meinung vertreten, egal ob sie jemand teilt oder gutheißt, dem der Großteil der Gesellschaft mit Skepsis begegnet. Ich halte das für Meinungsfreiheit. Jegliche Form von „Sippenhaft“ empfinde ich als unsachlich. (Ich darf die betreffenden Beiträge ja auch gut finden, ohne automatisch für rechts- oder anderweitig radikal gehalten zu werden. Oder?)
Schließlich wirft der Autor den Künstlern vor, dass sie ihre Äußerungen in Satire verpacken. Vielleicht war es auch als Ironie gemeint. Ich denke, das tut nichts zur Sache: Zwar kann man Ironie missverstehen; aber wir haben keine allgemein gültige Instanz, die entscheidet, welches Stilmittel in welchem Fall angemessen ist und welches nicht. Wer die derzeitigen Maßnahmen (wie ironisch auch immer) in Frage stellt, ist nicht automatisch ein Covid-19-Leugner! Es kann nicht sein, dass das einzig akzeptierte Argument die bisher 80.000 Toten sind: Viele Tausende in unserem Land leiden derzeit eher unter den Maßnahmen als unter der Erkrankung selbst. Die Ironie der Künstler richtet sich gerade nicht an die Corona-Opfer, sondern an die politisch Verantwortlichen.
Es heißt in dem Artikel außerdem, der zynische Unterton sei ein Affront für all die erschöpften Pfleger und Ärzte und wirke wie Hohn auf die Angehörigen der Toten. Keiner spricht von einem Affront oder Hohn angesichts von Einschränkungen, wenn er dabei an Kinder denkt, die seit Monaten nicht beschult werden oder gemeinsam Sport treiben dürfen. Oder an Studierende, die ihre Uni noch nie von innen gesehen haben und allein vor ihren Laptops sitzen. Oder an Menschen, die mit dem Home Office nicht zurecht kommen, weil persönliche Kontakte auf der Arbeit fehlen. Oder an selbstständige Künstler, ob sie nun zur Kultur-Elite in unserem Land gehören oder nicht. All diese sollen noch ein bisschen durchhalten – oder sie werden als Egoisten beschimpft, wenn sie sich ebenso am Ende ihrer Kraft wähnen.
Es ist gut, dass der Autor seine Meinung klar äußert, das ist glücklicherweise möglich in einer Demokratie. Leider empfinde ich ihn dabei als verurteilend: Er lässt mir als Leser wenig Raum für meine (vielleicht abweichende) Meinung – es sei denn, ich möchte ebenso in einer Schublade landen wie die an der Aktion beteiligten Künstler selbst. Dabei haben diese lediglich auf Missverhältnisse aufmerksam gemacht und kritisch ihre Meinung geäußert. Warum sollten sie das weniger dürfen als der Journalist in unserer Tageszeitung?
Ich gebe den Künstlern in der Sache jedenfalls recht (und tue es mit zitternden Knien): Wir alle sind betroffen von Corona und den Maßnahmen – der eine so, der andere so. Nicht jede der Maßnahmen ist nachvollziehbar, und nicht jeder in unserem Land empfindet sie als verhältnismäßig. Die derzeitige Lage kann eine Elendserfahrung sein – auch für Menschen, die keine Toten zu beklagen haben. Das darf jeder sagen in unserem Land, ohne sich anschließend dafür entschuldigen zu müssen. Wir sollten das wieder aushalten lernen.