Nicht mehr peinlich

Meine erste Begegnung mit zu viel Alkohol ist lange her: Damals schlief ich inmitten einer laufenden Haus-Party einfach ein und wurde von anderen Gästen liebevoll (und über zwei Treppen) ins Bett geschleppt. Am nächsten Morgen konnte ich mich an nichts erinnern; vor allem gegenüber den Gastgeber-Eltern war mir die ganze Aktion ziemlich peinlich. Seit diesem Kontrollverlust habe ich nie wieder so viel und so durcheinander getrunken wie damals. Dadurch vertrage ich nicht viel; ich merke den Alkohol schon nach einem Glas Wein – und höre dann meist auf.

Auf dem Sommer-Geburtstagsfest einer Freundin dieses Jahr im Mai wurden es dann doch zwei (oder drei) Gläser: ein bisschen zu viel für die von mir so geschätzte `absolute´ Kontrolle. Ich war eindeutig beschwipst und das war sehr lustig – für mich und auch für einige andere, wie ich kürzlich feststellen musste: Eine Bekannte erinnerte mich schmunzelnd an meinen `Kontrollverlust´: Ich hatte zu viel getrunken; wahrscheinlich war meine Zunge gelöster und ich selbst fröhlicher drauf als sonst. Aber peinlich war und ist mir die ganze Aktion nicht.

Kontrollverlust

Ein Ehe-Seminar. Es ist schön, fordert uns heraus, spricht uns an. Wir merken, dass es uns ins Gespräch bringt und auch langfristig gut tun wird. Eine Veranstaltung ist jedoch so gar nicht nach unserem Geschmack, denn: wir können mit (für uns) künstlich erzeugter Feierlichkeit nichts anfangen. Die dem Augenblick innewohnende Symbolik bleibt uns verschlossen. Schlimmer noch: Anstelle von Festlichkeit spüren wir eine unaufhaltsame Belustigung. Lachen ist selbstredend völlig unangebracht, wenn die anderen Teilnehmer ernsthaft, würdevoll und vor allem still agieren und gegenseitige Versprechen erneuern. Was tun? Rausgehen kommt nicht in Frage, lachen ebenso wenig. Sobald wir uns aber anschauen, drängt sich ein Kichern in unsere Kehlen, ein Lächeln in unser Gesicht. Dieses zurückzudrängen wird immer schwieriger, irgendwann schüttelt´s meinen ganzen Körper. Das – unterdrückte, aber doch für mich deutlich – vernehmbare Gekicher meines Mannes sowie ein unvorsichtiger Blick in sein von mühsamer Beherrschung gezeichnete Gesicht inklusive zusammengekniffener Augen machen es nicht besser. Wir fiebern dem Ende entgegen und verschwinden eilig in unserem Zimmer.

Was war das? Warum konnten wir nicht wenigstens nur teilnahmslos daneben sitzen? Ich fühlte mich so unhöflich und ignorant und wollte auf keinen Fall entdeckt werden – wie peinlich! Wie unangebracht! Aber obwohl ich ein (diesbezüglich) wohlerzogener Mensch bin und auch sensibel, was die Gefühle anderer angeht: Ich konnte mich nicht wehren gegen diese Erheiterung, ich war ihr wehrlos ausgeliefert. Mein Mann ebenso. Die Nähe, die wir dabei zueinander empfunden haben, war ein ausgesprochen schöner Nebeneffekt eines ansonsten völlig unangemessenen Kontrollverlustes…