Gestresst – genervt – gelassen

In der Wochenmitte: Jemand wünscht mir einen schönen Nachmittag: Ich solle mich vom Stress des Vormittages erholen. Nach kurzer Überlegung antworte ich, dass mich der Arbeitsvormittag nicht stresst – weder der Zeitdruck oder meine eigene Unzulänglichkeit noch das manchmal knirschende Miteinander. All das ist für mich nicht so wichtig, dass es mich stressen würde. Solange mit meiner Familie alles in Ordnung ist (ohne dass alles super läuft), bleibe ich gelassen.

Zwei Tage später fahre ich genervt von allem Möglichen einkaufen. Vor dem Supermarkt treffe ich eine Freundin, die mich fragt, wie´s mir geht. Ich sage, dass mein Tag bisher suboptimal läuft – in etwas drastischeren Worten. Sie zögert ein bisschen und erzählt mir dann, zu welcher Familie das verunglückte Kleinkind gehört, von dem ich kürzlich in der Zeitung las. Sogleich werde ich kleinlaut und still und denke an meine eigenen Worte: Solange mit meiner Familie … 

Ein Lächeln im Supermarkt

Ich gehe meist vormittags einkaufen, wenn die Regale voll, die Flure leer und die Verkäufer noch frisch sind. Ab und zu verschlägt es mich aber doch zur Feierabendzeit in einen Supermarkt – und jedesmal fällt mir ein Unterschied auf: Zum einen sind mehr Leute unterwegs, die gestresst wirken, weil sie schon einen Arbeitstag in den Knochen haben. Zum anderen sind Verkäufer unterwegs, die abgearbeitet wirken, weil sie schon einen Arbeitstag in den Knochen haben – und vielleicht sogar einige weniger angenehme Begegnungen mit gestressten Kunden.

Gestern Abend um 17 Uhr traf ich auf eine solche Kassiererin. Sie sah unkonzentriert und gelangweilt aus und starrte sekundenlang ins Leere, sobald ihre ansonsten automatisierten Handgriffe durchs Bezahlen kurz unterbrochen wurden. Ihr Blick schien ausdruckslos und abgeschlafft, das Gesicht ernst und abwesend. Während ich noch in der Schlange wartete, gab es offenbar einen Blickwechsel mit ihrer Kollegin an der anderen Kasse. Ohne Worte stahl sich ein Lächeln in das Gesicht „meiner“ Kassiererin – die Veränderung war frappierend: Die Mundwinkel gingen minimal in die Höhe (es war „nur“ ein Lächeln, kein Lachen), die Augen öffneten sich ein wenig, die Wangen wurden straffer, Lachfalten tauchten auf. Das ganze Gesicht sah schön aus, weich, freundlich, entspannt, wach.

So hatte ich die Frau noch nie gesehen – so schön! Ich glaube nicht, dass ihr in diesem Moment bewusst war, dass sie jemand ansah und sich über ihr Lächeln freute. Es war auch schnell wieder vorbei. Aber ich hatte es gesehen und musste ebenfalls lächeln, doch das hat niemand bemerkt. Oder? Wer weiß.